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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus
25. §.

Bey Beurtheilung der Arien ins besondere aber, wird sich dessen
ungeachtet doch noch Mancher betrügen können: weil die Meisten immer
nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien
für die besten halten, welche ihnen vorzüglich gefallen. Die Einrichtung
einer Oper erfodert aber, daß um des Zusammenhanges des Ganzen wil-
len, nicht alle Arien von gleicher Beschaffenheit oder Stärke, sondern von
verschiedener Art und Natur seyn müssen. Die ersten von den recitirenden Per-
sonen müssen, nicht nur in Ansehung der Poesie, sondern auch der Musik, vor
den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemälde, welches
aus lauter gleichförmigen schönen Figuren besteht, das Auge nicht so ein-
nimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schönheit
mit darunter vorkommen: so bekömmt auch oftmals eine Hauptarie nur
alsdenn erst ihren rechten Glanz, wenn sie zwischen zwo geringere einge-
flochten wird. Nachdem die Gemüthtsbeschaffenheiten der Zuhörer un-
terschieden sind, nachdem wird auch ihr Geschmack an den Arien unter-
schieden seyn. Einem wird diese, einem andern jene Arie am besten ge-
fallen. Man darf sich also gar nicht wundern, wenn dem einem dasje-
nige gefällt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn
folglich die Beurtheilung eines Stückes, und besonders einer Oper, so
verschieden und ungewiß ausschlägt.

26. §.

Wenn man eine Singmusik, welche zu gewissen Absichten, entwe-
der für die Kirche, oder für das Theater verfertiget worden ist, und nun
in der Kammer aufgeführet wird, beurtheilen will; hat man großer Be-
hutsamkeit von nöthen. Die Umstände, welche damit an dem Orte ihrer
Bestimmung verknüpfet gewesen sind, die verschiedene Art des Vortra-
ges und der Ausführung, sowohl in Ansehung der Sänger, als der Jn-
strumentisten, ingleichen, ob man das ganze Werk in seinem vollkomme-
nen Zusammenhange, oder nur stückweise etwas davon höret, tragen so-
wohl zu einem guten, als zu einem schlechten Erfolge, sehr viel bey. Eine

Arie
Unter andern findet man in einer gewissen Serenate: il trionfo d'Imeneo
benennet, welche 1750. in Jtalien neu ist aufgeführet worden, so wie in den übri-
gen Werken ihres Verfassers, bewundernswürdige Beyspiele dieses Fehlers; und
zwar von der Feder eines Welschen, der entweder seiner eigenen Muttersprache
nicht mächtig zu seyn, oder zum wenigsten auf den Sinn der Wörter, und auf
dessen Ausdruck, gar selten Acht zu haben scheint.
Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
25. §.

Bey Beurtheilung der Arien ins beſondere aber, wird ſich deſſen
ungeachtet doch noch Mancher betruͤgen koͤnnen: weil die Meiſten immer
nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien
fuͤr die beſten halten, welche ihnen vorzuͤglich gefallen. Die Einrichtung
einer Oper erfodert aber, daß um des Zuſammenhanges des Ganzen wil-
len, nicht alle Arien von gleicher Beſchaffenheit oder Staͤrke, ſondern von
verſchiedener Art und Natur ſeyn muͤſſen. Die erſten von den recitirenden Per-
ſonen muͤſſen, nicht nur in Anſehung der Poeſie, ſondern auch der Muſik, vor
den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemaͤlde, welches
aus lauter gleichfoͤrmigen ſchoͤnen Figuren beſteht, das Auge nicht ſo ein-
nimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schoͤnheit
mit darunter vorkommen: ſo bekoͤmmt auch oftmals eine Hauptarie nur
alsdenn erſt ihren rechten Glanz, wenn ſie zwiſchen zwo geringere einge-
flochten wird. Nachdem die Gemuͤthtsbeſchaffenheiten der Zuhoͤrer un-
terſchieden ſind, nachdem wird auch ihr Geſchmack an den Arien unter-
ſchieden ſeyn. Einem wird dieſe, einem andern jene Arie am beſten ge-
fallen. Man darf ſich alſo gar nicht wundern, wenn dem einem dasje-
nige gefaͤllt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn
folglich die Beurtheilung eines Stuͤckes, und beſonders einer Oper, ſo
verſchieden und ungewiß ausſchlaͤgt.

26. §.

Wenn man eine Singmuſik, welche zu gewiſſen Abſichten, entwe-
der fuͤr die Kirche, oder fuͤr das Theater verfertiget worden iſt, und nun
in der Kammer aufgefuͤhret wird, beurtheilen will; hat man großer Be-
hutſamkeit von noͤthen. Die Umſtaͤnde, welche damit an dem Orte ihrer
Beſtimmung verknuͤpfet geweſen ſind, die verſchiedene Art des Vortra-
ges und der Ausfuͤhrung, ſowohl in Anſehung der Saͤnger, als der Jn-
ſtrumentiſten, ingleichen, ob man das ganze Werk in ſeinem vollkomme-
nen Zuſammenhange, oder nur ſtuͤckweiſe etwas davon hoͤret, tragen ſo-
wohl zu einem guten, als zu einem ſchlechten Erfolge, ſehr viel bey. Eine

Arie
Unter andern findet man in einer gewiſſen Serenate: il trionfo d’Imeneo
benennet, welche 1750. in Jtalien neu iſt aufgefuͤhret worden, ſo wie in den uͤbri-
gen Werken ihres Verfaſſers, bewundernswuͤrdige Beyſpiele dieſes Fehlers; und
zwar von der Feder eines Welſchen, der entweder ſeiner eigenen Mutterſprache
nicht maͤchtig zu ſeyn, oder zum wenigſten auf den Sinn der Woͤrter, und auf
deſſen Ausdruck, gar ſelten Acht zu haben ſcheint.
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[292/0310] Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus (**) 25. §. Bey Beurtheilung der Arien ins beſondere aber, wird ſich deſſen ungeachtet doch noch Mancher betruͤgen koͤnnen: weil die Meiſten immer nur nach ihrer eigenen Empfindung urtheilen, und allein diejenigen Arien fuͤr die beſten halten, welche ihnen vorzuͤglich gefallen. Die Einrichtung einer Oper erfodert aber, daß um des Zuſammenhanges des Ganzen wil- len, nicht alle Arien von gleicher Beſchaffenheit oder Staͤrke, ſondern von verſchiedener Art und Natur ſeyn muͤſſen. Die erſten von den recitirenden Per- ſonen muͤſſen, nicht nur in Anſehung der Poeſie, ſondern auch der Muſik, vor den letztern einigen Vorzug behalten. Denn gleich wie ein Gemaͤlde, welches aus lauter gleichfoͤrmigen ſchoͤnen Figuren beſteht, das Auge nicht ſo ein- nimmt und reizet, als wenn etliche Figuren von geringerer Schoͤnheit mit darunter vorkommen: ſo bekoͤmmt auch oftmals eine Hauptarie nur alsdenn erſt ihren rechten Glanz, wenn ſie zwiſchen zwo geringere einge- flochten wird. Nachdem die Gemuͤthtsbeſchaffenheiten der Zuhoͤrer un- terſchieden ſind, nachdem wird auch ihr Geſchmack an den Arien unter- ſchieden ſeyn. Einem wird dieſe, einem andern jene Arie am beſten ge- fallen. Man darf ſich alſo gar nicht wundern, wenn dem einem dasje- nige gefaͤllt, woran der andere gar nichts angenehmes findet; und wenn folglich die Beurtheilung eines Stuͤckes, und beſonders einer Oper, ſo verſchieden und ungewiß ausſchlaͤgt. 26. §. Wenn man eine Singmuſik, welche zu gewiſſen Abſichten, entwe- der fuͤr die Kirche, oder fuͤr das Theater verfertiget worden iſt, und nun in der Kammer aufgefuͤhret wird, beurtheilen will; hat man großer Be- hutſamkeit von noͤthen. Die Umſtaͤnde, welche damit an dem Orte ihrer Beſtimmung verknuͤpfet geweſen ſind, die verſchiedene Art des Vortra- ges und der Ausfuͤhrung, ſowohl in Anſehung der Saͤnger, als der Jn- ſtrumentiſten, ingleichen, ob man das ganze Werk in ſeinem vollkomme- nen Zuſammenhange, oder nur ſtuͤckweiſe etwas davon hoͤret, tragen ſo- wohl zu einem guten, als zu einem ſchlechten Erfolge, ſehr viel bey. Eine Arie (**) Unter andern findet man in einer gewiſſen Serenate: il trionfo d’Imeneo benennet, welche 1750. in Jtalien neu iſt aufgefuͤhret worden, ſo wie in den uͤbri- gen Werken ihres Verfaſſers, bewundernswuͤrdige Beyſpiele dieſes Fehlers; und zwar von der Feder eines Welſchen, der entweder ſeiner eigenen Mutterſprache nicht maͤchtig zu ſeyn, oder zum wenigſten auf den Sinn der Woͤrter, und auf deſſen Ausdruck, gar ſelten Acht zu haben ſcheint.

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/310>, abgerufen am 29.03.2024.