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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Das XVI. Hauptstück. Was ein Flötenist zu beob. hat,
die Harmonie auszufüllen: so muß dieser schwächer spielen als der andere,
welcher zu der Zeit die Hauptmelodie hat: damit die Gänge, welche kei-
ne Melodie haben, nicht zur Unzeit hervor ragen. Haben beyde Stim-
men entweder Nachahmungen gegen einander, oder sonst einen ähnlichen
Gesang, es sey in Terzen oder Sexten; so können beyde in einerley Stär-
ke spielen.

25. §.

Machet einer im Trio eine Manier, so muß sie der andere, wenn
er, wie es seyn sollte, Gelegenheit hat sie nachzumachen, auf gleiche Art
vortragen. Jst er aber im Stande noch etwas Geschiktes mehr zuzusetzen,
so thue er es am Ende der Manier; damit man sehe, daß er dieselbe so
wohl simpel nachmachen, als auch verändern könne: denn es ist leichter
etwas vor- als nachzumachen.

26. §.

Ein angehender Concertist unternehme nicht, mit jemanden, dem
er nicht gewachsen ist, ein Trio zu spielen, wo er nicht versichert ist, daß
der andere sich herablassen, und ihm bequemen werde; sonst kömmt er ge-
wiß zu kurz. Das Trio ist eigentlich der Probierstein, an welchem man
die Stärke und Einsicht zwoer Personen am besten beurtheilen kann. Ein
Trio, wenn es anders gute Wirkung thun soll, erfodert auch, daß es
von zwo Personen, welche einerley Vortrag haben, ausgeführet werde:
und wenn dieses geschieht, so halte ich es für eine der schönsten und voll-
kommensten Arten von Musik. Ein Quatuor ist diesem gleich, und an
Harmonie noch reicher; wenn es anders, wie es wohl sollte, mit vier
Stimmen obligat, das ist, daß keine Stimme ohne Schaden des Gan-
zen wegbleiben kann, gesetzet ist. Hier ist noch weniger Freyheit etwas
von willkührlichen Manieren zuzusetzen, als im Trio. Die beste Wir-
kung hat man zu gewarten, wenn man den Gesang reinlich und unter-
halten spielet.

27. §.

Jn einem Concert hat man, zumal im Adagio, in Ansehung der
Manieren, mehr Freyheit, als im Trio: doch muß man beständig auf
die begleitenden Stimmen Achtung geben, ob sie melodische Bewegungen,
oder nur bloße Harmonie haben. Jst das erste; so muß man den Gesang
simpel spielen. Jst aber das andere; so kann man von Auszierungen ma-
chen was man will: wenn man nur nicht wider die Regeln der Harmo-
nie, des Geschmackes, und der Vernunft handelt. Man ist vor Feh-

lern

Das XVI. Hauptſtuͤck. Was ein Floͤteniſt zu beob. hat,
die Harmonie auszufuͤllen: ſo muß dieſer ſchwaͤcher ſpielen als der andere,
welcher zu der Zeit die Hauptmelodie hat: damit die Gaͤnge, welche kei-
ne Melodie haben, nicht zur Unzeit hervor ragen. Haben beyde Stim-
men entweder Nachahmungen gegen einander, oder ſonſt einen aͤhnlichen
Geſang, es ſey in Terzen oder Sexten; ſo koͤnnen beyde in einerley Staͤr-
ke ſpielen.

25. §.

Machet einer im Trio eine Manier, ſo muß ſie der andere, wenn
er, wie es ſeyn ſollte, Gelegenheit hat ſie nachzumachen, auf gleiche Art
vortragen. Jſt er aber im Stande noch etwas Geſchiktes mehr zuzuſetzen,
ſo thue er es am Ende der Manier; damit man ſehe, daß er dieſelbe ſo
wohl ſimpel nachmachen, als auch veraͤndern koͤnne: denn es iſt leichter
etwas vor- als nachzumachen.

26. §.

Ein angehender Concertiſt unternehme nicht, mit jemanden, dem
er nicht gewachſen iſt, ein Trio zu ſpielen, wo er nicht verſichert iſt, daß
der andere ſich herablaſſen, und ihm bequemen werde; ſonſt koͤmmt er ge-
wiß zu kurz. Das Trio iſt eigentlich der Probierſtein, an welchem man
die Staͤrke und Einſicht zwoer Perſonen am beſten beurtheilen kann. Ein
Trio, wenn es anders gute Wirkung thun ſoll, erfodert auch, daß es
von zwo Perſonen, welche einerley Vortrag haben, ausgefuͤhret werde:
und wenn dieſes geſchieht, ſo halte ich es fuͤr eine der ſchoͤnſten und voll-
kommenſten Arten von Muſik. Ein Quatuor iſt dieſem gleich, und an
Harmonie noch reicher; wenn es anders, wie es wohl ſollte, mit vier
Stimmen obligat, das iſt, daß keine Stimme ohne Schaden des Gan-
zen wegbleiben kann, geſetzet iſt. Hier iſt noch weniger Freyheit etwas
von willkuͤhrlichen Manieren zuzuſetzen, als im Trio. Die beſte Wir-
kung hat man zu gewarten, wenn man den Geſang reinlich und unter-
halten ſpielet.

27. §.

Jn einem Concert hat man, zumal im Adagio, in Anſehung der
Manieren, mehr Freyheit, als im Trio: doch muß man beſtaͤndig auf
die begleitenden Stimmen Achtung geben, ob ſie melodiſche Bewegungen,
oder nur bloße Harmonie haben. Jſt das erſte; ſo muß man den Geſang
ſimpel ſpielen. Jſt aber das andere; ſo kann man von Auszierungen ma-
chen was man will: wenn man nur nicht wider die Regeln der Harmo-
nie, des Geſchmackes, und der Vernunft handelt. Man iſt vor Feh-

lern
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[172/0190] Das XVI. Hauptſtuͤck. Was ein Floͤteniſt zu beob. hat, die Harmonie auszufuͤllen: ſo muß dieſer ſchwaͤcher ſpielen als der andere, welcher zu der Zeit die Hauptmelodie hat: damit die Gaͤnge, welche kei- ne Melodie haben, nicht zur Unzeit hervor ragen. Haben beyde Stim- men entweder Nachahmungen gegen einander, oder ſonſt einen aͤhnlichen Geſang, es ſey in Terzen oder Sexten; ſo koͤnnen beyde in einerley Staͤr- ke ſpielen. 25. §. Machet einer im Trio eine Manier, ſo muß ſie der andere, wenn er, wie es ſeyn ſollte, Gelegenheit hat ſie nachzumachen, auf gleiche Art vortragen. Jſt er aber im Stande noch etwas Geſchiktes mehr zuzuſetzen, ſo thue er es am Ende der Manier; damit man ſehe, daß er dieſelbe ſo wohl ſimpel nachmachen, als auch veraͤndern koͤnne: denn es iſt leichter etwas vor- als nachzumachen. 26. §. Ein angehender Concertiſt unternehme nicht, mit jemanden, dem er nicht gewachſen iſt, ein Trio zu ſpielen, wo er nicht verſichert iſt, daß der andere ſich herablaſſen, und ihm bequemen werde; ſonſt koͤmmt er ge- wiß zu kurz. Das Trio iſt eigentlich der Probierſtein, an welchem man die Staͤrke und Einſicht zwoer Perſonen am beſten beurtheilen kann. Ein Trio, wenn es anders gute Wirkung thun ſoll, erfodert auch, daß es von zwo Perſonen, welche einerley Vortrag haben, ausgefuͤhret werde: und wenn dieſes geſchieht, ſo halte ich es fuͤr eine der ſchoͤnſten und voll- kommenſten Arten von Muſik. Ein Quatuor iſt dieſem gleich, und an Harmonie noch reicher; wenn es anders, wie es wohl ſollte, mit vier Stimmen obligat, das iſt, daß keine Stimme ohne Schaden des Gan- zen wegbleiben kann, geſetzet iſt. Hier iſt noch weniger Freyheit etwas von willkuͤhrlichen Manieren zuzuſetzen, als im Trio. Die beſte Wir- kung hat man zu gewarten, wenn man den Geſang reinlich und unter- halten ſpielet. 27. §. Jn einem Concert hat man, zumal im Adagio, in Anſehung der Manieren, mehr Freyheit, als im Trio: doch muß man beſtaͤndig auf die begleitenden Stimmen Achtung geben, ob ſie melodiſche Bewegungen, oder nur bloße Harmonie haben. Jſt das erſte; ſo muß man den Geſang ſimpel ſpielen. Jſt aber das andere; ſo kann man von Auszierungen ma- chen was man will: wenn man nur nicht wider die Regeln der Harmo- nie, des Geſchmackes, und der Vernunft handelt. Man iſt vor Feh- lern

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/190>, abgerufen am 29.03.2024.