Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

gehört hatte, rief ich ihr zu, daß Mr. M. D. of C.
and G.
keine ganz neue Bekanntschaft für mich sey,
sondern ich ihn schon vor mehreren zwanzig Jahren
als Knabe gesehen habe. Auf ihr: Wie so? begann
mein unermüdlicher Freund die Geschichte der drei-
fachen Steigerung von Neuem, und ich schlich mich
unterdessen leise davon und zu Hause.



Diesen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm
zu seyn, es gelang mir aber nicht. Es war alles
darin gar zu nüchtern, und unästhetisch. Ich lobe
mir denn doch einen künstlerischen, wenn auch etwas
sinnlichen Gottesdienst. Folgten wir nur der Natur,
die für Religion wie Regierungsverfassung (denn sie
regiert ganz constitutionell) die beste Lehrmeisterin
bleibt! Flößt sie uns nicht die frömmsten Gefühle
gerade durch ihre prächtigsten wie erhabensten Schau-
spiele ein: durch die Malerei des Sonnen- Auf- und
Unterganges, die Musik des tobenden Gewitters und
des brausenden Meers, die Plastik der Felsen und
der Gebirge? Seyd also nicht klüger, lieben Leute,
als der liebe Gott, und macht's ihm nach, so gut
ihr könnt.

Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predi-
gen, ausser den Deinen, liebe Julie, und die hören
längst schon mit mir den himmlischen Sphärengesang,
der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar

gehört hatte, rief ich ihr zu, daß Mr. M. D. of C.
and G.
keine ganz neue Bekanntſchaft für mich ſey,
ſondern ich ihn ſchon vor mehreren zwanzig Jahren
als Knabe geſehen habe. Auf ihr: Wie ſo? begann
mein unermüdlicher Freund die Geſchichte der drei-
fachen Steigerung von Neuem, und ich ſchlich mich
unterdeſſen leiſe davon und zu Hauſe.



Dieſen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm
zu ſeyn, es gelang mir aber nicht. Es war alles
darin gar zu nüchtern, und unäſthetiſch. Ich lobe
mir denn doch einen künſtleriſchen, wenn auch etwas
ſinnlichen Gottesdienſt. Folgten wir nur der Natur,
die für Religion wie Regierungsverfaſſung (denn ſie
regiert ganz conſtitutionell) die beſte Lehrmeiſterin
bleibt! Flößt ſie uns nicht die frömmſten Gefühle
gerade durch ihre prächtigſten wie erhabenſten Schau-
ſpiele ein: durch die Malerei des Sonnen- Auf- und
Unterganges, die Muſik des tobenden Gewitters und
des brauſenden Meers, die Plaſtik der Felſen und
der Gebirge? Seyd alſo nicht klüger, lieben Leute,
als der liebe Gott, und macht’s ihm nach, ſo gut
ihr könnt.

Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predi-
gen, auſſer den Deinen, liebe Julie, und die hören
längſt ſchon mit mir den himmliſchen Sphärengeſang,
der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0410" n="364"/>
gehört hatte, rief ich ihr zu, daß <hi rendition="#aq">Mr. M. D. of C.<lb/>
and G.</hi> keine ganz neue Bekannt&#x017F;chaft für mich &#x017F;ey,<lb/>
&#x017F;ondern ich ihn &#x017F;chon vor mehreren zwanzig Jahren<lb/>
als Knabe ge&#x017F;ehen habe. Auf ihr: Wie &#x017F;o? begann<lb/>
mein unermüdlicher Freund die Ge&#x017F;chichte der drei-<lb/>
fachen Steigerung von Neuem, und ich &#x017F;chlich mich<lb/>
unterde&#x017F;&#x017F;en lei&#x017F;e davon und zu Hau&#x017F;e.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <dateline> <hi rendition="#et">Den 11ten.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Die&#x017F;en Morgen ging ich in die Kirche, um fromm<lb/>
zu &#x017F;eyn, es gelang mir aber nicht. Es war alles<lb/>
darin gar zu nüchtern, und unä&#x017F;theti&#x017F;ch. Ich lobe<lb/>
mir denn doch einen kün&#x017F;tleri&#x017F;chen, wenn auch etwas<lb/>
&#x017F;innlichen Gottesdien&#x017F;t. Folgten wir nur der Natur,<lb/>
die für Religion wie Regierungsverfa&#x017F;&#x017F;ung (denn &#x017F;ie<lb/>
regiert ganz con&#x017F;titutionell) die be&#x017F;te Lehrmei&#x017F;terin<lb/>
bleibt! Flößt &#x017F;ie uns nicht die frömm&#x017F;ten Gefühle<lb/>
gerade durch ihre prächtig&#x017F;ten wie erhaben&#x017F;ten Schau-<lb/>
&#x017F;piele ein: durch die Malerei des Sonnen- Auf- und<lb/>
Unterganges, die Mu&#x017F;ik des tobenden Gewitters und<lb/>
des brau&#x017F;enden Meers, die Pla&#x017F;tik der Fel&#x017F;en und<lb/>
der Gebirge? Seyd al&#x017F;o nicht klüger, lieben Leute,<lb/>
als der liebe Gott, und macht&#x2019;s ihm nach, &#x017F;o gut<lb/>
ihr könnt.</p><lb/>
          <p>Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predi-<lb/>
gen, au&#x017F;&#x017F;er den Deinen, liebe Julie, und die hören<lb/>
läng&#x017F;t &#x017F;chon mit mir den himmli&#x017F;chen Sphärenge&#x017F;ang,<lb/>
der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0410] gehört hatte, rief ich ihr zu, daß Mr. M. D. of C. and G. keine ganz neue Bekanntſchaft für mich ſey, ſondern ich ihn ſchon vor mehreren zwanzig Jahren als Knabe geſehen habe. Auf ihr: Wie ſo? begann mein unermüdlicher Freund die Geſchichte der drei- fachen Steigerung von Neuem, und ich ſchlich mich unterdeſſen leiſe davon und zu Hauſe. Den 11ten. Dieſen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm zu ſeyn, es gelang mir aber nicht. Es war alles darin gar zu nüchtern, und unäſthetiſch. Ich lobe mir denn doch einen künſtleriſchen, wenn auch etwas ſinnlichen Gottesdienſt. Folgten wir nur der Natur, die für Religion wie Regierungsverfaſſung (denn ſie regiert ganz conſtitutionell) die beſte Lehrmeiſterin bleibt! Flößt ſie uns nicht die frömmſten Gefühle gerade durch ihre prächtigſten wie erhabenſten Schau- ſpiele ein: durch die Malerei des Sonnen- Auf- und Unterganges, die Muſik des tobenden Gewitters und des brauſenden Meers, die Plaſtik der Felſen und der Gebirge? Seyd alſo nicht klüger, lieben Leute, als der liebe Gott, und macht’s ihm nach, ſo gut ihr könnt. Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predi- gen, auſſer den Deinen, liebe Julie, und die hören längſt ſchon mit mir den himmliſchen Sphärengeſang, der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/410
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/410>, abgerufen am 24.04.2024.