Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

angelangt, hat er seine gewöhnlichen Abenteuer,
Duelle, Entführungen etc., die Reiter-Statue im
Charing-Croß ladet ihn zum Thee ein, seine Gläubi-
ger aber bringen ihn nach Kingsbench, aus dem eine
reiche Heirath ihn zuletzt errettet, nach welcher er nun
erst -- in einer bösen Frau endlich die genügende
Strafe seiner Sünden findet, was die Hölle nicht ver-
mochte. Madame Vestris ist als Don Juan der wun-
derlieblichste und verführerischeste Jüngling, dem man
es auch gleich anmerkt, daß es ihm nicht an Routine
fehlt.

Das Stück amüsirte mich, und noch unterhaltender
fand ich einen neuen Roman auf meinem Tische zu
Hause, der (allerdings eine schon oft gebrauchte Idee)
im Jahr 2200 spielt.

England ist darin wieder katholisch und eine abso-
lute Monarchie geworden, und die allgemeine Bil-
dung hat solche Fortschritte gemacht, daß Gelehrsam-
keit Gemeingut der niedrigsten Klassen geworden ist.
Jeder Handwerker arbeitet nur rationell, nach ma-
thematischen und chemischen Prinzipien. Lakayen und
Köchinnen, welche Namen, wie Abelard, Heloise etc.
führen; sprechen mit dem Tone der Jenaer Litera-
turzeitung, dagegen es unter den hohen Ständen
Mode geworden ist, sich, im Gegensatz zu dem Plebs,
der gemeinsten Sprache und Ausdrücke zu bedienen,
und ausser Lesen und Schreiben jede weitere Kennt-
niß sorgfältig zu verbergen. Dieser Gedanke ist witzig,
und vielleicht prophetisch!

angelangt, hat er ſeine gewöhnlichen Abenteuer,
Duelle, Entführungen ꝛc., die Reiter-Statue im
Charing-Croß ladet ihn zum Thee ein, ſeine Gläubi-
ger aber bringen ihn nach Kingsbench, aus dem eine
reiche Heirath ihn zuletzt errettet, nach welcher er nun
erſt — in einer böſen Frau endlich die genügende
Strafe ſeiner Sünden findet, was die Hölle nicht ver-
mochte. Madame Veſtris iſt als Don Juan der wun-
derlieblichſte und verführeriſcheſte Jüngling, dem man
es auch gleich anmerkt, daß es ihm nicht an Routine
fehlt.

Das Stück amüſirte mich, und noch unterhaltender
fand ich einen neuen Roman auf meinem Tiſche zu
Hauſe, der (allerdings eine ſchon oft gebrauchte Idee)
im Jahr 2200 ſpielt.

England iſt darin wieder katholiſch und eine abſo-
lute Monarchie geworden, und die allgemeine Bil-
dung hat ſolche Fortſchritte gemacht, daß Gelehrſam-
keit Gemeingut der niedrigſten Klaſſen geworden iſt.
Jeder Handwerker arbeitet nur rationell, nach ma-
thematiſchen und chemiſchen Prinzipien. Lakayen und
Köchinnen, welche Namen, wie Abelard, Heloiſe ꝛc.
führen; ſprechen mit dem Tone der Jenaer Litera-
turzeitung, dagegen es unter den hohen Ständen
Mode geworden iſt, ſich, im Gegenſatz zu dem Plebs,
der gemeinſten Sprache und Ausdrücke zu bedienen,
und auſſer Leſen und Schreiben jede weitere Kennt-
niß ſorgfältig zu verbergen. Dieſer Gedanke iſt witzig,
und vielleicht prophetiſch!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="244"/>
angelangt, hat er &#x017F;eine gewöhnlichen Abenteuer,<lb/>
Duelle, Entführungen &#xA75B;c., die Reiter-Statue im<lb/>
Charing-Croß ladet ihn zum Thee ein, &#x017F;eine Gläubi-<lb/>
ger aber bringen ihn nach Kingsbench, aus dem eine<lb/>
reiche Heirath ihn zuletzt errettet, nach welcher er nun<lb/>
er&#x017F;t &#x2014; in einer bö&#x017F;en Frau endlich die genügende<lb/>
Strafe &#x017F;einer Sünden findet, was die Hölle nicht ver-<lb/>
mochte. Madame Ve&#x017F;tris i&#x017F;t als Don Juan der wun-<lb/>
derlieblich&#x017F;te und verführeri&#x017F;che&#x017F;te Jüngling, dem man<lb/>
es auch gleich anmerkt, daß es ihm nicht an Routine<lb/>
fehlt.</p><lb/>
          <p>Das Stück amü&#x017F;irte mich, und noch unterhaltender<lb/>
fand ich einen neuen Roman auf meinem Ti&#x017F;che zu<lb/>
Hau&#x017F;e, der (allerdings eine &#x017F;chon oft gebrauchte Idee)<lb/>
im Jahr 2200 &#x017F;pielt.</p><lb/>
          <p>England i&#x017F;t darin wieder katholi&#x017F;ch und eine ab&#x017F;o-<lb/>
lute Monarchie geworden, <hi rendition="#g">und</hi> die allgemeine Bil-<lb/>
dung hat &#x017F;olche Fort&#x017F;chritte gemacht, daß Gelehr&#x017F;am-<lb/>
keit Gemeingut der niedrig&#x017F;ten Kla&#x017F;&#x017F;en geworden i&#x017F;t.<lb/>
Jeder Handwerker arbeitet nur rationell, nach ma-<lb/>
themati&#x017F;chen und chemi&#x017F;chen Prinzipien. Lakayen und<lb/>
Köchinnen, welche Namen, wie Abelard, Heloi&#x017F;e &#xA75B;c.<lb/>
führen; &#x017F;prechen mit dem Tone der Jenaer Litera-<lb/>
turzeitung, dagegen es unter den hohen Ständen<lb/>
Mode geworden i&#x017F;t, &#x017F;ich, im Gegen&#x017F;atz zu dem Plebs,<lb/>
der gemein&#x017F;ten Sprache und Ausdrücke zu bedienen,<lb/>
und au&#x017F;&#x017F;er Le&#x017F;en und Schreiben jede weitere Kennt-<lb/>
niß &#x017F;orgfältig zu verbergen. Die&#x017F;er Gedanke i&#x017F;t witzig,<lb/>
und vielleicht propheti&#x017F;ch!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0260] angelangt, hat er ſeine gewöhnlichen Abenteuer, Duelle, Entführungen ꝛc., die Reiter-Statue im Charing-Croß ladet ihn zum Thee ein, ſeine Gläubi- ger aber bringen ihn nach Kingsbench, aus dem eine reiche Heirath ihn zuletzt errettet, nach welcher er nun erſt — in einer böſen Frau endlich die genügende Strafe ſeiner Sünden findet, was die Hölle nicht ver- mochte. Madame Veſtris iſt als Don Juan der wun- derlieblichſte und verführeriſcheſte Jüngling, dem man es auch gleich anmerkt, daß es ihm nicht an Routine fehlt. Das Stück amüſirte mich, und noch unterhaltender fand ich einen neuen Roman auf meinem Tiſche zu Hauſe, der (allerdings eine ſchon oft gebrauchte Idee) im Jahr 2200 ſpielt. England iſt darin wieder katholiſch und eine abſo- lute Monarchie geworden, und die allgemeine Bil- dung hat ſolche Fortſchritte gemacht, daß Gelehrſam- keit Gemeingut der niedrigſten Klaſſen geworden iſt. Jeder Handwerker arbeitet nur rationell, nach ma- thematiſchen und chemiſchen Prinzipien. Lakayen und Köchinnen, welche Namen, wie Abelard, Heloiſe ꝛc. führen; ſprechen mit dem Tone der Jenaer Litera- turzeitung, dagegen es unter den hohen Ständen Mode geworden iſt, ſich, im Gegenſatz zu dem Plebs, der gemeinſten Sprache und Ausdrücke zu bedienen, und auſſer Leſen und Schreiben jede weitere Kennt- niß ſorgfältig zu verbergen. Dieſer Gedanke iſt witzig, und vielleicht prophetiſch!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/260
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/260>, abgerufen am 28.03.2024.