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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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sich dadurch wieder selbst bessern, und man kann un-
bedingt annehmen, daß die Menschen, wenn sie von
Hause aus stets vernünftig und gut handelten, kaum
ein Leid mehr kennen würden. Aber die Freuden
müßten auch so subtil werden, daß man auf alles
Irdische nur wenig Werth mehr setzen könnte. Keine
Dines mehr, bei denen man so gerne eine Indigestion
riskirt. Kein Ruhm mehr, dem man mit so viel be-
friedigter Eitelkeit nachjagt, kein süßes und verbot-
nes Liebeswagen, kein Glanz, der es andern zuvor-
thut! -- es wäre am Ende, Gott verzeih mir die
Sünde, doch nur ein wahres Philisterleben, ein
Stillstand, wenn gleich in scheinbarer Vollkommen-
heit. Wahres Leben aber ist Bewegung und Con-
trast. Es wäre also am Ende das größte Ungemach,
wenn wir einmal alle hier ganz vernünftig würden.
Ich glaube indeß, die Gefahr ist noch nicht so nahe.
Du siehst, meine Krankheit hat mich bis jetzt nicht
geändert, ich würde Dir aber dennoch gar nichts da-
von geschrieben haben, wenn dieser Brief eher ab-
ginge, als bis ich ganz hergestellt bin. So kannst
Du ihn aber mit völliger Seelenruhe lesen, und über-
zeugt seyn, daß ich bis zum letzten Hauch Alles ge-
nießen will, was uns der freundliche Gott bescheert
hat, Heller oder Goldstücke, Kartenhäuser oder Pal-
läste, Seifenblasen oder Rang und Würden, wie es
die Zeiten und Umstände mit sich bringen, und zu-
letzt auch noch den Tod, und was dann Neues darauf
hier oder dort folgen wird. Schön sind die ernsten
Tugenden aber dazwischen als Würze! So z. B. ge-

ſich dadurch wieder ſelbſt beſſern, und man kann un-
bedingt annehmen, daß die Menſchen, wenn ſie von
Hauſe aus ſtets vernünftig und gut handelten, kaum
ein Leid mehr kennen würden. Aber die Freuden
müßten auch ſo ſubtil werden, daß man auf alles
Irdiſche nur wenig Werth mehr ſetzen könnte. Keine
Dinés mehr, bei denen man ſo gerne eine Indigeſtion
riskirt. Kein Ruhm mehr, dem man mit ſo viel be-
friedigter Eitelkeit nachjagt, kein ſüßes und verbot-
nes Liebeswagen, kein Glanz, der es andern zuvor-
thut! — es wäre am Ende, Gott verzeih mir die
Sünde, doch nur ein wahres Philiſterleben, ein
Stillſtand, wenn gleich in ſcheinbarer Vollkommen-
heit. Wahres Leben aber iſt Bewegung und Con-
traſt. Es wäre alſo am Ende das größte Ungemach,
wenn wir einmal alle hier ganz vernünftig würden.
Ich glaube indeß, die Gefahr iſt noch nicht ſo nahe.
Du ſiehſt, meine Krankheit hat mich bis jetzt nicht
geändert, ich würde Dir aber dennoch gar nichts da-
von geſchrieben haben, wenn dieſer Brief eher ab-
ginge, als bis ich ganz hergeſtellt bin. So kannſt
Du ihn aber mit völliger Seelenruhe leſen, und über-
zeugt ſeyn, daß ich bis zum letzten Hauch Alles ge-
nießen will, was uns der freundliche Gott beſcheert
hat, Heller oder Goldſtücke, Kartenhäuſer oder Pal-
läſte, Seifenblaſen oder Rang und Würden, wie es
die Zeiten und Umſtände mit ſich bringen, und zu-
letzt auch noch den Tod, und was dann Neues darauf
hier oder dort folgen wird. Schön ſind die ernſten
Tugenden aber dazwiſchen als Würze! So z. B. ge-

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[309/0327] ſich dadurch wieder ſelbſt beſſern, und man kann un- bedingt annehmen, daß die Menſchen, wenn ſie von Hauſe aus ſtets vernünftig und gut handelten, kaum ein Leid mehr kennen würden. Aber die Freuden müßten auch ſo ſubtil werden, daß man auf alles Irdiſche nur wenig Werth mehr ſetzen könnte. Keine Dinés mehr, bei denen man ſo gerne eine Indigeſtion riskirt. Kein Ruhm mehr, dem man mit ſo viel be- friedigter Eitelkeit nachjagt, kein ſüßes und verbot- nes Liebeswagen, kein Glanz, der es andern zuvor- thut! — es wäre am Ende, Gott verzeih mir die Sünde, doch nur ein wahres Philiſterleben, ein Stillſtand, wenn gleich in ſcheinbarer Vollkommen- heit. Wahres Leben aber iſt Bewegung und Con- traſt. Es wäre alſo am Ende das größte Ungemach, wenn wir einmal alle hier ganz vernünftig würden. Ich glaube indeß, die Gefahr iſt noch nicht ſo nahe. Du ſiehſt, meine Krankheit hat mich bis jetzt nicht geändert, ich würde Dir aber dennoch gar nichts da- von geſchrieben haben, wenn dieſer Brief eher ab- ginge, als bis ich ganz hergeſtellt bin. So kannſt Du ihn aber mit völliger Seelenruhe leſen, und über- zeugt ſeyn, daß ich bis zum letzten Hauch Alles ge- nießen will, was uns der freundliche Gott beſcheert hat, Heller oder Goldſtücke, Kartenhäuſer oder Pal- läſte, Seifenblaſen oder Rang und Würden, wie es die Zeiten und Umſtände mit ſich bringen, und zu- letzt auch noch den Tod, und was dann Neues darauf hier oder dort folgen wird. Schön ſind die ernſten Tugenden aber dazwiſchen als Würze! So z. B. ge-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/327>, abgerufen am 24.04.2024.