Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

dert Jahre früher) seinen Titel verdankt, wie seine
Gemahlin jetzt den ihrigen.

Es ist eine sehr gute Frau, die sich nicht scheut,
von der Vergangenheit zu sprechen, im Gegentheil
ihrer, vielleicht zu oft, Erwähnung thut. So unter-
hielt sie uns den ganzen Abend aus freien Stücken
mit der Darstellung mehrerer Rollen aus ihrem Schau-
spielerleben. Das drolligste dabei war, daß sie ihren
sehr jungen Mann, der 30 Jahr jünger ist als sie,
die Liebhaber-Rollen einstudirt hatte, welche ihm gar
nicht recht gelingen wollten. Die bösen Zungen wa-
ren natürlich dabei sehr geschäftig, um so mehr, da
viele der rezitirten Stellen zu den pikantesten An-
spielungen fortwährend Anlaß gaben.

Nach einem dreitägigen angenehmen Aufenthalt
kehrte ich hieher zurück, und feire heute meinen Ge-
burtstag in tiefster Einsamkeit bei verschlossenen Thü-
ren. Drei Viertel meiner melancholischen Anwande-
lungen habe ich gewiß dem Monat zu verdanken,
in dem ich das Licht der Welt erblickte. Mai-
kinder sind weit heiterer, ich habe noch nie einen
hypochondrischen Sohn des Frühlings gesehen. Mir
fiel einmal ein Lied, überschrieben: Prognostica, in
die Hände. Es thut mir sehr leid, daß ich es nicht
aufbewahrt habe, denn für jeden Monat der Geburt
war den Erdenkindern ihr Loos verkündet. Nur das
erinnere ich mich noch, daß den im Oktober Gebor-
nen ein trüber Sinn zugeschrieben war, und der
Spruch also anhub:

dert Jahre früher) ſeinen Titel verdankt, wie ſeine
Gemahlin jetzt den ihrigen.

Es iſt eine ſehr gute Frau, die ſich nicht ſcheut,
von der Vergangenheit zu ſprechen, im Gegentheil
ihrer, vielleicht zu oft, Erwähnung thut. So unter-
hielt ſie uns den ganzen Abend aus freien Stücken
mit der Darſtellung mehrerer Rollen aus ihrem Schau-
ſpielerleben. Das drolligſte dabei war, daß ſie ihren
ſehr jungen Mann, der 30 Jahr jünger iſt als ſie,
die Liebhaber-Rollen einſtudirt hatte, welche ihm gar
nicht recht gelingen wollten. Die böſen Zungen wa-
ren natürlich dabei ſehr geſchäftig, um ſo mehr, da
viele der rezitirten Stellen zu den pikanteſten An-
ſpielungen fortwährend Anlaß gaben.

Nach einem dreitägigen angenehmen Aufenthalt
kehrte ich hieher zurück, und feire heute meinen Ge-
burtstag in tiefſter Einſamkeit bei verſchloſſenen Thü-
ren. Drei Viertel meiner melancholiſchen Anwande-
lungen habe ich gewiß dem Monat zu verdanken,
in dem ich das Licht der Welt erblickte. Mai-
kinder ſind weit heiterer, ich habe noch nie einen
hypochondriſchen Sohn des Frühlings geſehen. Mir
fiel einmal ein Lied, überſchrieben: Prognostica, in
die Hände. Es thut mir ſehr leid, daß ich es nicht
aufbewahrt habe, denn für jeden Monat der Geburt
war den Erdenkindern ihr Loos verkündet. Nur das
erinnere ich mich noch, daß den im Oktober Gebor-
nen ein trüber Sinn zugeſchrieben war, und der
Spruch alſo anhub:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0258" n="242"/>
dert Jahre früher) &#x017F;einen Titel verdankt, wie &#x017F;eine<lb/>
Gemahlin jetzt den ihrigen.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t eine &#x017F;ehr gute Frau, die &#x017F;ich nicht &#x017F;cheut,<lb/>
von der Vergangenheit zu &#x017F;prechen, im Gegentheil<lb/>
ihrer, vielleicht zu oft, Erwähnung thut. So unter-<lb/>
hielt &#x017F;ie uns den ganzen Abend aus freien Stücken<lb/>
mit der Dar&#x017F;tellung mehrerer Rollen aus ihrem Schau-<lb/>
&#x017F;pielerleben. Das drollig&#x017F;te dabei war, daß &#x017F;ie ihren<lb/>
&#x017F;ehr jungen Mann, der 30 Jahr jünger i&#x017F;t als &#x017F;ie,<lb/>
die Liebhaber-Rollen ein&#x017F;tudirt hatte, welche ihm gar<lb/>
nicht recht gelingen wollten. Die bö&#x017F;en Zungen wa-<lb/>
ren natürlich dabei &#x017F;ehr ge&#x017F;chäftig, um &#x017F;o mehr, da<lb/>
viele der rezitirten Stellen zu den pikante&#x017F;ten An-<lb/>
&#x017F;pielungen fortwährend Anlaß gaben.</p><lb/>
          <p>Nach einem dreitägigen angenehmen Aufenthalt<lb/>
kehrte ich hieher zurück, und feire heute meinen Ge-<lb/>
burtstag in tief&#x017F;ter Ein&#x017F;amkeit bei ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Thü-<lb/>
ren. Drei Viertel meiner melancholi&#x017F;chen Anwande-<lb/>
lungen habe ich gewiß dem Monat zu verdanken,<lb/>
in dem ich das Licht der Welt erblickte. Mai-<lb/>
kinder &#x017F;ind weit heiterer, ich habe noch nie einen<lb/>
hypochondri&#x017F;chen Sohn des Frühlings ge&#x017F;ehen. Mir<lb/>
fiel einmal ein Lied, über&#x017F;chrieben: <hi rendition="#aq">Prognostica,</hi> in<lb/>
die Hände. Es thut mir &#x017F;ehr leid, daß ich es nicht<lb/>
aufbewahrt habe, denn für jeden Monat der Geburt<lb/>
war den Erdenkindern ihr Loos verkündet. Nur das<lb/>
erinnere ich mich noch, daß den im Oktober Gebor-<lb/>
nen ein trüber Sinn zuge&#x017F;chrieben war, und der<lb/>
Spruch al&#x017F;o anhub:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0258] dert Jahre früher) ſeinen Titel verdankt, wie ſeine Gemahlin jetzt den ihrigen. Es iſt eine ſehr gute Frau, die ſich nicht ſcheut, von der Vergangenheit zu ſprechen, im Gegentheil ihrer, vielleicht zu oft, Erwähnung thut. So unter- hielt ſie uns den ganzen Abend aus freien Stücken mit der Darſtellung mehrerer Rollen aus ihrem Schau- ſpielerleben. Das drolligſte dabei war, daß ſie ihren ſehr jungen Mann, der 30 Jahr jünger iſt als ſie, die Liebhaber-Rollen einſtudirt hatte, welche ihm gar nicht recht gelingen wollten. Die böſen Zungen wa- ren natürlich dabei ſehr geſchäftig, um ſo mehr, da viele der rezitirten Stellen zu den pikanteſten An- ſpielungen fortwährend Anlaß gaben. Nach einem dreitägigen angenehmen Aufenthalt kehrte ich hieher zurück, und feire heute meinen Ge- burtstag in tiefſter Einſamkeit bei verſchloſſenen Thü- ren. Drei Viertel meiner melancholiſchen Anwande- lungen habe ich gewiß dem Monat zu verdanken, in dem ich das Licht der Welt erblickte. Mai- kinder ſind weit heiterer, ich habe noch nie einen hypochondriſchen Sohn des Frühlings geſehen. Mir fiel einmal ein Lied, überſchrieben: Prognostica, in die Hände. Es thut mir ſehr leid, daß ich es nicht aufbewahrt habe, denn für jeden Monat der Geburt war den Erdenkindern ihr Loos verkündet. Nur das erinnere ich mich noch, daß den im Oktober Gebor- nen ein trüber Sinn zugeſchrieben war, und der Spruch alſo anhub:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/258
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/258>, abgerufen am 28.03.2024.