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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

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und höre damit auf -- wie das Menschenleben --
das auch vom Tode ausgeht und damit endet. Der
Architekt, welcher diesen prächtigen Dom baute, hat
in Zierarten und Verhältnissen sich ganz vom Ge-
wöhnlichen entfernt. So steigen z. B., von außen,
neben dem Portal, zwei Jakobsleitern, mit hinan-
klimmenden Engeln, bis an das Dach empor, wo sich
die Kleinen hinter den Giebeln verlieren. Gar lieb-
lich sind die emsigen Himmelsstürmer anzusehen, und
wie mich dünkt, ganz im Geiste jener phantasiereichen
Architektur erfunden, die das Kindlichste mit dem
Erhabensten, die ausgeführtesten Zierarten mit dem
grandiosesten Effekt der Massen zu verbinden wußte,
und so zu sagen, die ganze irdische Natur, mit Wald-
Colossen und Blumen, mit Felsen und Edelsteinen
(die bunten Fenster) mit Menschen und Thieren ab-
bilden wollte, hierdurch aber am sichersten die heilige
Stimmung nach jenseits hervorrief. -- Mir ist sie
immer als die ächt romantische, i. e. ächt deutsche,
Bauart vorgekommen, aus unserm eigensten Gemüth
entsprossen. Doch glaube ich, sind wir ihr jetzt ent-
fremdet, da eine mehr schwärmerische Zeit dazu ge-
hört
. Wir können sie wohl noch einzeln bewundern
und lieben, aber nichts mehr der Art schaffen, was
nicht den nüchternsten Stempel der Nachahmung
trüge. Dampfmaschinen und Constitutionen gerathen
dagegen jetzt besser, als überhaupt alle Kunst. Jedem
Zeitalter das Seine. --

Da ich die Contraste liebe, so begab ich mich heute
Abend, aus dem inhaltschweren Tempel, unmittelbar

und höre damit auf — wie das Menſchenleben —
das auch vom Tode ausgeht und damit endet. Der
Architekt, welcher dieſen prächtigen Dom baute, hat
in Zierarten und Verhältniſſen ſich ganz vom Ge-
wöhnlichen entfernt. So ſteigen z. B., von außen,
neben dem Portal, zwei Jakobsleitern, mit hinan-
klimmenden Engeln, bis an das Dach empor, wo ſich
die Kleinen hinter den Giebeln verlieren. Gar lieb-
lich ſind die emſigen Himmelsſtürmer anzuſehen, und
wie mich dünkt, ganz im Geiſte jener phantaſiereichen
Architektur erfunden, die das Kindlichſte mit dem
Erhabenſten, die ausgeführteſten Zierarten mit dem
grandioſeſten Effekt der Maſſen zu verbinden wußte,
und ſo zu ſagen, die ganze irdiſche Natur, mit Wald-
Coloſſen und Blumen, mit Felſen und Edelſteinen
(die bunten Fenſter) mit Menſchen und Thieren ab-
bilden wollte, hierdurch aber am ſicherſten die heilige
Stimmung nach jenſeits hervorrief. — Mir iſt ſie
immer als die ächt romantiſche, i. e. ächt deutſche,
Bauart vorgekommen, aus unſerm eigenſten Gemüth
entſproſſen. Doch glaube ich, ſind wir ihr jetzt ent-
fremdet, da eine mehr ſchwärmeriſche Zeit dazu ge-
hört
. Wir können ſie wohl noch einzeln bewundern
und lieben, aber nichts mehr der Art ſchaffen, was
nicht den nüchternſten Stempel der Nachahmung
trüge. Dampfmaſchinen und Conſtitutionen gerathen
dagegen jetzt beſſer, als überhaupt alle Kunſt. Jedem
Zeitalter das Seine. —

Da ich die Contraſte liebe, ſo begab ich mich heute
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[280/0302] und höre damit auf — wie das Menſchenleben — das auch vom Tode ausgeht und damit endet. Der Architekt, welcher dieſen prächtigen Dom baute, hat in Zierarten und Verhältniſſen ſich ganz vom Ge- wöhnlichen entfernt. So ſteigen z. B., von außen, neben dem Portal, zwei Jakobsleitern, mit hinan- klimmenden Engeln, bis an das Dach empor, wo ſich die Kleinen hinter den Giebeln verlieren. Gar lieb- lich ſind die emſigen Himmelsſtürmer anzuſehen, und wie mich dünkt, ganz im Geiſte jener phantaſiereichen Architektur erfunden, die das Kindlichſte mit dem Erhabenſten, die ausgeführteſten Zierarten mit dem grandioſeſten Effekt der Maſſen zu verbinden wußte, und ſo zu ſagen, die ganze irdiſche Natur, mit Wald- Coloſſen und Blumen, mit Felſen und Edelſteinen (die bunten Fenſter) mit Menſchen und Thieren ab- bilden wollte, hierdurch aber am ſicherſten die heilige Stimmung nach jenſeits hervorrief. — Mir iſt ſie immer als die ächt romantiſche, i. e. ächt deutſche, Bauart vorgekommen, aus unſerm eigenſten Gemüth entſproſſen. Doch glaube ich, ſind wir ihr jetzt ent- fremdet, da eine mehr ſchwärmeriſche Zeit dazu ge- hört. Wir können ſie wohl noch einzeln bewundern und lieben, aber nichts mehr der Art ſchaffen, was nicht den nüchternſten Stempel der Nachahmung trüge. Dampfmaſchinen und Conſtitutionen gerathen dagegen jetzt beſſer, als überhaupt alle Kunſt. Jedem Zeitalter das Seine. — Da ich die Contraſte liebe, ſo begab ich mich heute Abend, aus dem inhaltſchweren Tempel, unmittelbar

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/302>, abgerufen am 25.04.2024.