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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Fünfzehnter Brief.


Liebste Freundin!

Endlich ist der langersehnte Brief erschienen, und
sogar zwei auf einmal. Warum sie so lange un-
terwegs geblieben? Quien sabbe! wie die Süd-
amerikaner sagen. Wahrscheinlich ist der offizielle
Leser faul gewesen, und hat sie zu lange liegen lassen,
ehe er sie künstlich wieder zugesiegelt hat.

Aber wie zart und lieblich, theure Julie, ist Dein
Gedicht -- ein ganz neues Talent, das ich an Dir
entdecke. Ja gebe Gott doch, "daß alle Deine Thrä-
nen zu Blumen werden, uns zu schmücken und uns
durch ihren Duft zu erfreuen," und daß diese schöne,
liebevolle Prophezeihung bald in Erfüllung gehe!
Doch sind selbst die schönsten Blumen so zu theuer
für mich erkauft. Deine Thränen wenigstens sollen
nicht darum fließen!

Briefe eines Verstorbenen. IV. 1

Fuͤnfzehnter Brief.


Liebſte Freundin!

Endlich iſt der langerſehnte Brief erſchienen, und
ſogar zwei auf einmal. Warum ſie ſo lange un-
terwegs geblieben? Quien sabbe! wie die Süd-
amerikaner ſagen. Wahrſcheinlich iſt der offizielle
Leſer faul geweſen, und hat ſie zu lange liegen laſſen,
ehe er ſie künſtlich wieder zugeſiegelt hat.

Aber wie zart und lieblich, theure Julie, iſt Dein
Gedicht — ein ganz neues Talent, das ich an Dir
entdecke. Ja gebe Gott doch, „daß alle Deine Thrä-
nen zu Blumen werden, uns zu ſchmücken und uns
durch ihren Duft zu erfreuen,“ und daß dieſe ſchöne,
liebevolle Prophezeihung bald in Erfüllung gehe!
Doch ſind ſelbſt die ſchönſten Blumen ſo zu theuer
für mich erkauft. Deine Thränen wenigſtens ſollen
nicht darum fließen!

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[[1]/0017] Fuͤnfzehnter Brief. London, den 15ten April 1827. Liebſte Freundin! Endlich iſt der langerſehnte Brief erſchienen, und ſogar zwei auf einmal. Warum ſie ſo lange un- terwegs geblieben? Quien sabbe! wie die Süd- amerikaner ſagen. Wahrſcheinlich iſt der offizielle Leſer faul geweſen, und hat ſie zu lange liegen laſſen, ehe er ſie künſtlich wieder zugeſiegelt hat. Aber wie zart und lieblich, theure Julie, iſt Dein Gedicht — ein ganz neues Talent, das ich an Dir entdecke. Ja gebe Gott doch, „daß alle Deine Thrä- nen zu Blumen werden, uns zu ſchmücken und uns durch ihren Duft zu erfreuen,“ und daß dieſe ſchöne, liebevolle Prophezeihung bald in Erfüllung gehe! Doch ſind ſelbſt die ſchönſten Blumen ſo zu theuer für mich erkauft. Deine Thränen wenigſtens ſollen nicht darum fließen! Briefe eines Verſtorbenen. IV. 1

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/17>, abgerufen am 28.03.2024.