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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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als ein Uebermaass von Muth. Besonders die "Führerlosen"
müssen sich, wenn sie ihre Sache nicht völlig diskreditieren wollen,
vor Augen halten, dass sie die Verantwortlichkeit allein tragen,
die sonst zwischen dem Führer und dem Touristen getheilt
ist. Der Charakter, wie ihn das Gehen im Hochgebirge aus-
bilden soll, äussert sich nicht bloss im Wagen, sondern auch
im Entsagen. Einsatz und Gewinn, Wollen und Können müssen
zu einander im richtigen Verhältnisse stehen. Muth ohne Kraft
ist lächerlich, Kraft ohne Muth verächtlich. Bergsteiger, die ohne
Führer Hochtouren unternehmen wollen, haben ihre gegenseitige
Leistungsfähigkeit, ihre Kräfte und Geschicklichkeit genau ab-
zuwägen.

Eine andere Erscheinung der Touristik ist das Alleingehen.
Alle jene Bedingungen, die an eine führerlose Gesellschaft zur
stellen sind, gelten in verstärktem Maasse auch für den Allein-
geher. Beim Alleingehen hat man zu unterscheiden, ob es nur
in der Fels- oder auch in der Schneeregion ausgeübt wird. Ueber
ersteres kann man, wenn nicht allzu schwierige Unternehmungen
in Frage kommen, mit grösserer Nachsicht urtheilen, das Allein-
gehen aber auf Gletschern ist in hohem Grade bedenklich. Wer
es thut, der kennt entweder die Gefahren des Hochgebirges nicht, oder
er verfügt über ein so reiches Ausmaass von Erfahrung, Bergkenntniss,
Sicherheit und Ausdauer, dass er sich als eine glänzende Ausnahme
von der Regel betrachten kann. Wer aber die nöthigen Be-
dingungen zum Alleingehen wirklich besitzt, der wird sich dabei
sehr wohl befinden! Statt sich durch die Mitnahme von unzu-
reichenden Begleitern Unannehmlichkeiten, Vorwürfen, Gefahren,
Zeitverlusten auszusetzen, wird ein solcher Alpinist besser thun,
wenn er auf jede Gesellschaft verzichtet. Das Alleingehen hat an
Hermann v. Barth, John Tyndall und J. J. Weilenmann be-
redte Vertheidiger gefunden, wenn auch jeder von ihnen vor
dessen Gefahren nachdrücklich warnt. "Als Gewohnheit," sagt
Tyndall in seinem Buche "Aus den Alpen", "muss man das
Alleingehen verurtheilen, betreibt man es aber mit Maass, so ist
es ein grosser Genuss." Und an einer anderen Stelle schreibt
Tyndall: "Liegt die Arbeit klar vor uns, hat lange Uebung uns
gelehrt, unserem eigenen Auge und Urtheil beim Auffinden von
Spalten zu vertrauen, hat unsere Axt und unser Arm gelernt, die
ernsten Schwierigkeiten zu überwinden, so ist es ein ganz neuer
Genuss, allein unter grossartigen Bildern zu sein. Die Felszacken
machen einen feierlicheren Eindruck, die Sonne leuchtet mit

L. Purtscheller.
als ein Uebermaass von Muth. Besonders die „Führerlosen“
müssen sich, wenn sie ihre Sache nicht völlig diskreditieren wollen,
vor Augen halten, dass sie die Verantwortlichkeit allein tragen,
die sonst zwischen dem Führer und dem Touristen getheilt
ist. Der Charakter, wie ihn das Gehen im Hochgebirge aus-
bilden soll, äussert sich nicht bloss im Wagen, sondern auch
im Entsagen. Einsatz und Gewinn, Wollen und Können müssen
zu einander im richtigen Verhältnisse stehen. Muth ohne Kraft
ist lächerlich, Kraft ohne Muth verächtlich. Bergsteiger, die ohne
Führer Hochtouren unternehmen wollen, haben ihre gegenseitige
Leistungsfähigkeit, ihre Kräfte und Geschicklichkeit genau ab-
zuwägen.

Eine andere Erscheinung der Touristik ist das Alleingehen.
Alle jene Bedingungen, die an eine führerlose Gesellschaft zur
stellen sind, gelten in verstärktem Maasse auch für den Allein-
geher. Beim Alleingehen hat man zu unterscheiden, ob es nur
in der Fels- oder auch in der Schneeregion ausgeübt wird. Ueber
ersteres kann man, wenn nicht allzu schwierige Unternehmungen
in Frage kommen, mit grösserer Nachsicht urtheilen, das Allein-
gehen aber auf Gletschern ist in hohem Grade bedenklich. Wer
es thut, der kennt entweder die Gefahren des Hochgebirges nicht, oder
er verfügt über ein so reiches Ausmaass von Erfahrung, Bergkenntniss,
Sicherheit und Ausdauer, dass er sich als eine glänzende Ausnahme
von der Regel betrachten kann. Wer aber die nöthigen Be-
dingungen zum Alleingehen wirklich besitzt, der wird sich dabei
sehr wohl befinden! Statt sich durch die Mitnahme von unzu-
reichenden Begleitern Unannehmlichkeiten, Vorwürfen, Gefahren,
Zeitverlusten auszusetzen, wird ein solcher Alpinist besser thun,
wenn er auf jede Gesellschaft verzichtet. Das Alleingehen hat an
Hermann v. Barth, John Tyndall und J. J. Weilenmann be-
redte Vertheidiger gefunden, wenn auch jeder von ihnen vor
dessen Gefahren nachdrücklich warnt. „Als Gewohnheit,“ sagt
Tyndall in seinem Buche „Aus den Alpen“, „muss man das
Alleingehen verurtheilen, betreibt man es aber mit Maass, so ist
es ein grosser Genuss.“ Und an einer anderen Stelle schreibt
Tyndall: „Liegt die Arbeit klar vor uns, hat lange Uebung uns
gelehrt, unserem eigenen Auge und Urtheil beim Auffinden von
Spalten zu vertrauen, hat unsere Axt und unser Arm gelernt, die
ernsten Schwierigkeiten zu überwinden, so ist es ein ganz neuer
Genuss, allein unter grossartigen Bildern zu sein. Die Felszacken
machen einen feierlicheren Eindruck, die Sonne leuchtet mit

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[128/0034] L. Purtscheller. als ein Uebermaass von Muth. Besonders die „Führerlosen“ müssen sich, wenn sie ihre Sache nicht völlig diskreditieren wollen, vor Augen halten, dass sie die Verantwortlichkeit allein tragen, die sonst zwischen dem Führer und dem Touristen getheilt ist. Der Charakter, wie ihn das Gehen im Hochgebirge aus- bilden soll, äussert sich nicht bloss im Wagen, sondern auch im Entsagen. Einsatz und Gewinn, Wollen und Können müssen zu einander im richtigen Verhältnisse stehen. Muth ohne Kraft ist lächerlich, Kraft ohne Muth verächtlich. Bergsteiger, die ohne Führer Hochtouren unternehmen wollen, haben ihre gegenseitige Leistungsfähigkeit, ihre Kräfte und Geschicklichkeit genau ab- zuwägen. Eine andere Erscheinung der Touristik ist das Alleingehen. Alle jene Bedingungen, die an eine führerlose Gesellschaft zur stellen sind, gelten in verstärktem Maasse auch für den Allein- geher. Beim Alleingehen hat man zu unterscheiden, ob es nur in der Fels- oder auch in der Schneeregion ausgeübt wird. Ueber ersteres kann man, wenn nicht allzu schwierige Unternehmungen in Frage kommen, mit grösserer Nachsicht urtheilen, das Allein- gehen aber auf Gletschern ist in hohem Grade bedenklich. Wer es thut, der kennt entweder die Gefahren des Hochgebirges nicht, oder er verfügt über ein so reiches Ausmaass von Erfahrung, Bergkenntniss, Sicherheit und Ausdauer, dass er sich als eine glänzende Ausnahme von der Regel betrachten kann. Wer aber die nöthigen Be- dingungen zum Alleingehen wirklich besitzt, der wird sich dabei sehr wohl befinden! Statt sich durch die Mitnahme von unzu- reichenden Begleitern Unannehmlichkeiten, Vorwürfen, Gefahren, Zeitverlusten auszusetzen, wird ein solcher Alpinist besser thun, wenn er auf jede Gesellschaft verzichtet. Das Alleingehen hat an Hermann v. Barth, John Tyndall und J. J. Weilenmann be- redte Vertheidiger gefunden, wenn auch jeder von ihnen vor dessen Gefahren nachdrücklich warnt. „Als Gewohnheit,“ sagt Tyndall in seinem Buche „Aus den Alpen“, „muss man das Alleingehen verurtheilen, betreibt man es aber mit Maass, so ist es ein grosser Genuss.“ Und an einer anderen Stelle schreibt Tyndall: „Liegt die Arbeit klar vor uns, hat lange Uebung uns gelehrt, unserem eigenen Auge und Urtheil beim Auffinden von Spalten zu vertrauen, hat unsere Axt und unser Arm gelernt, die ernsten Schwierigkeiten zu überwinden, so ist es ein ganz neuer Genuss, allein unter grossartigen Bildern zu sein. Die Felszacken machen einen feierlicheren Eindruck, die Sonne leuchtet mit

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/34>, abgerufen am 29.03.2024.