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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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plumpt. Lange konnte dieser nicht begreifen, wie
Paddy's Kopf so schnell berunterkam, und noch heute
giebt er nicht zu, daß die Sache mit rechten Dingen
zugegangen sey. Ein böser Kobold, meint er, habe
sicher die Sense geführt.

Mit der englischen Oper beschloß ich den Tag,
wo am Ende des ersten Akts ein Bergwerk einstürzt,
und die Haupthelden des Stücks begräbt. In der
letzten Scene des zweiten Aktes erscheinen sie aber
im Bauche der Erde wieder, in der That schon drei-
viertel verhungert, wie sie selbst erzählen, da sie
nun bereits 3 Tage hier verschmachtet lägen, und
jetzt ihre letzten Kräfte dahinschwänden. Das verhin-
dert die prima Donna jedoch keineswegs, eine lange
Arie mit Polonaisenmusik zu singen, worauf das
Chor mit Trompeten einfällt: "Ha wir sind verlo-
ren, alle Hoffnung ist dahin" -- doch, o Wunder,
die Felsen fallen von neuem ein, und er-
öffnen eine weite Pforte dem hereinbrechenden
Tageslichte
. Aller Jammer und mit ihm aller
jammervolle Unsinn des Stücks haben ein Ende.



Die gestrige Schwelgerei hat mich auf ein Organ
aufmerksam gemacht, das Herr Deville noch unter
seiner Liste nicht aufgenommen hat. Es ist dieses
der Gourmandise, und befindet sich unmittelbar ne-
ben dem ehemaligen Mordsinn, denn es findet, gleich

plumpt. Lange konnte dieſer nicht begreifen, wie
Paddy’s Kopf ſo ſchnell berunterkam, und noch heute
giebt er nicht zu, daß die Sache mit rechten Dingen
zugegangen ſey. Ein böſer Kobold, meint er, habe
ſicher die Senſe geführt.

Mit der engliſchen Oper beſchloß ich den Tag,
wo am Ende des erſten Akts ein Bergwerk einſtürzt,
und die Haupthelden des Stücks begräbt. In der
letzten Scene des zweiten Aktes erſcheinen ſie aber
im Bauche der Erde wieder, in der That ſchon drei-
viertel verhungert, wie ſie ſelbſt erzählen, da ſie
nun bereits 3 Tage hier verſchmachtet lägen, und
jetzt ihre letzten Kräfte dahinſchwänden. Das verhin-
dert die prima Donna jedoch keineswegs, eine lange
Arie mit Polonaiſenmuſik zu ſingen, worauf das
Chor mit Trompeten einfällt: „Ha wir ſind verlo-
ren, alle Hoffnung iſt dahin“ — doch, o Wunder,
die Felſen fallen von neuem ein, und er-
öffnen eine weite Pforte dem hereinbrechenden
Tageslichte
. Aller Jammer und mit ihm aller
jammervolle Unſinn des Stücks haben ein Ende.



Die geſtrige Schwelgerei hat mich auf ein Organ
aufmerkſam gemacht, das Herr Deville noch unter
ſeiner Liſte nicht aufgenommen hat. Es iſt dieſes
der Gourmandiſe, und befindet ſich unmittelbar ne-
ben dem ehemaligen Mordſinn, denn es findet, gleich

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[124/0140] plumpt. Lange konnte dieſer nicht begreifen, wie Paddy’s Kopf ſo ſchnell berunterkam, und noch heute giebt er nicht zu, daß die Sache mit rechten Dingen zugegangen ſey. Ein böſer Kobold, meint er, habe ſicher die Senſe geführt. Mit der engliſchen Oper beſchloß ich den Tag, wo am Ende des erſten Akts ein Bergwerk einſtürzt, und die Haupthelden des Stücks begräbt. In der letzten Scene des zweiten Aktes erſcheinen ſie aber im Bauche der Erde wieder, in der That ſchon drei- viertel verhungert, wie ſie ſelbſt erzählen, da ſie nun bereits 3 Tage hier verſchmachtet lägen, und jetzt ihre letzten Kräfte dahinſchwänden. Das verhin- dert die prima Donna jedoch keineswegs, eine lange Arie mit Polonaiſenmuſik zu ſingen, worauf das Chor mit Trompeten einfällt: „Ha wir ſind verlo- ren, alle Hoffnung iſt dahin“ — doch, o Wunder, die Felſen fallen von neuem ein, und er- öffnen eine weite Pforte dem hereinbrechenden Tageslichte. Aller Jammer und mit ihm aller jammervolle Unſinn des Stücks haben ein Ende. Den 2ten. Die geſtrige Schwelgerei hat mich auf ein Organ aufmerkſam gemacht, das Herr Deville noch unter ſeiner Liſte nicht aufgenommen hat. Es iſt dieſes der Gourmandiſe, und befindet ſich unmittelbar ne- ben dem ehemaligen Mordſinn, denn es findet, gleich

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/140>, abgerufen am 29.03.2024.