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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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mittel ein Ministerium in allen Fällen wird bestehen
können. Es ist schon ein Vortheil, daß dem letztern
nicht in der Theorie das wirklich eingeräumt ist (wie
in despotisch regierten Staaten) was es indirekt in
der Praxis allerdings nicht ganz entbehren kann, ohn-
gefähr so wie eines Predigers Leben auch nimmer
seinen Lehren gleich kömmt. Man muß nicht ver-
gessen, daß menschliche Dinge sich höchstens nur dem
Vollkommnen nähern, es aber nie erreichen können,
daher man sich bei Reformen sehr in acht zu nehmen
hat und nie ganz vergessen darf, que le mieux est
l' ennemi du bien.
Demohngeachtet scheint nach vie-
len Anzeichen England einer Reform entgegen zu
gehen, weil es sie aus andern Gründen fast nicht
mehr vermeiden kann, ob aber zu seinem Vortheil, ist
noch sehr die Frage. Vielleicht ist die Nothwendig-
keit derselben eben nur der Beweis, daß seine Größe
sich überlebt hat und zu sinken anfängt.

Den Abend besuchte ich das Adelphi-Theater, wo
ein Taschenspieler auf eine ganz neue Art seine Künste
unter dem Titel Conversazione exhibirte. Er stand näm-
lich unter vielen Tischen und Maschinen auf dem Thea-
ter, erzählte zuerst seine Reise mit der Diligence, wo
er verschiedene Charaktere und Anekdoten vorführte,
einige Chansons sang, und dazwischen seine Kunst-
stücke, oder Geistererscheinungen und optische Dar-
stellungen, in die Erzählung als Begebenheit ein-
passend, anbrachte -- gewiß eine gute Idee, die dem
gewöhnlichen Kunststückenmachen ein größeres In-

mittel ein Miniſterium in allen Fällen wird beſtehen
können. Es iſt ſchon ein Vortheil, daß dem letztern
nicht in der Theorie das wirklich eingeräumt iſt (wie
in despotiſch regierten Staaten) was es indirekt in
der Praxis allerdings nicht ganz entbehren kann, ohn-
gefähr ſo wie eines Predigers Leben auch nimmer
ſeinen Lehren gleich kömmt. Man muß nicht ver-
geſſen, daß menſchliche Dinge ſich höchſtens nur dem
Vollkommnen nähern, es aber nie erreichen können,
daher man ſich bei Reformen ſehr in acht zu nehmen
hat und nie ganz vergeſſen darf, que le mieux est
l’ ennemi du bien.
Demohngeachtet ſcheint nach vie-
len Anzeichen England einer Reform entgegen zu
gehen, weil es ſie aus andern Gründen faſt nicht
mehr vermeiden kann, ob aber zu ſeinem Vortheil, iſt
noch ſehr die Frage. Vielleicht iſt die Nothwendig-
keit derſelben eben nur der Beweis, daß ſeine Größe
ſich überlebt hat und zu ſinken anfängt.

Den Abend beſuchte ich das Adelphi-Theater, wo
ein Taſchenſpieler auf eine ganz neue Art ſeine Künſte
unter dem Titel Converſazione exhibirte. Er ſtand näm-
lich unter vielen Tiſchen und Maſchinen auf dem Thea-
ter, erzählte zuerſt ſeine Reiſe mit der Diligence, wo
er verſchiedene Charaktere und Anekdoten vorführte,
einige Chanſons ſang, und dazwiſchen ſeine Kunſt-
ſtücke, oder Geiſtererſcheinungen und optiſche Dar-
ſtellungen, in die Erzählung als Begebenheit ein-
paſſend, anbrachte — gewiß eine gute Idee, die dem
gewöhnlichen Kunſtſtückenmachen ein größeres In-

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[326/0344] mittel ein Miniſterium in allen Fällen wird beſtehen können. Es iſt ſchon ein Vortheil, daß dem letztern nicht in der Theorie das wirklich eingeräumt iſt (wie in despotiſch regierten Staaten) was es indirekt in der Praxis allerdings nicht ganz entbehren kann, ohn- gefähr ſo wie eines Predigers Leben auch nimmer ſeinen Lehren gleich kömmt. Man muß nicht ver- geſſen, daß menſchliche Dinge ſich höchſtens nur dem Vollkommnen nähern, es aber nie erreichen können, daher man ſich bei Reformen ſehr in acht zu nehmen hat und nie ganz vergeſſen darf, que le mieux est l’ ennemi du bien. Demohngeachtet ſcheint nach vie- len Anzeichen England einer Reform entgegen zu gehen, weil es ſie aus andern Gründen faſt nicht mehr vermeiden kann, ob aber zu ſeinem Vortheil, iſt noch ſehr die Frage. Vielleicht iſt die Nothwendig- keit derſelben eben nur der Beweis, daß ſeine Größe ſich überlebt hat und zu ſinken anfängt. Den Abend beſuchte ich das Adelphi-Theater, wo ein Taſchenſpieler auf eine ganz neue Art ſeine Künſte unter dem Titel Converſazione exhibirte. Er ſtand näm- lich unter vielen Tiſchen und Maſchinen auf dem Thea- ter, erzählte zuerſt ſeine Reiſe mit der Diligence, wo er verſchiedene Charaktere und Anekdoten vorführte, einige Chanſons ſang, und dazwiſchen ſeine Kunſt- ſtücke, oder Geiſtererſcheinungen und optiſche Dar- ſtellungen, in die Erzählung als Begebenheit ein- paſſend, anbrachte — gewiß eine gute Idee, die dem gewöhnlichen Kunſtſtückenmachen ein größeres In-

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/344>, abgerufen am 25.04.2024.