Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber so viele Fehler tröstet mich schlecht die
große bosse des Causalitäts-Organs, welches uns
unter andern zwingt, die Unzulänglichkeit der mensch-
lichen Existenz immer recht bitter vor Augen zu be-
halten, indem es das Vermögen ausübt, sich selbst
und den eignen Geist als ein Fremdes zu betrachten
und zu analysiren, sich zugleich mit den andern Men-
schen als ein Objekt zu beurtheilen, und dabei will-
kürlich von allem zu abstrahiren, was durch Erzie-
hung, Schicksal u. s. w. auf diese Wesen Einfluß
gehabt hat und noch hat -- oder um schulgerechter
zu sprechen: welches von allem die Ursache ergründen
will, die Verbindung zwischen Ursach und Wirkung
genau erforscht, und bei Allem den Menschen zu fra-
gen zwingt: Warum? eine ... lästige Eigen-
schaft, die man auch im gewöhnlichen Leben Ver-
nunft zu nennen pflegt.

Leider ist Eventualität bei mir weit schwächer,
als jenes Organ. Dieses, welches man das Reali-
tätsvermögen nennen könnte, ist ebenfalls ziemlich
schwer zu definiren, und sein geringes Volumen bei
mir verurtheilt mich, wie ich fürchte, zu einer Art
Poeten, der nur im Traume sehen und leben darf,
was er in der Welt selbst nicht erreichen kann.

Eventualität ist nicht Thatkraft, obgleich ihr
Mangel eine auf denselben Zweck fortwährend ge-
richtete Thatkraft verhindert, denn wo sie nicht ist,
entsteht eine Abwesenheit des Interesses und der Auf-
merksamkeit auf das was geschieht, ein Mangel des
praktischen Gesellschaftssinnes. Man hat bemerkt,

Ueber ſo viele Fehler tröſtet mich ſchlecht die
große bosse des Cauſalitäts-Organs, welches uns
unter andern zwingt, die Unzulänglichkeit der menſch-
lichen Exiſtenz immer recht bitter vor Augen zu be-
halten, indem es das Vermögen ausübt, ſich ſelbſt
und den eignen Geiſt als ein Fremdes zu betrachten
und zu analyſiren, ſich zugleich mit den andern Men-
ſchen als ein Objekt zu beurtheilen, und dabei will-
kürlich von allem zu abſtrahiren, was durch Erzie-
hung, Schickſal u. ſ. w. auf dieſe Weſen Einfluß
gehabt hat und noch hat — oder um ſchulgerechter
zu ſprechen: welches von allem die Urſache ergründen
will, die Verbindung zwiſchen Urſach und Wirkung
genau erforſcht, und bei Allem den Menſchen zu fra-
gen zwingt: Warum? eine … läſtige Eigen-
ſchaft, die man auch im gewöhnlichen Leben Ver-
nunft zu nennen pflegt.

Leider iſt Eventualität bei mir weit ſchwächer,
als jenes Organ. Dieſes, welches man das Reali-
tätsvermögen nennen könnte, iſt ebenfalls ziemlich
ſchwer zu definiren, und ſein geringes Volumen bei
mir verurtheilt mich, wie ich fürchte, zu einer Art
Poeten, der nur im Traume ſehen und leben darf,
was er in der Welt ſelbſt nicht erreichen kann.

Eventualität iſt nicht Thatkraft, obgleich ihr
Mangel eine auf denſelben Zweck fortwährend ge-
richtete Thatkraft verhindert, denn wo ſie nicht iſt,
entſteht eine Abweſenheit des Intereſſes und der Auf-
merkſamkeit auf das was geſchieht, ein Mangel des
praktiſchen Geſellſchaftsſinnes. Man hat bemerkt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0104" n="88"/>
          <p>Ueber &#x017F;o viele Fehler trö&#x017F;tet mich &#x017F;chlecht die<lb/>
große <hi rendition="#aq">bosse</hi> des Cau&#x017F;alitäts-Organs, welches uns<lb/>
unter andern zwingt, die Unzulänglichkeit der men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Exi&#x017F;tenz immer recht bitter vor Augen zu be-<lb/>
halten, indem es das Vermögen ausübt, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
und den eignen Gei&#x017F;t als ein Fremdes zu betrachten<lb/>
und zu analy&#x017F;iren, &#x017F;ich zugleich mit den andern Men-<lb/>
&#x017F;chen als ein Objekt zu beurtheilen, und dabei will-<lb/>
kürlich von allem zu ab&#x017F;trahiren, was durch Erzie-<lb/>
hung, Schick&#x017F;al u. &#x017F;. w. auf die&#x017F;e We&#x017F;en Einfluß<lb/>
gehabt hat und noch hat &#x2014; oder um &#x017F;chulgerechter<lb/>
zu &#x017F;prechen: welches von allem die Ur&#x017F;ache ergründen<lb/>
will, die Verbindung zwi&#x017F;chen Ur&#x017F;ach und Wirkung<lb/>
genau erfor&#x017F;cht, und bei Allem den Men&#x017F;chen zu fra-<lb/>
gen zwingt: Warum? eine &#x2026; <hi rendition="#g">&#x017F;tige</hi> Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft, die man auch im gewöhnlichen Leben Ver-<lb/>
nunft zu nennen pflegt.</p><lb/>
          <p>Leider i&#x017F;t Eventualität bei mir weit &#x017F;chwächer,<lb/>
als jenes Organ. Die&#x017F;es, welches man das Reali-<lb/>
tätsvermögen nennen könnte, i&#x017F;t ebenfalls ziemlich<lb/>
&#x017F;chwer zu definiren, und &#x017F;ein geringes Volumen bei<lb/>
mir verurtheilt mich, wie ich fürchte, zu einer Art<lb/>
Poeten, der nur im Traume &#x017F;ehen und leben darf,<lb/>
was er in der Welt &#x017F;elb&#x017F;t nicht erreichen kann.</p><lb/>
          <p>Eventualität i&#x017F;t nicht Thatkraft, obgleich ihr<lb/>
Mangel eine auf den&#x017F;elben Zweck fortwährend ge-<lb/>
richtete Thatkraft verhindert, denn wo &#x017F;ie nicht i&#x017F;t,<lb/>
ent&#x017F;teht eine Abwe&#x017F;enheit des Intere&#x017F;&#x017F;es und der Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit auf das was ge&#x017F;chieht, ein Mangel des<lb/>
prakti&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafts&#x017F;innes. Man hat bemerkt,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0104] Ueber ſo viele Fehler tröſtet mich ſchlecht die große bosse des Cauſalitäts-Organs, welches uns unter andern zwingt, die Unzulänglichkeit der menſch- lichen Exiſtenz immer recht bitter vor Augen zu be- halten, indem es das Vermögen ausübt, ſich ſelbſt und den eignen Geiſt als ein Fremdes zu betrachten und zu analyſiren, ſich zugleich mit den andern Men- ſchen als ein Objekt zu beurtheilen, und dabei will- kürlich von allem zu abſtrahiren, was durch Erzie- hung, Schickſal u. ſ. w. auf dieſe Weſen Einfluß gehabt hat und noch hat — oder um ſchulgerechter zu ſprechen: welches von allem die Urſache ergründen will, die Verbindung zwiſchen Urſach und Wirkung genau erforſcht, und bei Allem den Menſchen zu fra- gen zwingt: Warum? eine … läſtige Eigen- ſchaft, die man auch im gewöhnlichen Leben Ver- nunft zu nennen pflegt. Leider iſt Eventualität bei mir weit ſchwächer, als jenes Organ. Dieſes, welches man das Reali- tätsvermögen nennen könnte, iſt ebenfalls ziemlich ſchwer zu definiren, und ſein geringes Volumen bei mir verurtheilt mich, wie ich fürchte, zu einer Art Poeten, der nur im Traume ſehen und leben darf, was er in der Welt ſelbſt nicht erreichen kann. Eventualität iſt nicht Thatkraft, obgleich ihr Mangel eine auf denſelben Zweck fortwährend ge- richtete Thatkraft verhindert, denn wo ſie nicht iſt, entſteht eine Abweſenheit des Intereſſes und der Auf- merkſamkeit auf das was geſchieht, ein Mangel des praktiſchen Geſellſchaftsſinnes. Man hat bemerkt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/104
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/104>, abgerufen am 19.04.2024.