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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831.

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wechselung, ein unheilbringendes Unwohlseyn, an
denen alles scheiterte, scheinbar sogar immer seine
eigne Schuld, und doch nur das Gewebe hohnlachen-
der, tückischer Geister.

So beginnt er schon lange nichts mehr, um seine
Lage zu ändern, fuhr L. fort, versucht keine Besse-
rung seines Schicksals, im Voraus durch lange,
grausame Erfabrung überzeugt, daß ihm nichts ge-
lingen könne. Ich kenne ihn von Jugend auf.
Obgleich harmlos wie ein Kind, hält ihn doch ein
großer Theil der Welt für böse; obgleich einer der
aufrichtigsten Menschen, für falsch und intriguant;
ja man vermeidet und scheut ihn, obgleich nie ein
Herz wärmer für das Wohl Anderer schlug. Das
Mädchen, das er anbetete, ward durch seine vermeinte
Untreue zur Selbstmörderin, er selbst befand sich in
Folge unerhörter Umstände lange in Untersuchung
wegen des Mordes seines Bruders, neben dem er, sein
eignes Leben für jenes Vertheidigung opfernd, blu-
tend gefunden ward. Schon zum Strange verur-
theilt, rettete ihn vom schimpflichen Tode allein des
Königs Vegnadigung, der erst später die Beweise
seiner Unschuld folgten. Eine Frau endlich, die er in
Folge eines schändlichen lange vorbereiteten Betruges
heirathete, lief mit einem andern davon, und wußte
es dennoch dahin zu bringen, daß in der Welt nur
ihm der größte Theil der Schuld beigemessen ward.
Vor der Zeit so in jedem Selbstvertrauen geknickt,
jeder Hoffnung auf das Schicksal wie auf die Men-
schen abgestorben, lebt er unter ihnen nur noch wie

wechſelung, ein unheilbringendes Unwohlſeyn, an
denen alles ſcheiterte, ſcheinbar ſogar immer ſeine
eigne Schuld, und doch nur das Gewebe hohnlachen-
der, tückiſcher Geiſter.

So beginnt er ſchon lange nichts mehr, um ſeine
Lage zu ändern, fuhr L. fort, verſucht keine Beſſe-
rung ſeines Schickſals, im Voraus durch lange,
grauſame Erfabrung überzeugt, daß ihm nichts ge-
lingen könne. Ich kenne ihn von Jugend auf.
Obgleich harmlos wie ein Kind, hält ihn doch ein
großer Theil der Welt für böſe; obgleich einer der
aufrichtigſten Menſchen, für falſch und intriguant;
ja man vermeidet und ſcheut ihn, obgleich nie ein
Herz wärmer für das Wohl Anderer ſchlug. Das
Mädchen, das er anbetete, ward durch ſeine vermeinte
Untreue zur Selbſtmörderin, er ſelbſt befand ſich in
Folge unerhörter Umſtände lange in Unterſuchung
wegen des Mordes ſeines Bruders, neben dem er, ſein
eignes Leben für jenes Vertheidigung opfernd, blu-
tend gefunden ward. Schon zum Strange verur-
theilt, rettete ihn vom ſchimpflichen Tode allein des
Königs Vegnadigung, der erſt ſpäter die Beweiſe
ſeiner Unſchuld folgten. Eine Frau endlich, die er in
Folge eines ſchändlichen lange vorbereiteten Betruges
heirathete, lief mit einem andern davon, und wußte
es dennoch dahin zu bringen, daß in der Welt nur
ihm der größte Theil der Schuld beigemeſſen ward.
Vor der Zeit ſo in jedem Selbſtvertrauen geknickt,
jeder Hoffnung auf das Schickſal wie auf die Men-
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[377/0397] wechſelung, ein unheilbringendes Unwohlſeyn, an denen alles ſcheiterte, ſcheinbar ſogar immer ſeine eigne Schuld, und doch nur das Gewebe hohnlachen- der, tückiſcher Geiſter. So beginnt er ſchon lange nichts mehr, um ſeine Lage zu ändern, fuhr L. fort, verſucht keine Beſſe- rung ſeines Schickſals, im Voraus durch lange, grauſame Erfabrung überzeugt, daß ihm nichts ge- lingen könne. Ich kenne ihn von Jugend auf. Obgleich harmlos wie ein Kind, hält ihn doch ein großer Theil der Welt für böſe; obgleich einer der aufrichtigſten Menſchen, für falſch und intriguant; ja man vermeidet und ſcheut ihn, obgleich nie ein Herz wärmer für das Wohl Anderer ſchlug. Das Mädchen, das er anbetete, ward durch ſeine vermeinte Untreue zur Selbſtmörderin, er ſelbſt befand ſich in Folge unerhörter Umſtände lange in Unterſuchung wegen des Mordes ſeines Bruders, neben dem er, ſein eignes Leben für jenes Vertheidigung opfernd, blu- tend gefunden ward. Schon zum Strange verur- theilt, rettete ihn vom ſchimpflichen Tode allein des Königs Vegnadigung, der erſt ſpäter die Beweiſe ſeiner Unſchuld folgten. Eine Frau endlich, die er in Folge eines ſchändlichen lange vorbereiteten Betruges heirathete, lief mit einem andern davon, und wußte es dennoch dahin zu bringen, daß in der Welt nur ihm der größte Theil der Schuld beigemeſſen ward. Vor der Zeit ſo in jedem Selbſtvertrauen geknickt, jeder Hoffnung auf das Schickſal wie auf die Men- ſchen abgeſtorben, lebt er unter ihnen nur noch wie

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 4. Stuttgart, 1831, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe04_1831/397>, abgerufen am 18.04.2024.