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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Von dem Clavieristen insbesondere.
12. §.

Eben diese Erregung der abwechselnden Leidenschaften, ist auch die
Ursache, warum die Dissonanzen überhaupt stärker als die Consonanzen
angeschlagen werden müssen. Die Consonanzen setzen das Gemüth in eine
vollkommene Ruhe, und Zufriedenheit: die Dissonanzen hingegen erwe-
cken im Gemüthe einen Verdruß. Wie nun ein niemals unterbrochenes
Vergnügen, es sey von welcher Art es wolle, unsere Empfindungskräfte
dermaaßen schwächen und erschöpfen würde, daß das Vergnügen endlich
aufhören würde ein Vergnügen zu seyn: also würden auch lauter Con-
sonanzen, in einer lange auf einander folgenden Reihe, dem Gehöre end-
lich einen Ekel und Verdruß verursachen, wenn sie nicht dann und wann
mit Ubelklängen, dergleichen die Dissonanzen sind, vermischet würden.
Jemehr nun eine Dissonanz im Spielen von den andern Noten unterschie-
den, und empfindlich gemacht wird; iemehr greift sie das Gehör an. Je
verdrüßlicher aber die Sache ist, welche unser Vergnügen stöhret; ie
angenehmer kommt uns das darauf folgende Vergnügen vor. Je härter
also der Verhalt der Dissonanzen ist; ie gefälliger ist ihre Auflösung.
Ohne diese Vermischung des Wohlklanges und des Ubelklanges, würde in
der Musik kein Mittel übrig seyn, die verschiedenen Leidenschaften au-
genbliklich zu erregen, und augenbliklich wieder zu stillen.

13. §.

Wie aber der Verdruß nicht immer von einerley Heftigkeit seyn
kann; also haben auch von den Dissonanzen, einige mehr, einige weniger
Wirkung; und muß also davon immer eine stärker als die andere ange-
schlagen werden. Die None, die None und Quarte, die None und
Septime, die Quinte und Quarte, sind dem Gehöre nicht so empfind-
lich, als die Quinte mit der großen Sexte, die falsche Quinte mit der
kleinen Sexte, die falsche Quinte mit der großen Sexte, die kleine Septi-
me mit der kleinen oder großen Terze, die große Septime, die mangel-
hafte Septime, die Septime mit der Secunde und Quarte, die über-
mäßige Sexte, die große Secunde mit der Quarte, die kleine Secunde
mit der Quarte, die große und die übermäßige Secunde mit der über-
mäßigen Quarte, die kleine Terze mit der übermäßigen Quarte. Die
erstern erfodern also deswegen bey weitem nicht den Nachdruck im Ac-
compagnement, als die letztern. Unter diesen letztern aber, ist wieder
noch ein Unterschied zu machen. Die kleine Secunde mit der Quarte,
die große und die übermäßige Secunde mit der übermäßigen Quarte,

die
F f 2
Von dem Clavieriſten insbeſondere.
12. §.

Eben dieſe Erregung der abwechſelnden Leidenſchaften, iſt auch die
Urſache, warum die Diſſonanzen uͤberhaupt ſtaͤrker als die Conſonanzen
angeſchlagen werden muͤſſen. Die Conſonanzen ſetzen das Gemuͤth in eine
vollkommene Ruhe, und Zufriedenheit: die Diſſonanzen hingegen erwe-
cken im Gemuͤthe einen Verdruß. Wie nun ein niemals unterbrochenes
Vergnuͤgen, es ſey von welcher Art es wolle, unſere Empfindungskraͤfte
dermaaßen ſchwaͤchen und erſchoͤpfen wuͤrde, daß das Vergnuͤgen endlich
aufhoͤren wuͤrde ein Vergnuͤgen zu ſeyn: alſo wuͤrden auch lauter Con-
ſonanzen, in einer lange auf einander folgenden Reihe, dem Gehoͤre end-
lich einen Ekel und Verdruß verurſachen, wenn ſie nicht dann und wann
mit Ubelklaͤngen, dergleichen die Diſſonanzen ſind, vermiſchet wuͤrden.
Jemehr nun eine Diſſonanz im Spielen von den andern Noten unterſchie-
den, und empfindlich gemacht wird; iemehr greift ſie das Gehoͤr an. Je
verdruͤßlicher aber die Sache iſt, welche unſer Vergnuͤgen ſtoͤhret; ie
angenehmer kommt uns das darauf folgende Vergnuͤgen vor. Je haͤrter
alſo der Verhalt der Diſſonanzen iſt; ie gefaͤlliger iſt ihre Aufloͤſung.
Ohne dieſe Vermiſchung des Wohlklanges und des Ubelklanges, wuͤrde in
der Muſik kein Mittel uͤbrig ſeyn, die verſchiedenen Leidenſchaften au-
genbliklich zu erregen, und augenbliklich wieder zu ſtillen.

13. §.

Wie aber der Verdruß nicht immer von einerley Heftigkeit ſeyn
kann; alſo haben auch von den Diſſonanzen, einige mehr, einige weniger
Wirkung; und muß alſo davon immer eine ſtaͤrker als die andere ange-
ſchlagen werden. Die None, die None und Quarte, die None und
Septime, die Quinte und Quarte, ſind dem Gehoͤre nicht ſo empfind-
lich, als die Quinte mit der großen Sexte, die falſche Quinte mit der
kleinen Sexte, die falſche Quinte mit der großen Sexte, die kleine Septi-
me mit der kleinen oder großen Terze, die große Septime, die mangel-
hafte Septime, die Septime mit der Secunde und Quarte, die uͤber-
maͤßige Sexte, die große Secunde mit der Quarte, die kleine Secunde
mit der Quarte, die große und die uͤbermaͤßige Secunde mit der uͤber-
maͤßigen Quarte, die kleine Terze mit der uͤbermaͤßigen Quarte. Die
erſtern erfodern alſo deswegen bey weitem nicht den Nachdruck im Ac-
compagnement, als die letztern. Unter dieſen letztern aber, iſt wieder
noch ein Unterſchied zu machen. Die kleine Secunde mit der Quarte,
die große und die uͤbermaͤßige Secunde mit der uͤbermaͤßigen Quarte,

die
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[227/0245] Von dem Clavieriſten insbeſondere. 12. §. Eben dieſe Erregung der abwechſelnden Leidenſchaften, iſt auch die Urſache, warum die Diſſonanzen uͤberhaupt ſtaͤrker als die Conſonanzen angeſchlagen werden muͤſſen. Die Conſonanzen ſetzen das Gemuͤth in eine vollkommene Ruhe, und Zufriedenheit: die Diſſonanzen hingegen erwe- cken im Gemuͤthe einen Verdruß. Wie nun ein niemals unterbrochenes Vergnuͤgen, es ſey von welcher Art es wolle, unſere Empfindungskraͤfte dermaaßen ſchwaͤchen und erſchoͤpfen wuͤrde, daß das Vergnuͤgen endlich aufhoͤren wuͤrde ein Vergnuͤgen zu ſeyn: alſo wuͤrden auch lauter Con- ſonanzen, in einer lange auf einander folgenden Reihe, dem Gehoͤre end- lich einen Ekel und Verdruß verurſachen, wenn ſie nicht dann und wann mit Ubelklaͤngen, dergleichen die Diſſonanzen ſind, vermiſchet wuͤrden. Jemehr nun eine Diſſonanz im Spielen von den andern Noten unterſchie- den, und empfindlich gemacht wird; iemehr greift ſie das Gehoͤr an. Je verdruͤßlicher aber die Sache iſt, welche unſer Vergnuͤgen ſtoͤhret; ie angenehmer kommt uns das darauf folgende Vergnuͤgen vor. Je haͤrter alſo der Verhalt der Diſſonanzen iſt; ie gefaͤlliger iſt ihre Aufloͤſung. Ohne dieſe Vermiſchung des Wohlklanges und des Ubelklanges, wuͤrde in der Muſik kein Mittel uͤbrig ſeyn, die verſchiedenen Leidenſchaften au- genbliklich zu erregen, und augenbliklich wieder zu ſtillen. 13. §. Wie aber der Verdruß nicht immer von einerley Heftigkeit ſeyn kann; alſo haben auch von den Diſſonanzen, einige mehr, einige weniger Wirkung; und muß alſo davon immer eine ſtaͤrker als die andere ange- ſchlagen werden. Die None, die None und Quarte, die None und Septime, die Quinte und Quarte, ſind dem Gehoͤre nicht ſo empfind- lich, als die Quinte mit der großen Sexte, die falſche Quinte mit der kleinen Sexte, die falſche Quinte mit der großen Sexte, die kleine Septi- me mit der kleinen oder großen Terze, die große Septime, die mangel- hafte Septime, die Septime mit der Secunde und Quarte, die uͤber- maͤßige Sexte, die große Secunde mit der Quarte, die kleine Secunde mit der Quarte, die große und die uͤbermaͤßige Secunde mit der uͤber- maͤßigen Quarte, die kleine Terze mit der uͤbermaͤßigen Quarte. Die erſtern erfodern alſo deswegen bey weitem nicht den Nachdruck im Ac- compagnement, als die letztern. Unter dieſen letztern aber, iſt wieder noch ein Unterſchied zu machen. Die kleine Secunde mit der Quarte, die große und die uͤbermaͤßige Secunde mit der uͤbermaͤßigen Quarte, die F f 2

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/245>, abgerufen am 29.03.2024.