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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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wird: welches doch dem Componisten, welcher nicht allezeit zugegen seyn kann, zum größten Nachtheile gereichet. Es ist zur Gnüge bekannt, daß wenn ein Stück ein- oder mehrmal nach einander wiederholet wird, absonderlich wenn es ein geschwindes, z. E. ein Allegro aus einem Concert, oder einer Sinfonie, ist, daß man dasselbe, um die Zuhörer nicht einzuschläfern, zum zweytenmale etwas geschwinder spielet, als das erstemal. Geschähe dieses nicht; so würden die Zuhörer glauben, das Stück sey noch nicht zu Ende. Wird es aber in einem etwas geschwindern Tempo wiederholet, so bekömmt das Stück dadurch ein lebhafteres, und, so zu sagen, ein neues oder fremdes Ansehen; welches die Zuhörer in eine neue Aufmerksamkeit versetzet. Gereicht nun diese Gewohnheit dem Stücke nicht zum Nachtheile; zumal da sie bey guten und mittelmäßigen Ausführern hergebracht ist, und bey beyden gleich gute Wirkung thut: so würde es auch nicht schädlich seyn, wenn allenfalls ein trauriger Mensch, der Mischung seines Blutes gemäß, ein Stück zwar mäßig geschwinder, nur aber gut spielete; und ein flüchtiger Mensch nähme es mit mehrerer Lebhaftigkeit. Im übrigen aber, woferne jemand noch ein leichteres, richtigeres, und bequemeres Mittel das Zeitmaaß zu erlernen, und zu treffen, ausfinden könnte; so würde er wohl thun, wenn er nicht säumete, es der Welt bekannt zu machen.

56. §.

Ich will die Art, das Tempo nach Anleitung des Pulsschlages zu treffen, noch auf die französische Tanzmusik, von welcher ich auch etwas zu handeln für nöthig finde, anzuwenden suchen. Diese Art der Musik besteht mehrentheils aus gewissen Charakteren; ein jeder Charakter aber erfodert sein eigenes Tempo: weil diese Art von Musik nicht so willkührlich als die italiänische, sondern sehr eingeschränket ist. Könnten nun sowohl die Tänzer, als das Orchester, allezeit einerley Tempo fassen; so würden sie vieles Verdrusses überhoben seyn können. Es ist bekannt, daß die meisten Tänzer wenig oder nichts von der Musik verstehen, und oftmals das rechte Zeitmaaß selbst nicht wissen; sondern sich mehrentheils nur nach der Fassung, in welcher sie stehen, oder nach ihren Kräften richten. Die Erfahrung lehret auch, daß die Tänzer, bey den Proben, wenn solche des Morgens geschehen, da sie noch nüchtern sind, und mit kaltem Blute tanzen, selten das Zeitmaaß so lebhaft verlangen, als bey der Ausführung, welche ordentlicher Weise des Abends vor sich geht; da sie denn, theils wegen der guten Nahrung die sie vorher zu sich

wird: welches doch dem Componisten, welcher nicht allezeit zugegen seyn kann, zum größten Nachtheile gereichet. Es ist zur Gnüge bekannt, daß wenn ein Stück ein- oder mehrmal nach einander wiederholet wird, absonderlich wenn es ein geschwindes, z. E. ein Allegro aus einem Concert, oder einer Sinfonie, ist, daß man dasselbe, um die Zuhörer nicht einzuschläfern, zum zweytenmale etwas geschwinder spielet, als das erstemal. Geschähe dieses nicht; so würden die Zuhörer glauben, das Stück sey noch nicht zu Ende. Wird es aber in einem etwas geschwindern Tempo wiederholet, so bekömmt das Stück dadurch ein lebhafteres, und, so zu sagen, ein neues oder fremdes Ansehen; welches die Zuhörer in eine neue Aufmerksamkeit versetzet. Gereicht nun diese Gewohnheit dem Stücke nicht zum Nachtheile; zumal da sie bey guten und mittelmäßigen Ausführern hergebracht ist, und bey beyden gleich gute Wirkung thut: so würde es auch nicht schädlich seyn, wenn allenfalls ein trauriger Mensch, der Mischung seines Blutes gemäß, ein Stück zwar mäßig geschwinder, nur aber gut spielete; und ein flüchtiger Mensch nähme es mit mehrerer Lebhaftigkeit. Im übrigen aber, woferne jemand noch ein leichteres, richtigeres, und bequemeres Mittel das Zeitmaaß zu erlernen, und zu treffen, ausfinden könnte; so würde er wohl thun, wenn er nicht säumete, es der Welt bekannt zu machen.

56. §.

Ich will die Art, das Tempo nach Anleitung des Pulsschlages zu treffen, noch auf die französische Tanzmusik, von welcher ich auch etwas zu handeln für nöthig finde, anzuwenden suchen. Diese Art der Musik besteht mehrentheils aus gewissen Charakteren; ein jeder Charakter aber erfodert sein eigenes Tempo: weil diese Art von Musik nicht so willkührlich als die italiänische, sondern sehr eingeschränket ist. Könnten nun sowohl die Tänzer, als das Orchester, allezeit einerley Tempo fassen; so würden sie vieles Verdrusses überhoben seyn können. Es ist bekannt, daß die meisten Tänzer wenig oder nichts von der Musik verstehen, und oftmals das rechte Zeitmaaß selbst nicht wissen; sondern sich mehrentheils nur nach der Fassung, in welcher sie stehen, oder nach ihren Kräften richten. Die Erfahrung lehret auch, daß die Tänzer, bey den Proben, wenn solche des Morgens geschehen, da sie noch nüchtern sind, und mit kaltem Blute tanzen, selten das Zeitmaaß so lebhaft verlangen, als bey der Ausführung, welche ordentlicher Weise des Abends vor sich geht; da sie denn, theils wegen der guten Nahrung die sie vorher zu sich

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[268/0282] wird: welches doch dem Componisten, welcher nicht allezeit zugegen seyn kann, zum größten Nachtheile gereichet. Es ist zur Gnüge bekannt, daß wenn ein Stück ein- oder mehrmal nach einander wiederholet wird, absonderlich wenn es ein geschwindes, z. E. ein Allegro aus einem Concert, oder einer Sinfonie, ist, daß man dasselbe, um die Zuhörer nicht einzuschläfern, zum zweytenmale etwas geschwinder spielet, als das erstemal. Geschähe dieses nicht; so würden die Zuhörer glauben, das Stück sey noch nicht zu Ende. Wird es aber in einem etwas geschwindern Tempo wiederholet, so bekömmt das Stück dadurch ein lebhafteres, und, so zu sagen, ein neues oder fremdes Ansehen; welches die Zuhörer in eine neue Aufmerksamkeit versetzet. Gereicht nun diese Gewohnheit dem Stücke nicht zum Nachtheile; zumal da sie bey guten und mittelmäßigen Ausführern hergebracht ist, und bey beyden gleich gute Wirkung thut: so würde es auch nicht schädlich seyn, wenn allenfalls ein trauriger Mensch, der Mischung seines Blutes gemäß, ein Stück zwar mäßig geschwinder, nur aber gut spielete; und ein flüchtiger Mensch nähme es mit mehrerer Lebhaftigkeit. Im übrigen aber, woferne jemand noch ein leichteres, richtigeres, und bequemeres Mittel das Zeitmaaß zu erlernen, und zu treffen, ausfinden könnte; so würde er wohl thun, wenn er nicht säumete, es der Welt bekannt zu machen. 56. §. Ich will die Art, das Tempo nach Anleitung des Pulsschlages zu treffen, noch auf die französische Tanzmusik, von welcher ich auch etwas zu handeln für nöthig finde, anzuwenden suchen. Diese Art der Musik besteht mehrentheils aus gewissen Charakteren; ein jeder Charakter aber erfodert sein eigenes Tempo: weil diese Art von Musik nicht so willkührlich als die italiänische, sondern sehr eingeschränket ist. Könnten nun sowohl die Tänzer, als das Orchester, allezeit einerley Tempo fassen; so würden sie vieles Verdrusses überhoben seyn können. Es ist bekannt, daß die meisten Tänzer wenig oder nichts von der Musik verstehen, und oftmals das rechte Zeitmaaß selbst nicht wissen; sondern sich mehrentheils nur nach der Fassung, in welcher sie stehen, oder nach ihren Kräften richten. Die Erfahrung lehret auch, daß die Tänzer, bey den Proben, wenn solche des Morgens geschehen, da sie noch nüchtern sind, und mit kaltem Blute tanzen, selten das Zeitmaaß so lebhaft verlangen, als bey der Ausführung, welche ordentlicher Weise des Abends vor sich geht; da sie denn, theils wegen der guten Nahrung die sie vorher zu sich

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/282>, abgerufen am 28.03.2024.