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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus
Jahre 1722 seinen Anfang genommen hat, erfunden haben. Es scheint aber
diese Schreibart, wie einige Merkmaale zu erkennen geben, der Schotländi-
schen Musik etwas ähnlich zu seyn; sie ist auch schon wohl zwanzig Jahre
vor ihrem Aufkommen in Jtalien, von einigen deutschen Componisten,
hier und da, ob wohl nicht so häufig, angebracht worden: folglich könnte
sie bey den Welschen nur als eine Nachahmung der itztbenennten angese-
hen werden. Dem sey nun wie ihm wolle, so hat doch diese Verände-
rung der Art zu denken, den gedachten berühmten Violinisten, vor seine
Person, in den letzten Zeiten seines Lebens, von dem guten Geschmacke
fast ganz und gar abgeführet.

59. §.

Der andere der oben erwähnten beyden lombardischen Violinisten,
ist einer der ersten und größten Meister Schwierigkeiten auf der Violi-
ne zu spielen. Er hat, wie man vorgiebt, sich einige Jahre der musi-
kalischen Gesellschaft ganz und gar entzogen, um einen aus ihm selbst
fließenden Geschmack hervor zu bringen. Dieser Geschmack ist aber so ge-
rathen, daß er nicht nur des Vorigen seinem, in gewisser Art, ganz ent-
gegen ist, sondern auch im Singen unmöglich nachgeahmet werden kann,
folglich nur denen Violinisten, die von der wahren guten Singart viel-
leicht wenig Empfindung haben, allein eigen bleibt. Wie aber jener
durch die Vielheit seiner musikalischen Werke in eine Leichtsinnigkeit und
Frechheit verfiel; und durch solche sich von dem Geschmacke der andern
merklich unterschied: so ist dieser hingegen, in Ansehung der Singart,
oder vielmehr durch Verbannung des Guten und Gefälligen so dieselbe
hat, von allen andern ganz und gar abgegangen. Deswegen hat auch
seine Composition nicht, mit der vorerwähnten, ein gleiches Schicksal er-
halten. Es sind in derselben fast nichts als trockene, einfältige, und
ganz gemeine Gedanken anzutreffen, welche sich allenfalls besser zur komi-
schen, als zur ernsthaften Musik, schicken möchten. Sein Spielen hat
zwar, weil es etwas neues zu seyn geschienen, bey denen, die das Jn-
strument verstehen, viel Verwunderung, bey andern aber desto weniger
Gefallen erwecket. Und weil er vielerley Arten und Schwierigkeiten des
Bogenstriches erfunden; wodurch sein Vortrag sich von allen andern un-
terscheidet: so ist es denn auch geschehen, daß verschiedene deutsche Vio-
linisten, aus Neugierigkeit, aber nicht eben zu ihrem Vortheile, unter
seine Jnformation gerathen sind. Viele haben seine Art zu spielen ange-
nommen und beybehalten: einige hingegen haben dieselbe, weil sie nach-

hero

Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus
Jahre 1722 ſeinen Anfang genommen hat, erfunden haben. Es ſcheint aber
dieſe Schreibart, wie einige Merkmaale zu erkennen geben, der Schotlaͤndi-
ſchen Muſik etwas aͤhnlich zu ſeyn; ſie iſt auch ſchon wohl zwanzig Jahre
vor ihrem Aufkommen in Jtalien, von einigen deutſchen Componiſten,
hier und da, ob wohl nicht ſo haͤufig, angebracht worden: folglich koͤnnte
ſie bey den Welſchen nur als eine Nachahmung der itztbenennten angeſe-
hen werden. Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo hat doch dieſe Veraͤnde-
rung der Art zu denken, den gedachten beruͤhmten Violiniſten, vor ſeine
Perſon, in den letzten Zeiten ſeines Lebens, von dem guten Geſchmacke
faſt ganz und gar abgefuͤhret.

59. §.

Der andere der oben erwaͤhnten beyden lombardiſchen Violiniſten,
iſt einer der erſten und groͤßten Meiſter Schwierigkeiten auf der Violi-
ne zu ſpielen. Er hat, wie man vorgiebt, ſich einige Jahre der muſi-
kaliſchen Geſellſchaft ganz und gar entzogen, um einen aus ihm ſelbſt
fließenden Geſchmack hervor zu bringen. Dieſer Geſchmack iſt aber ſo ge-
rathen, daß er nicht nur des Vorigen ſeinem, in gewiſſer Art, ganz ent-
gegen iſt, ſondern auch im Singen unmoͤglich nachgeahmet werden kann,
folglich nur denen Violiniſten, die von der wahren guten Singart viel-
leicht wenig Empfindung haben, allein eigen bleibt. Wie aber jener
durch die Vielheit ſeiner muſikaliſchen Werke in eine Leichtſinnigkeit und
Frechheit verfiel; und durch ſolche ſich von dem Geſchmacke der andern
merklich unterſchied: ſo iſt dieſer hingegen, in Anſehung der Singart,
oder vielmehr durch Verbannung des Guten und Gefaͤlligen ſo dieſelbe
hat, von allen andern ganz und gar abgegangen. Deswegen hat auch
ſeine Compoſition nicht, mit der vorerwaͤhnten, ein gleiches Schickſal er-
halten. Es ſind in derſelben faſt nichts als trockene, einfaͤltige, und
ganz gemeine Gedanken anzutreffen, welche ſich allenfalls beſſer zur komi-
ſchen, als zur ernſthaften Muſik, ſchicken moͤchten. Sein Spielen hat
zwar, weil es etwas neues zu ſeyn geſchienen, bey denen, die das Jn-
ſtrument verſtehen, viel Verwunderung, bey andern aber deſto weniger
Gefallen erwecket. Und weil er vielerley Arten und Schwierigkeiten des
Bogenſtriches erfunden; wodurch ſein Vortrag ſich von allen andern un-
terſcheidet: ſo iſt es denn auch geſchehen, daß verſchiedene deutſche Vio-
liniſten, aus Neugierigkeit, aber nicht eben zu ihrem Vortheile, unter
ſeine Jnformation gerathen ſind. Viele haben ſeine Art zu ſpielen ange-
nommen und beybehalten: einige hingegen haben dieſelbe, weil ſie nach-

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[310/0328] Das XVIII. Hauptſtuͤck. Wie ein Muſikus Jahre 1722 ſeinen Anfang genommen hat, erfunden haben. Es ſcheint aber dieſe Schreibart, wie einige Merkmaale zu erkennen geben, der Schotlaͤndi- ſchen Muſik etwas aͤhnlich zu ſeyn; ſie iſt auch ſchon wohl zwanzig Jahre vor ihrem Aufkommen in Jtalien, von einigen deutſchen Componiſten, hier und da, ob wohl nicht ſo haͤufig, angebracht worden: folglich koͤnnte ſie bey den Welſchen nur als eine Nachahmung der itztbenennten angeſe- hen werden. Dem ſey nun wie ihm wolle, ſo hat doch dieſe Veraͤnde- rung der Art zu denken, den gedachten beruͤhmten Violiniſten, vor ſeine Perſon, in den letzten Zeiten ſeines Lebens, von dem guten Geſchmacke faſt ganz und gar abgefuͤhret. 59. §. Der andere der oben erwaͤhnten beyden lombardiſchen Violiniſten, iſt einer der erſten und groͤßten Meiſter Schwierigkeiten auf der Violi- ne zu ſpielen. Er hat, wie man vorgiebt, ſich einige Jahre der muſi- kaliſchen Geſellſchaft ganz und gar entzogen, um einen aus ihm ſelbſt fließenden Geſchmack hervor zu bringen. Dieſer Geſchmack iſt aber ſo ge- rathen, daß er nicht nur des Vorigen ſeinem, in gewiſſer Art, ganz ent- gegen iſt, ſondern auch im Singen unmoͤglich nachgeahmet werden kann, folglich nur denen Violiniſten, die von der wahren guten Singart viel- leicht wenig Empfindung haben, allein eigen bleibt. Wie aber jener durch die Vielheit ſeiner muſikaliſchen Werke in eine Leichtſinnigkeit und Frechheit verfiel; und durch ſolche ſich von dem Geſchmacke der andern merklich unterſchied: ſo iſt dieſer hingegen, in Anſehung der Singart, oder vielmehr durch Verbannung des Guten und Gefaͤlligen ſo dieſelbe hat, von allen andern ganz und gar abgegangen. Deswegen hat auch ſeine Compoſition nicht, mit der vorerwaͤhnten, ein gleiches Schickſal er- halten. Es ſind in derſelben faſt nichts als trockene, einfaͤltige, und ganz gemeine Gedanken anzutreffen, welche ſich allenfalls beſſer zur komi- ſchen, als zur ernſthaften Muſik, ſchicken moͤchten. Sein Spielen hat zwar, weil es etwas neues zu ſeyn geſchienen, bey denen, die das Jn- ſtrument verſtehen, viel Verwunderung, bey andern aber deſto weniger Gefallen erwecket. Und weil er vielerley Arten und Schwierigkeiten des Bogenſtriches erfunden; wodurch ſein Vortrag ſich von allen andern un- terſcheidet: ſo iſt es denn auch geſchehen, daß verſchiedene deutſche Vio- liniſten, aus Neugierigkeit, aber nicht eben zu ihrem Vortheile, unter ſeine Jnformation gerathen ſind. Viele haben ſeine Art zu ſpielen ange- nommen und beybehalten: einige hingegen haben dieſelbe, weil ſie nach- hero

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/328>, abgerufen am 25.04.2024.