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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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L. Purtscheller.
gebirge begann, als sich auch völlig Unberufene zur Touristik
herandrängten und der Alpinismus als "Sport" hingestellt wurde,
änderte sich die Sachlage, Wohin aber der exklusive "Sport"
führt, dies hat ausser vielen anderen die Katastrophe an der
Glocknerwand dargethan.

Ausser an Bergkenntniss und Erfahrung mangelte es auch
an der nöthigen Technik. Pickel und Seil kamen in den Ostalpen,
einige Ausnahmen abgerechnet, erst Ende der siebziger Jahre
ziemlich allgemein in Verwendung, und wenn man ein Seil mitnahm,
so geschah es nicht, um sich zusammenzuknüpfen, sondern nur, um
einen in eine Spalte gefallenen Kameraden heraushelfen zu können.
Statt des Seiles gab der lange Bergstock einige Sicherheit, und den
Pickel musste ein kurzes Handbeil ersetzen. Dagegen standen
die Steigeisen bei Gemsjägern schon seit Jahrhunderten im Ge-
brauche. Kaiser Maximilian I. empfiehlt im "Haimlich Gejaidt
Puech" seinen Nachfolgern, in dem "Kocher zu Insprug" vor allem
"Erlich Fues Eyssen mit sex Zuecken" einzustellen; er unter-
scheidet "Pirg Eyssen" und "Waldt Eyssen" und giebt genaue
Anweisungen über deren Beschaffenheit und Befestigung.

Die ersten Führer der Touristen waren Aelpler, Gemsjäger,
Schaf- oder Ziegenhirten, aber selten konnte man von diesen
Leuten ein richtiges, systematisches Gehen, ein zutreffendes Urtheil
über Schwierigkeiten und Gefahren voraussetzen. Sie trauten ihren
Schützlingen entweder Alles oder Nichts zu, und waren eigentlich
nur als Wegweiser brauchbar. Ueber die Art des Steigens
auf Gebirgsterrain, über die Ueberwindung von Hindernissen,
Erklimmung von Felsen und Steilhängen, über klimatische Ver-
hältnisse, über Verproviantierung, Bekleidung und Ausrüstung
mussten erst die nöthigen Erfahrungen gesammelt werden. Bald
überzeugte man sich, dass nicht jeder Fusswanderer, nicht jeder
Gebirgsreisende auch ein tüchtiger, ausdauernder Bergsteiger sei,
man lernte den Werth der Methode, das Prinzip der Schonung
und Steigerung der Kräfte, eine richtige Zeiteintheilung erfassen.
Der Städter sah sich im Gebirge unter ganz andere Verhältnisse
gestellt, er musste erst seine Leistungsfähigkeit, sowie die Vortheile
der gegenseitigen Hülfe erproben. Erst allmählich kam man zur
Ueberzeugung, dass im Hochgebirge das Terrain, das dem
menschlichen Fusse zugänglich ist, viel weniger gross ist, als das
ihm unzugängliche, dass das Bergabsteigen nicht selten schwieriger
sei, als das Bergaufsteigen, und welche Verlegenheiten ein plötzlich
einfallender Nebel, ein Schneesturm oder ein Ungewitter bereiten

L. Purtscheller.
gebirge begann, als sich auch völlig Unberufene zur Touristik
herandrängten und der Alpinismus als „Sport“ hingestellt wurde,
änderte sich die Sachlage, Wohin aber der exklusive „Sport“
führt, dies hat ausser vielen anderen die Katastrophe an der
Glocknerwand dargethan.

Ausser an Bergkenntniss und Erfahrung mangelte es auch
an der nöthigen Technik. Pickel und Seil kamen in den Ostalpen,
einige Ausnahmen abgerechnet, erst Ende der siebziger Jahre
ziemlich allgemein in Verwendung, und wenn man ein Seil mitnahm,
so geschah es nicht, um sich zusammenzuknüpfen, sondern nur, um
einen in eine Spalte gefallenen Kameraden heraushelfen zu können.
Statt des Seiles gab der lange Bergstock einige Sicherheit, und den
Pickel musste ein kurzes Handbeil ersetzen. Dagegen standen
die Steigeisen bei Gemsjägern schon seit Jahrhunderten im Ge-
brauche. Kaiser Maximilian I. empfiehlt im „Haimlich Gejaidt
Puech“ seinen Nachfolgern, in dem „Kocher zu Insprug“ vor allem
„Erlich Fues Eyssen mit sex Zuecken“ einzustellen; er unter-
scheidet „Pirg Eyssen“ und „Waldt Eyssen“ und giebt genaue
Anweisungen über deren Beschaffenheit und Befestigung.

Die ersten Führer der Touristen waren Aelpler, Gemsjäger,
Schaf- oder Ziegenhirten, aber selten konnte man von diesen
Leuten ein richtiges, systematisches Gehen, ein zutreffendes Urtheil
über Schwierigkeiten und Gefahren voraussetzen. Sie trauten ihren
Schützlingen entweder Alles oder Nichts zu, und waren eigentlich
nur als Wegweiser brauchbar. Ueber die Art des Steigens
auf Gebirgsterrain, über die Ueberwindung von Hindernissen,
Erklimmung von Felsen und Steilhängen, über klimatische Ver-
hältnisse, über Verproviantierung, Bekleidung und Ausrüstung
mussten erst die nöthigen Erfahrungen gesammelt werden. Bald
überzeugte man sich, dass nicht jeder Fusswanderer, nicht jeder
Gebirgsreisende auch ein tüchtiger, ausdauernder Bergsteiger sei,
man lernte den Werth der Methode, das Prinzip der Schonung
und Steigerung der Kräfte, eine richtige Zeiteintheilung erfassen.
Der Städter sah sich im Gebirge unter ganz andere Verhältnisse
gestellt, er musste erst seine Leistungsfähigkeit, sowie die Vortheile
der gegenseitigen Hülfe erproben. Erst allmählich kam man zur
Ueberzeugung, dass im Hochgebirge das Terrain, das dem
menschlichen Fusse zugänglich ist, viel weniger gross ist, als das
ihm unzugängliche, dass das Bergabsteigen nicht selten schwieriger
sei, als das Bergaufsteigen, und welche Verlegenheiten ein plötzlich
einfallender Nebel, ein Schneesturm oder ein Ungewitter bereiten

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[132/0038] L. Purtscheller. gebirge begann, als sich auch völlig Unberufene zur Touristik herandrängten und der Alpinismus als „Sport“ hingestellt wurde, änderte sich die Sachlage, Wohin aber der exklusive „Sport“ führt, dies hat ausser vielen anderen die Katastrophe an der Glocknerwand dargethan. Ausser an Bergkenntniss und Erfahrung mangelte es auch an der nöthigen Technik. Pickel und Seil kamen in den Ostalpen, einige Ausnahmen abgerechnet, erst Ende der siebziger Jahre ziemlich allgemein in Verwendung, und wenn man ein Seil mitnahm, so geschah es nicht, um sich zusammenzuknüpfen, sondern nur, um einen in eine Spalte gefallenen Kameraden heraushelfen zu können. Statt des Seiles gab der lange Bergstock einige Sicherheit, und den Pickel musste ein kurzes Handbeil ersetzen. Dagegen standen die Steigeisen bei Gemsjägern schon seit Jahrhunderten im Ge- brauche. Kaiser Maximilian I. empfiehlt im „Haimlich Gejaidt Puech“ seinen Nachfolgern, in dem „Kocher zu Insprug“ vor allem „Erlich Fues Eyssen mit sex Zuecken“ einzustellen; er unter- scheidet „Pirg Eyssen“ und „Waldt Eyssen“ und giebt genaue Anweisungen über deren Beschaffenheit und Befestigung. Die ersten Führer der Touristen waren Aelpler, Gemsjäger, Schaf- oder Ziegenhirten, aber selten konnte man von diesen Leuten ein richtiges, systematisches Gehen, ein zutreffendes Urtheil über Schwierigkeiten und Gefahren voraussetzen. Sie trauten ihren Schützlingen entweder Alles oder Nichts zu, und waren eigentlich nur als Wegweiser brauchbar. Ueber die Art des Steigens auf Gebirgsterrain, über die Ueberwindung von Hindernissen, Erklimmung von Felsen und Steilhängen, über klimatische Ver- hältnisse, über Verproviantierung, Bekleidung und Ausrüstung mussten erst die nöthigen Erfahrungen gesammelt werden. Bald überzeugte man sich, dass nicht jeder Fusswanderer, nicht jeder Gebirgsreisende auch ein tüchtiger, ausdauernder Bergsteiger sei, man lernte den Werth der Methode, das Prinzip der Schonung und Steigerung der Kräfte, eine richtige Zeiteintheilung erfassen. Der Städter sah sich im Gebirge unter ganz andere Verhältnisse gestellt, er musste erst seine Leistungsfähigkeit, sowie die Vortheile der gegenseitigen Hülfe erproben. Erst allmählich kam man zur Ueberzeugung, dass im Hochgebirge das Terrain, das dem menschlichen Fusse zugänglich ist, viel weniger gross ist, als das ihm unzugängliche, dass das Bergabsteigen nicht selten schwieriger sei, als das Bergaufsteigen, und welche Verlegenheiten ein plötzlich einfallender Nebel, ein Schneesturm oder ein Ungewitter bereiten

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/38>, abgerufen am 28.03.2024.