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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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Die Terrasse des Schlosses zu Windsor dient den
Städtern zu einer sehr angenehmen Promenade,
welche häufig durch die Musik der Garde belebt wird.

Ich besuchte sie diesen Morgen mit den liebenswür-
digen Misses C., und machte dann der Castellanin
des Schlosses, einer alten unverheiratheten Dame,
mit ihnen eine Visite.

Man konnte nicht schöner wohnen. Jedes Fenster
bot dem Blicke eine andre herrliche Landschaft dar.
Die jungen Damen hatten sich unterdessen in den
Nebenstuben vertheilt, und ich erschrack fast, als die
bejahrte Jungfer mich beim Arme nahm und mir zu-
flüsterte: sie fühle jetzt noch ein wahres Bedürfniß,
mir eine zwar alte, aber doch sehr interessante Merk-
würdigkeit in ihrem Schlafzimmer zu zeigen. -- Das
Schlafzimmer einer Engländerin pflegt sonst ein Hei-
ligthum zu seyn, das nur den Vertrautesten geöffnet
wird. Ich war also nicht wenig über diese Offerte
verwundert, um so mehr, da die alte Dame ohne
Weiteres gerade auf ihr Bett zusteuerte, die Vor-
hänge aufzog, und .... que diable veut elle faire?
sagte ich zu mir selbst -- als sie mich auf einen Stein
in der Wand aufmerksam machte, auf dem ich eine
verwitterte Inschrift erblickte. "Dies hat ein junger
reizender Ritter in seiner Todesstunde geschrieben,
my dear Sir, der hier im Gefängniß schmachtete,


Die Terraſſe des Schloſſes zu Windſor dient den
Städtern zu einer ſehr angenehmen Promenade,
welche häufig durch die Muſik der Garde belebt wird.

Ich beſuchte ſie dieſen Morgen mit den liebenswür-
digen Miſſes C., und machte dann der Caſtellanin
des Schloſſes, einer alten unverheiratheten Dame,
mit ihnen eine Viſite.

Man konnte nicht ſchöner wohnen. Jedes Fenſter
bot dem Blicke eine andre herrliche Landſchaft dar.
Die jungen Damen hatten ſich unterdeſſen in den
Nebenſtuben vertheilt, und ich erſchrack faſt, als die
bejahrte Jungfer mich beim Arme nahm und mir zu-
flüſterte: ſie fühle jetzt noch ein wahres Bedürfniß,
mir eine zwar alte, aber doch ſehr intereſſante Merk-
würdigkeit in ihrem Schlafzimmer zu zeigen. — Das
Schlafzimmer einer Engländerin pflegt ſonſt ein Hei-
ligthum zu ſeyn, das nur den Vertrauteſten geöffnet
wird. Ich war alſo nicht wenig über dieſe Offerte
verwundert, um ſo mehr, da die alte Dame ohne
Weiteres gerade auf ihr Bett zuſteuerte, die Vor-
hänge aufzog, und .... que diable veut elle faire?
ſagte ich zu mir ſelbſt — als ſie mich auf einen Stein
in der Wand aufmerkſam machte, auf dem ich eine
verwitterte Inſchrift erblickte. „Dies hat ein junger
reizender Ritter in ſeiner Todesſtunde geſchrieben,
my dear Sir, der hier im Gefängniß ſchmachtete,

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[155/0171] Den 30ſten. Die Terraſſe des Schloſſes zu Windſor dient den Städtern zu einer ſehr angenehmen Promenade, welche häufig durch die Muſik der Garde belebt wird. Ich beſuchte ſie dieſen Morgen mit den liebenswür- digen Miſſes C., und machte dann der Caſtellanin des Schloſſes, einer alten unverheiratheten Dame, mit ihnen eine Viſite. Man konnte nicht ſchöner wohnen. Jedes Fenſter bot dem Blicke eine andre herrliche Landſchaft dar. Die jungen Damen hatten ſich unterdeſſen in den Nebenſtuben vertheilt, und ich erſchrack faſt, als die bejahrte Jungfer mich beim Arme nahm und mir zu- flüſterte: ſie fühle jetzt noch ein wahres Bedürfniß, mir eine zwar alte, aber doch ſehr intereſſante Merk- würdigkeit in ihrem Schlafzimmer zu zeigen. — Das Schlafzimmer einer Engländerin pflegt ſonſt ein Hei- ligthum zu ſeyn, das nur den Vertrauteſten geöffnet wird. Ich war alſo nicht wenig über dieſe Offerte verwundert, um ſo mehr, da die alte Dame ohne Weiteres gerade auf ihr Bett zuſteuerte, die Vor- hänge aufzog, und .... que diable veut elle faire? ſagte ich zu mir ſelbſt — als ſie mich auf einen Stein in der Wand aufmerkſam machte, auf dem ich eine verwitterte Inſchrift erblickte. „Dies hat ein junger reizender Ritter in ſeiner Todesſtunde geſchrieben, my dear Sir, der hier im Gefängniß ſchmachtete,

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/171>, abgerufen am 19.04.2024.