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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Jungen, die, indem sie die Brust der Mutter ver-
ließen, zum Nachtische die brennende Cigarre in den
Mund steckten. Am ergötzlichsten erschien mir aber
folgende Geschichte eines irländischen Bulls. Es ist
gewiß der stärkste, der je statt gefunden hat, indem
es sich um nichts weniger handelt, als um einen
Bauer, der sich aus Distraktion selbst den Kopf ab-
schneidet. Dabei ist dennoch das Factum authentisch,
und folgendermassen trug sich die unerhörte Begeben-
heit zu.

Die Bauern in Ulster haben die Gewohnheit,
wenn sie vom Wiesenmähen zu Hause gehen, ihre
kolossalen Sensen, welche eine Spitze am Griff ha-
ben, um sie in die Erde zu stecken, gleich einem Ge-
wehre in die Höhe stehend, auf der Schulter zu tra-
gen, so daß die Schärfe der Sense ganz über ihrem
Halse schwebt. Zwei Kameraden schlenderten auf diese
Weise den Fluß entlang nach Hause, als sie einen
großen Lachs gewahrten, der, mit dem Kopf unter
einem Baumstamm verborgen, den Schwanz im Was-
ser emporstreckte.

Sieh Paddy, ruft der Eine, den dummen Lachs,
der glaubt, daß wir ihn nicht sehen, weil er uns
selbst nicht sieht. Hätt' ich doch meinen Speer, dem
wollte ich einen guten Stoß geben. O, sagt der An-
dere, an den Lachs heranschleichend, das muß auch
mit dem Sensenstyl gehen. Gieb acht! und zu stößt
er, und trifft den Lachs richtig, leider aber auch zu-
gleich seinen Kopf mit der Sense, der vor den Au-
gen des erstaunten Kameraden schallend in's Wasser

Jungen, die, indem ſie die Bruſt der Mutter ver-
ließen, zum Nachtiſche die brennende Cigarre in den
Mund ſteckten. Am ergötzlichſten erſchien mir aber
folgende Geſchichte eines irländiſchen Bulls. Es iſt
gewiß der ſtärkſte, der je ſtatt gefunden hat, indem
es ſich um nichts weniger handelt, als um einen
Bauer, der ſich aus Diſtraktion ſelbſt den Kopf ab-
ſchneidet. Dabei iſt dennoch das Factum authentiſch,
und folgendermaſſen trug ſich die unerhörte Begeben-
heit zu.

Die Bauern in Ulſter haben die Gewohnheit,
wenn ſie vom Wieſenmähen zu Hauſe gehen, ihre
koloſſalen Senſen, welche eine Spitze am Griff ha-
ben, um ſie in die Erde zu ſtecken, gleich einem Ge-
wehre in die Höhe ſtehend, auf der Schulter zu tra-
gen, ſo daß die Schärfe der Senſe ganz über ihrem
Halſe ſchwebt. Zwei Kameraden ſchlenderten auf dieſe
Weiſe den Fluß entlang nach Hauſe, als ſie einen
großen Lachs gewahrten, der, mit dem Kopf unter
einem Baumſtamm verborgen, den Schwanz im Waſ-
ſer emporſtreckte.

Sieh Paddy, ruft der Eine, den dummen Lachs,
der glaubt, daß wir ihn nicht ſehen, weil er uns
ſelbſt nicht ſieht. Hätt’ ich doch meinen Speer, dem
wollte ich einen guten Stoß geben. O, ſagt der An-
dere, an den Lachs heranſchleichend, das muß auch
mit dem Senſenſtyl gehen. Gieb acht! und zu ſtößt
er, und trifft den Lachs richtig, leider aber auch zu-
gleich ſeinen Kopf mit der Senſe, der vor den Au-
gen des erſtaunten Kameraden ſchallend in’s Waſſer

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[123/0139] Jungen, die, indem ſie die Bruſt der Mutter ver- ließen, zum Nachtiſche die brennende Cigarre in den Mund ſteckten. Am ergötzlichſten erſchien mir aber folgende Geſchichte eines irländiſchen Bulls. Es iſt gewiß der ſtärkſte, der je ſtatt gefunden hat, indem es ſich um nichts weniger handelt, als um einen Bauer, der ſich aus Diſtraktion ſelbſt den Kopf ab- ſchneidet. Dabei iſt dennoch das Factum authentiſch, und folgendermaſſen trug ſich die unerhörte Begeben- heit zu. Die Bauern in Ulſter haben die Gewohnheit, wenn ſie vom Wieſenmähen zu Hauſe gehen, ihre koloſſalen Senſen, welche eine Spitze am Griff ha- ben, um ſie in die Erde zu ſtecken, gleich einem Ge- wehre in die Höhe ſtehend, auf der Schulter zu tra- gen, ſo daß die Schärfe der Senſe ganz über ihrem Halſe ſchwebt. Zwei Kameraden ſchlenderten auf dieſe Weiſe den Fluß entlang nach Hauſe, als ſie einen großen Lachs gewahrten, der, mit dem Kopf unter einem Baumſtamm verborgen, den Schwanz im Waſ- ſer emporſtreckte. Sieh Paddy, ruft der Eine, den dummen Lachs, der glaubt, daß wir ihn nicht ſehen, weil er uns ſelbſt nicht ſieht. Hätt’ ich doch meinen Speer, dem wollte ich einen guten Stoß geben. O, ſagt der An- dere, an den Lachs heranſchleichend, das muß auch mit dem Senſenſtyl gehen. Gieb acht! und zu ſtößt er, und trifft den Lachs richtig, leider aber auch zu- gleich ſeinen Kopf mit der Senſe, der vor den Au- gen des erſtaunten Kameraden ſchallend in’s Waſſer

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/139>, abgerufen am 25.04.2024.