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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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wenn er in öffentlichen Musiken spielet.
Vortheile, wenn man ein leichtes Stück reinlich, und ohne Fehler, als
wenn man das allerschwerste Stück mangelhaft spielet.

15. §.

Wenn unserm Flötenisten bey der öffentlichen Ausführung seines
Stücks einige Passagien nicht sollten gelungen seyn; so spiele er selbige so
lange vor sich zu Hause, so wohl langsam als geschwind, durch, bis er
sie mit eben derselben Fertigkeit, als die übrigen, heraus bringen kann:
damit die Accompagnisten inskünftige sich nicht genöthiget finden, ihm
hier und da nachzugeben; denn dieses würde den Zuhörern weder Vergnü-
gen bringen, noch dem Flötenisten Ehre machen.

16. §.

Hat einer, durch viele Uebung eine große Fertigkeit erlanget, so
muß er derselben doch nicht misbrauchen. Sehr geschwind, und zugleich
auch deutlich spielen, ist zwar ein besonderes Verdienst; es können aber
gleichwohl öfters, wie die Erfahrung lehret, große Fehler daraus ent-
stehen. Man wird dergleichen insonderheit bey jungen Leuten, die weder
die rechte reife Beurtheilungskraft, noch die wahre Empfindung haben,
wie jedes Stück nach seinem eigentlichen Zeitmaaße und Geschmacke zu
spielen sey, gewahr. Solche junge Leute spielen mehrentheils alles was
ihnen vorkömmt, es sey Presto, oder Allegro, oder Allegretto, in einer-
ley Geschwindigkeit. Sie glauben wohl gar sich dadurch vor andern be-
sonders hervor zu thun; da sie doch, durch die übertriebene Geschwindig-
keit, nicht nur das Schönste der Composition, ich meyne das untermi-
schete Cantabile, verstümmeln und vernichten; sondern auch, bey Ueber-
eilung des Zeitmaaßes, sich angewöhnen, die Noten falsch und undeutlich
vorzutragen. Wer sich nun hierinne nicht bey Zeiten zu verbessern su-
chet, der bleibet in diesem Fehler, welchen das Feuer der Jugend verur-
sachet, wo nicht immer, doch zum wenigsten bis weit in die männlichen
Jahre, stecken.

17. §.

Bey der Wahl der Stücke womit sich ein Flötenist, und jeder Concer-
tist will hören laßen, muß er sich nicht nur nach sich selbst, nach seinen
Kräften und seiner Fähigkeit, sondern anch nach dem Orte wo er spielet,
nach dem Accompagnement welches ihn begleitet, nach dem Umständen
worinn er spielet, und nach den Zuhörern vor denen er sich will hören lassen,
richten.

18. §. An
Y

wenn er in oͤffentlichen Muſiken ſpielet.
Vortheile, wenn man ein leichtes Stuͤck reinlich, und ohne Fehler, als
wenn man das allerſchwerſte Stuͤck mangelhaft ſpielet.

15. §.

Wenn unſerm Floͤteniſten bey der oͤffentlichen Ausfuͤhrung ſeines
Stuͤcks einige Paſſagien nicht ſollten gelungen ſeyn; ſo ſpiele er ſelbige ſo
lange vor ſich zu Hauſe, ſo wohl langſam als geſchwind, durch, bis er
ſie mit eben derſelben Fertigkeit, als die uͤbrigen, heraus bringen kann:
damit die Accompagniſten inskuͤnftige ſich nicht genoͤthiget finden, ihm
hier und da nachzugeben; denn dieſes wuͤrde den Zuhoͤrern weder Vergnuͤ-
gen bringen, noch dem Floͤteniſten Ehre machen.

16. §.

Hat einer, durch viele Uebung eine große Fertigkeit erlanget, ſo
muß er derſelben doch nicht misbrauchen. Sehr geſchwind, und zugleich
auch deutlich ſpielen, iſt zwar ein beſonderes Verdienſt; es koͤnnen aber
gleichwohl oͤfters, wie die Erfahrung lehret, große Fehler daraus ent-
ſtehen. Man wird dergleichen inſonderheit bey jungen Leuten, die weder
die rechte reife Beurtheilungskraft, noch die wahre Empfindung haben,
wie jedes Stuͤck nach ſeinem eigentlichen Zeitmaaße und Geſchmacke zu
ſpielen ſey, gewahr. Solche junge Leute ſpielen mehrentheils alles was
ihnen vorkoͤmmt, es ſey Preſto, oder Allegro, oder Allegretto, in einer-
ley Geſchwindigkeit. Sie glauben wohl gar ſich dadurch vor andern be-
ſonders hervor zu thun; da ſie doch, durch die uͤbertriebene Geſchwindig-
keit, nicht nur das Schoͤnſte der Compoſition, ich meyne das untermi-
ſchete Cantabile, verſtuͤmmeln und vernichten; ſondern auch, bey Ueber-
eilung des Zeitmaaßes, ſich angewoͤhnen, die Noten falſch und undeutlich
vorzutragen. Wer ſich nun hierinne nicht bey Zeiten zu verbeſſern ſu-
chet, der bleibet in dieſem Fehler, welchen das Feuer der Jugend verur-
ſachet, wo nicht immer, doch zum wenigſten bis weit in die maͤnnlichen
Jahre, ſtecken.

17. §.

Bey der Wahl der Stuͤcke womit ſich ein Floͤteniſt, und jeder Concer-
tiſt will hoͤren laßen, muß er ſich nicht nur nach ſich ſelbſt, nach ſeinen
Kraͤften und ſeiner Faͤhigkeit, ſondern anch nach dem Orte wo er ſpielet,
nach dem Accompagnement welches ihn begleitet, nach dem Umſtaͤnden
worinn er ſpielet, und nach den Zuhoͤrern vor denen er ſich will hoͤren laſſen,
richten.

18. §. An
Y
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[169/0187] wenn er in oͤffentlichen Muſiken ſpielet. Vortheile, wenn man ein leichtes Stuͤck reinlich, und ohne Fehler, als wenn man das allerſchwerſte Stuͤck mangelhaft ſpielet. 15. §. Wenn unſerm Floͤteniſten bey der oͤffentlichen Ausfuͤhrung ſeines Stuͤcks einige Paſſagien nicht ſollten gelungen ſeyn; ſo ſpiele er ſelbige ſo lange vor ſich zu Hauſe, ſo wohl langſam als geſchwind, durch, bis er ſie mit eben derſelben Fertigkeit, als die uͤbrigen, heraus bringen kann: damit die Accompagniſten inskuͤnftige ſich nicht genoͤthiget finden, ihm hier und da nachzugeben; denn dieſes wuͤrde den Zuhoͤrern weder Vergnuͤ- gen bringen, noch dem Floͤteniſten Ehre machen. 16. §. Hat einer, durch viele Uebung eine große Fertigkeit erlanget, ſo muß er derſelben doch nicht misbrauchen. Sehr geſchwind, und zugleich auch deutlich ſpielen, iſt zwar ein beſonderes Verdienſt; es koͤnnen aber gleichwohl oͤfters, wie die Erfahrung lehret, große Fehler daraus ent- ſtehen. Man wird dergleichen inſonderheit bey jungen Leuten, die weder die rechte reife Beurtheilungskraft, noch die wahre Empfindung haben, wie jedes Stuͤck nach ſeinem eigentlichen Zeitmaaße und Geſchmacke zu ſpielen ſey, gewahr. Solche junge Leute ſpielen mehrentheils alles was ihnen vorkoͤmmt, es ſey Preſto, oder Allegro, oder Allegretto, in einer- ley Geſchwindigkeit. Sie glauben wohl gar ſich dadurch vor andern be- ſonders hervor zu thun; da ſie doch, durch die uͤbertriebene Geſchwindig- keit, nicht nur das Schoͤnſte der Compoſition, ich meyne das untermi- ſchete Cantabile, verſtuͤmmeln und vernichten; ſondern auch, bey Ueber- eilung des Zeitmaaßes, ſich angewoͤhnen, die Noten falſch und undeutlich vorzutragen. Wer ſich nun hierinne nicht bey Zeiten zu verbeſſern ſu- chet, der bleibet in dieſem Fehler, welchen das Feuer der Jugend verur- ſachet, wo nicht immer, doch zum wenigſten bis weit in die maͤnnlichen Jahre, ſtecken. 17. §. Bey der Wahl der Stuͤcke womit ſich ein Floͤteniſt, und jeder Concer- tiſt will hoͤren laßen, muß er ſich nicht nur nach ſich ſelbſt, nach ſeinen Kraͤften und ſeiner Faͤhigkeit, ſondern anch nach dem Orte wo er ſpielet, nach dem Accompagnement welches ihn begleitet, nach dem Umſtaͤnden worinn er ſpielet, und nach den Zuhoͤrern vor denen er ſich will hoͤren laſſen, richten. 18. §. An Y

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/187>, abgerufen am 29.03.2024.