Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

Wagen in der Frau von Maintenon Briefen an die
Princesse des Ursins, ein Buch, das mich sehr un-
terhielt. Viele Stellen sind für die Schilderung je-
ner Zeiten und Sitten höchst merkwürdig. Uebrigens
versteht die Incognito-Königin natürlich das Hofle-
ben aus dem Grunde, und erinnert in ihrem Beneh-
men oft auffallend an einen Deiner guten Freunde,
besonders in der Art, wie sie stets Unwissenheit al-
les dessen, was vorgeht, affektirt, und mit Gering-
schätzung von ihrem eignen Einfluß spricht. Dabei
zeigt sie aber auch viel Milde und Klugheit, und so
ungemeinen Anstand in Allem, daß man sie lieber
gewinnen muß, als die Geschichte sie uns eigentlich
schildert. Es ist zwar immer schlimm, ein altes Weib
regieren zu lassen, es mag nun einen Jupon oder
Hosen anhaben, aber zu jener Zeit ging es doch noch
eher wie heutzutage, denn im Ganzen waren die
Leute doch offenbar damals, weit mehr wie jetzt,
naive große Kinder, und führten sogar den Krieg auf
diese Weise, ja selbst den lieben Gott sahen sie nur
wie einen höher potenzirten Ludwig den Vierzehnten
an, und, wie ächte Höflinge, verließen sie in arti-
culo mortis
augenblicklich den irdischen König, keine
Notiz weiter von ihm nehmend, um sich von nun
bis zum Ende nur reuig dem, als zu entfernt bis
jetzt vernachlässigten, mächtigeren Herrscher allein zu
weihen. Man kann auch in den alten Memoiren
sehr wohl bemerken, daß diejenigen, welche bei Hofe
immer gut oder leidlich durchzukommen wußten, gleich-
falls mit mehr Vertrauen auf ihr savoir faire im

Wagen in der Frau von Maintenon Briefen an die
Princesse des Ursins, ein Buch, das mich ſehr un-
terhielt. Viele Stellen ſind für die Schilderung je-
ner Zeiten und Sitten höchſt merkwürdig. Uebrigens
verſteht die Incognito-Königin natürlich das Hofle-
ben aus dem Grunde, und erinnert in ihrem Beneh-
men oft auffallend an einen Deiner guten Freunde,
beſonders in der Art, wie ſie ſtets Unwiſſenheit al-
les deſſen, was vorgeht, affektirt, und mit Gering-
ſchätzung von ihrem eignen Einfluß ſpricht. Dabei
zeigt ſie aber auch viel Milde und Klugheit, und ſo
ungemeinen Anſtand in Allem, daß man ſie lieber
gewinnen muß, als die Geſchichte ſie uns eigentlich
ſchildert. Es iſt zwar immer ſchlimm, ein altes Weib
regieren zu laſſen, es mag nun einen Jupon oder
Hoſen anhaben, aber zu jener Zeit ging es doch noch
eher wie heutzutage, denn im Ganzen waren die
Leute doch offenbar damals, weit mehr wie jetzt,
naive große Kinder, und führten ſogar den Krieg auf
dieſe Weiſe, ja ſelbſt den lieben Gott ſahen ſie nur
wie einen höher potenzirten Ludwig den Vierzehnten
an, und, wie ächte Höflinge, verließen ſie in arti-
culo mortis
augenblicklich den irdiſchen König, keine
Notiz weiter von ihm nehmend, um ſich von nun
bis zum Ende nur reuig dem, als zu entfernt bis
jetzt vernachläſſigten, mächtigeren Herrſcher allein zu
weihen. Man kann auch in den alten Memoiren
ſehr wohl bemerken, daß diejenigen, welche bei Hofe
immer gut oder leidlich durchzukommen wußten, gleich-
falls mit mehr Vertrauen auf ihr savoir faire im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0188" n="172"/>
Wagen in der Frau von Maintenon Briefen an die<lb/><hi rendition="#aq">Princesse des Ursins,</hi> ein Buch, das mich &#x017F;ehr un-<lb/>
terhielt. Viele Stellen &#x017F;ind für die Schilderung je-<lb/>
ner Zeiten und Sitten höch&#x017F;t merkwürdig. Uebrigens<lb/>
ver&#x017F;teht die Incognito-Königin natürlich das Hofle-<lb/>
ben aus dem Grunde, und erinnert in ihrem Beneh-<lb/>
men oft auffallend an einen Deiner guten Freunde,<lb/>
be&#x017F;onders in der Art, wie &#x017F;ie &#x017F;tets Unwi&#x017F;&#x017F;enheit al-<lb/>
les de&#x017F;&#x017F;en, was vorgeht, affektirt, und mit Gering-<lb/>
&#x017F;chätzung von ihrem eignen Einfluß &#x017F;pricht. Dabei<lb/>
zeigt &#x017F;ie aber auch viel Milde und Klugheit, und &#x017F;o<lb/>
ungemeinen An&#x017F;tand in Allem, daß man &#x017F;ie lieber<lb/>
gewinnen muß, als die Ge&#x017F;chichte &#x017F;ie uns eigentlich<lb/>
&#x017F;childert. Es i&#x017F;t zwar immer &#x017F;chlimm, ein altes Weib<lb/>
regieren zu la&#x017F;&#x017F;en, es mag nun einen Jupon oder<lb/>
Ho&#x017F;en anhaben, aber zu jener Zeit ging es doch noch<lb/>
eher wie heutzutage, denn im Ganzen waren die<lb/>
Leute doch offenbar damals, weit mehr wie jetzt,<lb/>
naive große Kinder, und führten &#x017F;ogar den Krieg auf<lb/>
die&#x017F;e Wei&#x017F;e, ja &#x017F;elb&#x017F;t den lieben Gott &#x017F;ahen &#x017F;ie nur<lb/>
wie einen höher potenzirten Ludwig den Vierzehnten<lb/>
an, und, wie ächte Höflinge, verließen &#x017F;ie <hi rendition="#aq">in arti-<lb/>
culo mortis</hi> augenblicklich den irdi&#x017F;chen König, keine<lb/>
Notiz weiter von ihm nehmend, um &#x017F;ich von nun<lb/>
bis zum Ende nur reuig dem, als zu entfernt bis<lb/>
jetzt vernachlä&#x017F;&#x017F;igten, mächtigeren Herr&#x017F;cher allein zu<lb/>
weihen. Man kann auch in den alten Memoiren<lb/>
&#x017F;ehr wohl bemerken, daß diejenigen, welche bei Hofe<lb/>
immer gut oder leidlich durchzukommen wußten, gleich-<lb/>
falls mit mehr Vertrauen auf ihr <hi rendition="#aq">savoir faire</hi> im<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0188] Wagen in der Frau von Maintenon Briefen an die Princesse des Ursins, ein Buch, das mich ſehr un- terhielt. Viele Stellen ſind für die Schilderung je- ner Zeiten und Sitten höchſt merkwürdig. Uebrigens verſteht die Incognito-Königin natürlich das Hofle- ben aus dem Grunde, und erinnert in ihrem Beneh- men oft auffallend an einen Deiner guten Freunde, beſonders in der Art, wie ſie ſtets Unwiſſenheit al- les deſſen, was vorgeht, affektirt, und mit Gering- ſchätzung von ihrem eignen Einfluß ſpricht. Dabei zeigt ſie aber auch viel Milde und Klugheit, und ſo ungemeinen Anſtand in Allem, daß man ſie lieber gewinnen muß, als die Geſchichte ſie uns eigentlich ſchildert. Es iſt zwar immer ſchlimm, ein altes Weib regieren zu laſſen, es mag nun einen Jupon oder Hoſen anhaben, aber zu jener Zeit ging es doch noch eher wie heutzutage, denn im Ganzen waren die Leute doch offenbar damals, weit mehr wie jetzt, naive große Kinder, und führten ſogar den Krieg auf dieſe Weiſe, ja ſelbſt den lieben Gott ſahen ſie nur wie einen höher potenzirten Ludwig den Vierzehnten an, und, wie ächte Höflinge, verließen ſie in arti- culo mortis augenblicklich den irdiſchen König, keine Notiz weiter von ihm nehmend, um ſich von nun bis zum Ende nur reuig dem, als zu entfernt bis jetzt vernachläſſigten, mächtigeren Herrſcher allein zu weihen. Man kann auch in den alten Memoiren ſehr wohl bemerken, daß diejenigen, welche bei Hofe immer gut oder leidlich durchzukommen wußten, gleich- falls mit mehr Vertrauen auf ihr savoir faire im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/188
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/188>, abgerufen am 18.04.2024.