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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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und in einem überhäuften Zusatze der willkührlichen Auszierungen. Er hat von einigen berühmten Instrumentisten seinen Ursprung genommen, welche sich von Zeit zu Zeit in der Setzkunst, besonders aber auf ihren Instrumenten, durch Ausführung vieler Schwierigkeiten, hervorgethan haben. Sie müssen aber dabey auch von so unterschiedener Gemüthsbeschaffenheit gewesen seyn, daß der eine dadurch auf diesen, der andere auf einen andern Geschmack verführet worden; welchen nachgehends ihre Anhänger immer weiter fortgepflanzet haben: so daß dadurch endlich aus einem gründlichen, ein frecher und bizarrer Geschmack entstanden ist. Die Eifersucht, welche in Welschland zwischen den Sängern und Instrumentisten, und zwischen den Instrumental- und Vocalcomponisten immer herrschet, kann auch etwas zu dieser Absonderung beygetragen haben. Die Sänger wollen den Instrumentisten den Vortheil nicht gönnen, durch das Sangbare, so wie sie, zu rühren: sie maßen sich ohne dem, ohne Unterschied, eines Vorzugs über die Instrumentisten an. Diese aber wollen jenen nichts nachgeben; sie suchen also, ob es nicht möglich sey, mit einer andern Art, eben so gut als jene, zu gefallen. Dadurch sind sie aber, zum Schaden des wahrhaftig guten Geschmackes, fast auf das Gegentheil verfallen.

58. §.

Zweene berühmte lombardische Violinisten, welche ohngefähr vor etlichen und dreyßig Jahren, nicht gar lange nach einander, angefangen haben bekannt zu werden, haben hierzu insonderheit viel beygetragen. Der erste war lebhaft, reich an Erfindung, und erfüllete fast die halbe Welt mit seinen Concerten. Obwohl Torelli, und nach ihm Corelli hierinne einen Anfang gemachet hatten: so brachte er sie doch, nebst dem Albinoni, in eine bessere Form, und gab davon gute Muster. Er erlangete auch dadurch, so wie Corelli durch seine zwölf Solo, einen allgemeinen Credit. Zuletzt aber verfiel er, durch allzuvieles und tägliches Componiren, und besonders da er anfieng theatralische Singmusiken zu verfertigen, in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit, sowohl im Setzen, als Spielen: weswegen auch seine letztern Concerte nicht mehr so viel Beyfall verdieneten, als die erstern. Man saget von ihm, daß er einer von denen sey, die den sogenannten lombardischen Geschmack, welcher darinne besteht, daß man bisweilen, von zwo oder drey kurzen Noten, die anschlagende kurz machet, und hinter die durchgehende einen Punct setzet, s. V. Haupst. 23. §, und welcher Geschmack ohngefähr im

und in einem überhäuften Zusatze der willkührlichen Auszierungen. Er hat von einigen berühmten Instrumentisten seinen Ursprung genommen, welche sich von Zeit zu Zeit in der Setzkunst, besonders aber auf ihren Instrumenten, durch Ausführung vieler Schwierigkeiten, hervorgethan haben. Sie müssen aber dabey auch von so unterschiedener Gemüthsbeschaffenheit gewesen seyn, daß der eine dadurch auf diesen, der andere auf einen andern Geschmack verführet worden; welchen nachgehends ihre Anhänger immer weiter fortgepflanzet haben: so daß dadurch endlich aus einem gründlichen, ein frecher und bizarrer Geschmack entstanden ist. Die Eifersucht, welche in Welschland zwischen den Sängern und Instrumentisten, und zwischen den Instrumental- und Vocalcomponisten immer herrschet, kann auch etwas zu dieser Absonderung beygetragen haben. Die Sänger wollen den Instrumentisten den Vortheil nicht gönnen, durch das Sangbare, so wie sie, zu rühren: sie maßen sich ohne dem, ohne Unterschied, eines Vorzugs über die Instrumentisten an. Diese aber wollen jenen nichts nachgeben; sie suchen also, ob es nicht möglich sey, mit einer andern Art, eben so gut als jene, zu gefallen. Dadurch sind sie aber, zum Schaden des wahrhaftig guten Geschmackes, fast auf das Gegentheil verfallen.

58. §.

Zweene berühmte lombardische Violinisten, welche ohngefähr vor etlichen und dreyßig Jahren, nicht gar lange nach einander, angefangen haben bekannt zu werden, haben hierzu insonderheit viel beygetragen. Der erste war lebhaft, reich an Erfindung, und erfüllete fast die halbe Welt mit seinen Concerten. Obwohl Torelli, und nach ihm Corelli hierinne einen Anfang gemachet hatten: so brachte er sie doch, nebst dem Albinoni, in eine bessere Form, und gab davon gute Muster. Er erlangete auch dadurch, so wie Corelli durch seine zwölf Solo, einen allgemeinen Credit. Zuletzt aber verfiel er, durch allzuvieles und tägliches Componiren, und besonders da er anfieng theatralische Singmusiken zu verfertigen, in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit, sowohl im Setzen, als Spielen: weswegen auch seine letztern Concerte nicht mehr so viel Beyfall verdieneten, als die erstern. Man saget von ihm, daß er einer von denen sey, die den sogenannten lombardischen Geschmack, welcher darinne besteht, daß man bisweilen, von zwo oder drey kurzen Noten, die anschlagende kurz machet, und hinter die durchgehende einen Punct setzet, s. V. Haupst. 23. §, und welcher Geschmack ohngefähr im

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[309/0323] und in einem überhäuften Zusatze der willkührlichen Auszierungen. Er hat von einigen berühmten Instrumentisten seinen Ursprung genommen, welche sich von Zeit zu Zeit in der Setzkunst, besonders aber auf ihren Instrumenten, durch Ausführung vieler Schwierigkeiten, hervorgethan haben. Sie müssen aber dabey auch von so unterschiedener Gemüthsbeschaffenheit gewesen seyn, daß der eine dadurch auf diesen, der andere auf einen andern Geschmack verführet worden; welchen nachgehends ihre Anhänger immer weiter fortgepflanzet haben: so daß dadurch endlich aus einem gründlichen, ein frecher und bizarrer Geschmack entstanden ist. Die Eifersucht, welche in Welschland zwischen den Sängern und Instrumentisten, und zwischen den Instrumental- und Vocalcomponisten immer herrschet, kann auch etwas zu dieser Absonderung beygetragen haben. Die Sänger wollen den Instrumentisten den Vortheil nicht gönnen, durch das Sangbare, so wie sie, zu rühren: sie maßen sich ohne dem, ohne Unterschied, eines Vorzugs über die Instrumentisten an. Diese aber wollen jenen nichts nachgeben; sie suchen also, ob es nicht möglich sey, mit einer andern Art, eben so gut als jene, zu gefallen. Dadurch sind sie aber, zum Schaden des wahrhaftig guten Geschmackes, fast auf das Gegentheil verfallen. 58. §. Zweene berühmte lombardische Violinisten, welche ohngefähr vor etlichen und dreyßig Jahren, nicht gar lange nach einander, angefangen haben bekannt zu werden, haben hierzu insonderheit viel beygetragen. Der erste war lebhaft, reich an Erfindung, und erfüllete fast die halbe Welt mit seinen Concerten. Obwohl Torelli, und nach ihm Corelli hierinne einen Anfang gemachet hatten: so brachte er sie doch, nebst dem Albinoni, in eine bessere Form, und gab davon gute Muster. Er erlangete auch dadurch, so wie Corelli durch seine zwölf Solo, einen allgemeinen Credit. Zuletzt aber verfiel er, durch allzuvieles und tägliches Componiren, und besonders da er anfieng theatralische Singmusiken zu verfertigen, in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit, sowohl im Setzen, als Spielen: weswegen auch seine letztern Concerte nicht mehr so viel Beyfall verdieneten, als die erstern. Man saget von ihm, daß er einer von denen sey, die den sogenannten lombardischen Geschmack, welcher darinne besteht, daß man bisweilen, von zwo oder drey kurzen Noten, die anschlagende kurz machet, und hinter die durchgehende einen Punct setzet, s. V. Haupst. 23. §, und welcher Geschmack ohngefähr im

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/323>, abgerufen am 25.04.2024.