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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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sichtig damit, und überlege nach Kräften, ehe ich mich
dazu entschließe, ist es aber einmal geschehen, und
hätte ich mich dann auch geirrt oder übereilt, so halte
ich es bestimmt, wäre selbst gewisser Untergang
die Folge. Und ich befinde mich sehr wohl und ruhig
dabei, einem so unabänderlichen Gesetz unterworfen
zu seyn. Könnte ich es brechen, so würde ich, nach
dem einmal hineingelegten Sinn, von dem Moment
an, alle Achtung für mich selbst verlieren, und wel-
cher denkende Mensch müßte, bei einer solchen Alter-
native, nicht unbedenklich den Tod vorziehen. Denn
sterben ist doch nur eine Naturnothwendigkeit, und
folglich nichts Uebles -- es scheint uns nur so, in
Bezug auf unsre hiesige Existenz, d. h. der Selbst-
erhaltungstrieb muß den Tod fürchten, die Vernunft
aber, die ewig ist, sieht ihn in seiner wahren Gestalt,
als einen bloßen Uebergang von einem Zustand zum
andern -- sich aber von eigner, unbesieg-
barer Schwäche überzeugen
, ist ein Gefühl,
dessen Stachel wenigstens dieses Leben fortwährend
verbittern müßte! Daher ist es jedenfalls besser, im
Collisionsfall, mit innerm Triumph für diesmal auf-
zuhören, als im Seelen-Lazareth fortzuvegetiren. Ich
werde also keineswegs abhängig durch dieses Wort,
sondern grade durch dasselbe bleibe ich unabhängig.
So lange meine Ueberzeugung nicht ganz fest steht,
wird, wie schon gesagt, die mysterieuse Formel ohne-
dies nicht ausgesprochen, dann aber darf, für
das Heil meiner Seele, keine Veränderung der An-
sicht, nichts mehr meinen Willen brechen, als die

ſichtig damit, und überlege nach Kräften, ehe ich mich
dazu entſchließe, iſt es aber einmal geſchehen, und
hätte ich mich dann auch geirrt oder übereilt, ſo halte
ich es beſtimmt, wäre ſelbſt gewiſſer Untergang
die Folge. Und ich befinde mich ſehr wohl und ruhig
dabei, einem ſo unabänderlichen Geſetz unterworfen
zu ſeyn. Könnte ich es brechen, ſo würde ich, nach
dem einmal hineingelegten Sinn, von dem Moment
an, alle Achtung für mich ſelbſt verlieren, und wel-
cher denkende Menſch müßte, bei einer ſolchen Alter-
native, nicht unbedenklich den Tod vorziehen. Denn
ſterben iſt doch nur eine Naturnothwendigkeit, und
folglich nichts Uebles — es ſcheint uns nur ſo, in
Bezug auf unſre hieſige Exiſtenz, d. h. der Selbſt-
erhaltungstrieb muß den Tod fürchten, die Vernunft
aber, die ewig iſt, ſieht ihn in ſeiner wahren Geſtalt,
als einen bloßen Uebergang von einem Zuſtand zum
andern — ſich aber von eigner, unbeſieg-
barer Schwäche überzeugen
, iſt ein Gefühl,
deſſen Stachel wenigſtens dieſes Leben fortwährend
verbittern müßte! Daher iſt es jedenfalls beſſer, im
Colliſionsfall, mit innerm Triumph für diesmal auf-
zuhören, als im Seelen-Lazareth fortzuvegetiren. Ich
werde alſo keineswegs abhängig durch dieſes Wort,
ſondern grade durch daſſelbe bleibe ich unabhängig.
So lange meine Ueberzeugung nicht ganz feſt ſteht,
wird, wie ſchon geſagt, die myſterieuſe Formel ohne-
dies nicht ausgeſprochen, dann aber darf, für
das Heil meiner Seele, keine Veränderung der An-
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[187/0209] ſichtig damit, und überlege nach Kräften, ehe ich mich dazu entſchließe, iſt es aber einmal geſchehen, und hätte ich mich dann auch geirrt oder übereilt, ſo halte ich es beſtimmt, wäre ſelbſt gewiſſer Untergang die Folge. Und ich befinde mich ſehr wohl und ruhig dabei, einem ſo unabänderlichen Geſetz unterworfen zu ſeyn. Könnte ich es brechen, ſo würde ich, nach dem einmal hineingelegten Sinn, von dem Moment an, alle Achtung für mich ſelbſt verlieren, und wel- cher denkende Menſch müßte, bei einer ſolchen Alter- native, nicht unbedenklich den Tod vorziehen. Denn ſterben iſt doch nur eine Naturnothwendigkeit, und folglich nichts Uebles — es ſcheint uns nur ſo, in Bezug auf unſre hieſige Exiſtenz, d. h. der Selbſt- erhaltungstrieb muß den Tod fürchten, die Vernunft aber, die ewig iſt, ſieht ihn in ſeiner wahren Geſtalt, als einen bloßen Uebergang von einem Zuſtand zum andern — ſich aber von eigner, unbeſieg- barer Schwäche überzeugen, iſt ein Gefühl, deſſen Stachel wenigſtens dieſes Leben fortwährend verbittern müßte! Daher iſt es jedenfalls beſſer, im Colliſionsfall, mit innerm Triumph für diesmal auf- zuhören, als im Seelen-Lazareth fortzuvegetiren. Ich werde alſo keineswegs abhängig durch dieſes Wort, ſondern grade durch daſſelbe bleibe ich unabhängig. So lange meine Ueberzeugung nicht ganz feſt ſteht, wird, wie ſchon geſagt, die myſterieuſe Formel ohne- dies nicht ausgeſprochen, dann aber darf, für das Heil meiner Seele, keine Veränderung der An- ſicht, nichts mehr meinen Willen brechen, als die

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/209>, abgerufen am 29.03.2024.