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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831.

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chen, schon in Canton zu seyn. Die Damen präten-
diren eine vornehme Abkunft, welches ihre kleinen
Füße beweisen sollen, da die geringern Klassen der-
gleichen nicht führen -- denn wie sollten sie sonst ar-
beiten können, da die Kleinfüßigen, so wenig Centri-
pedalkraft haben, daß sie ohne Stock kaum von einer
Ottomanne zur andern humpeln können.

Ich bin sonst ein leidenschaftlicher Liebhaber von
einem kleinen Weiberfuße, aber diese waren mir doch
zu klein, und nackt abscheulich anzusehen, da ihre
Kleinheit durch gewaltsames Unterbiegen der Zehen
in der Kindheit erlangt wird, die nun in die Sohle
mit einwachsen, eine Mode, die beinahe eben so un-
vernünftig ist, als unsre Schnürbrüste, obgleich sie
der Gesundheit doch noch weniger schaden mag.

Ich kaufte den chinesischen Prinzessinnen ein Paar
neue Schuhe ab, die sie vorher vor meinen Augen
anprobiren mußten, und sende sie Dir mit die-
sem Briefe, so wie mehrere andere Chinesiana, schöne
seidne Tapeten, Gemälde, worunter ein Portrait des
Kaisers und Kaiserin etc. Die guten Geschöpfe ver-
kaufen alles was man verlangt, und scheinen, ihrer
Vornehmheit unbeschadet, ein förmliches Waarenlager
mitgebracht zu haben, denn kaum ist etwas abgegan-
gen, so wird es schon wieder ersetzt. Obgleich bereits
lange in London, haben sie doch noch kein Wort eng-
lisch erlernen können; ihre eigne Sprache erschien mir
als sehr schleppend und schwerfällig, und ihre Gesichts-
züge waren für europäischen Geschmack, mehr als
häßlich.

chen, ſchon in Canton zu ſeyn. Die Damen präten-
diren eine vornehme Abkunft, welches ihre kleinen
Füße beweiſen ſollen, da die geringern Klaſſen der-
gleichen nicht führen — denn wie ſollten ſie ſonſt ar-
beiten können, da die Kleinfüßigen, ſo wenig Centri-
pedalkraft haben, daß ſie ohne Stock kaum von einer
Ottomanne zur andern humpeln können.

Ich bin ſonſt ein leidenſchaftlicher Liebhaber von
einem kleinen Weiberfuße, aber dieſe waren mir doch
zu klein, und nackt abſcheulich anzuſehen, da ihre
Kleinheit durch gewaltſames Unterbiegen der Zehen
in der Kindheit erlangt wird, die nun in die Sohle
mit einwachſen, eine Mode, die beinahe eben ſo un-
vernünftig iſt, als unſre Schnürbrüſte, obgleich ſie
der Geſundheit doch noch weniger ſchaden mag.

Ich kaufte den chineſiſchen Prinzeſſinnen ein Paar
neue Schuhe ab, die ſie vorher vor meinen Augen
anprobiren mußten, und ſende ſie Dir mit die-
ſem Briefe, ſo wie mehrere andere Chineſiana, ſchöne
ſeidne Tapeten, Gemälde, worunter ein Portrait des
Kaiſers und Kaiſerin ꝛc. Die guten Geſchöpfe ver-
kaufen alles was man verlangt, und ſcheinen, ihrer
Vornehmheit unbeſchadet, ein förmliches Waarenlager
mitgebracht zu haben, denn kaum iſt etwas abgegan-
gen, ſo wird es ſchon wieder erſetzt. Obgleich bereits
lange in London, haben ſie doch noch kein Wort eng-
liſch erlernen können; ihre eigne Sprache erſchien mir
als ſehr ſchleppend und ſchwerfällig, und ihre Geſichts-
züge waren für europäiſchen Geſchmack, mehr als
häßlich.

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[396/0442] chen, ſchon in Canton zu ſeyn. Die Damen präten- diren eine vornehme Abkunft, welches ihre kleinen Füße beweiſen ſollen, da die geringern Klaſſen der- gleichen nicht führen — denn wie ſollten ſie ſonſt ar- beiten können, da die Kleinfüßigen, ſo wenig Centri- pedalkraft haben, daß ſie ohne Stock kaum von einer Ottomanne zur andern humpeln können. Ich bin ſonſt ein leidenſchaftlicher Liebhaber von einem kleinen Weiberfuße, aber dieſe waren mir doch zu klein, und nackt abſcheulich anzuſehen, da ihre Kleinheit durch gewaltſames Unterbiegen der Zehen in der Kindheit erlangt wird, die nun in die Sohle mit einwachſen, eine Mode, die beinahe eben ſo un- vernünftig iſt, als unſre Schnürbrüſte, obgleich ſie der Geſundheit doch noch weniger ſchaden mag. Ich kaufte den chineſiſchen Prinzeſſinnen ein Paar neue Schuhe ab, die ſie vorher vor meinen Augen anprobiren mußten, und ſende ſie Dir mit die- ſem Briefe, ſo wie mehrere andere Chineſiana, ſchöne ſeidne Tapeten, Gemälde, worunter ein Portrait des Kaiſers und Kaiſerin ꝛc. Die guten Geſchöpfe ver- kaufen alles was man verlangt, und ſcheinen, ihrer Vornehmheit unbeſchadet, ein förmliches Waarenlager mitgebracht zu haben, denn kaum iſt etwas abgegan- gen, ſo wird es ſchon wieder erſetzt. Obgleich bereits lange in London, haben ſie doch noch kein Wort eng- liſch erlernen können; ihre eigne Sprache erſchien mir als ſehr ſchleppend und ſchwerfällig, und ihre Geſichts- züge waren für europäiſchen Geſchmack, mehr als häßlich.

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 3. Stuttgart, 1831, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe03_1831/442>, abgerufen am 29.03.2024.