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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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Doch ist dieser öde Charakter dem Ganzen nicht un-
angemessen, und erhöht vielleicht noch den wehmüthi-
gen Eindruck so tief gefallner Größe.

Noch steht der Söller, Elisabeths Bower genannt,
und die Sage geht bei den Landleuten, daß oft bei
mondhellen Nächten eine weiße Gestalt dort gesehen
worden sey, stumm und still in die Tiefe hinabschauend.
Die Rudera der Bankethalle mit dem Riesen-Kamin,
der weitläuftigen Küche und den Weinkellern darun-
ter, sind noch deutlich zu erkennen, ja manches ein-
same Zimmerchen mag noch in den Thürmen wohl
erhalten seyn, wohin schon längst kein Zugang mehr
führt. Die Phantasie ergötzt sich, aus dem noch Be-
stehenden die Vergangenheit zu errathen, und oft
träumte ich, bei dem Umherklettern zwischen den
Trümmern, jetzt die Stelle aufgefunden zu haben,
wo der schändliche Vernon die treueste und unglück-
seligste der Gattinnen in ewige Nacht verrätherisch
hinabstieß! Doch gleich vergessen sind jetzt Verbrechen
wie Großthaten, die innerhalb dieser Mauern gescha-
hen; über sie hat längst die Zeit ihren Alles bedecken-
den Schleier gelegt, und dahin sind die ewig sich
wiederholenden Leiden und Freuden, die vermoderte
Pracht und das vergängliche Streben.

Der Tag war trübe, schwarze Wolken rollten am
Himmel, hinter denen selten ein gelber, fahler Schein
hervorbrach, der Wind flüsterte im Epheu, und pfiff
hohl durch die leeren Fenster, hie und da zuweilen
einen losen Stein von den zerbröckelten Mauern ablö-

Doch iſt dieſer öde Charakter dem Ganzen nicht un-
angemeſſen, und erhöht vielleicht noch den wehmüthi-
gen Eindruck ſo tief gefallner Größe.

Noch ſteht der Söller, Eliſabeths Bower genannt,
und die Sage geht bei den Landleuten, daß oft bei
mondhellen Nächten eine weiße Geſtalt dort geſehen
worden ſey, ſtumm und ſtill in die Tiefe hinabſchauend.
Die Rudera der Bankethalle mit dem Rieſen-Kamin,
der weitläuftigen Küche und den Weinkellern darun-
ter, ſind noch deutlich zu erkennen, ja manches ein-
ſame Zimmerchen mag noch in den Thürmen wohl
erhalten ſeyn, wohin ſchon längſt kein Zugang mehr
führt. Die Phantaſie ergötzt ſich, aus dem noch Be-
ſtehenden die Vergangenheit zu errathen, und oft
träumte ich, bei dem Umherklettern zwiſchen den
Trümmern, jetzt die Stelle aufgefunden zu haben,
wo der ſchändliche Vernon die treueſte und unglück-
ſeligſte der Gattinnen in ewige Nacht verrätheriſch
hinabſtieß! Doch gleich vergeſſen ſind jetzt Verbrechen
wie Großthaten, die innerhalb dieſer Mauern geſcha-
hen; über ſie hat längſt die Zeit ihren Alles bedecken-
den Schleier gelegt, und dahin ſind die ewig ſich
wiederholenden Leiden und Freuden, die vermoderte
Pracht und das vergängliche Streben.

Der Tag war trübe, ſchwarze Wolken rollten am
Himmel, hinter denen ſelten ein gelber, fahler Schein
hervorbrach, der Wind flüſterte im Epheu, und pfiff
hohl durch die leeren Fenſter, hie und da zuweilen
einen loſen Stein von den zerbröckelten Mauern ablö-

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[246/0292] Doch iſt dieſer öde Charakter dem Ganzen nicht un- angemeſſen, und erhöht vielleicht noch den wehmüthi- gen Eindruck ſo tief gefallner Größe. Noch ſteht der Söller, Eliſabeths Bower genannt, und die Sage geht bei den Landleuten, daß oft bei mondhellen Nächten eine weiße Geſtalt dort geſehen worden ſey, ſtumm und ſtill in die Tiefe hinabſchauend. Die Rudera der Bankethalle mit dem Rieſen-Kamin, der weitläuftigen Küche und den Weinkellern darun- ter, ſind noch deutlich zu erkennen, ja manches ein- ſame Zimmerchen mag noch in den Thürmen wohl erhalten ſeyn, wohin ſchon längſt kein Zugang mehr führt. Die Phantaſie ergötzt ſich, aus dem noch Be- ſtehenden die Vergangenheit zu errathen, und oft träumte ich, bei dem Umherklettern zwiſchen den Trümmern, jetzt die Stelle aufgefunden zu haben, wo der ſchändliche Vernon die treueſte und unglück- ſeligſte der Gattinnen in ewige Nacht verrätheriſch hinabſtieß! Doch gleich vergeſſen ſind jetzt Verbrechen wie Großthaten, die innerhalb dieſer Mauern geſcha- hen; über ſie hat längſt die Zeit ihren Alles bedecken- den Schleier gelegt, und dahin ſind die ewig ſich wiederholenden Leiden und Freuden, die vermoderte Pracht und das vergängliche Streben. Der Tag war trübe, ſchwarze Wolken rollten am Himmel, hinter denen ſelten ein gelber, fahler Schein hervorbrach, der Wind flüſterte im Epheu, und pfiff hohl durch die leeren Fenſter, hie und da zuweilen einen loſen Stein von den zerbröckelten Mauern ablö-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/292>, abgerufen am 29.03.2024.