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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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erfodert, daß die Zuhörer beständig mit einer angenehmen Abwechselung unterhalten, und immer aus einer Leidenschaft in die andere versetzet, ja daß die Leidenschaften selbst bisweilen auf einen gewissen Grad der Stärke getrieben werden, und wieder abnehmen sollen. Dieses kann aber der Dichter, ohne Beyhülfe des Componisten, nicht allein bewerkstelligen. Doch was den französischen Opern, wegen des geringen Unterschieds, der sich zwischen Arien und Recitativen findet, an der Lebhaftigkeit abgeht; das ersetzen die Chöre und Tänze. Wenn man den ganzen Zusammenhang einer französischen Oper genau betrachtet, so sollte man fast glauben, als wenn die allzuähnliche Vermischung der Arien und Recitative mit Fleiß so eingerichtet würde, um die Chöre und Ballette desto mehr zu erheben. Ungeachtet nun diese, sowohl als die Auszierungen des Schauplatzes, nur als ein Nebenwerk einer Oper anzusehen sind; wie denn absonderlich die Chöre in den italiänischen Opern wenig geachtet werden: so sind sie nichts desto weniger fast die größte Zierde der französischen Singspiele. Es ist unstreitig, daß die Musik der Franzosen, sich, zu dem in seiner Vollkommenheit betrachteten Tanzen, viel besser schicket, als keine andere: da hingegen die italiänische zum Singen und Spielen eine bessere Wirkung thut, als zum Tanzen. Doch ist auch nicht ganz zu läugnen, daß man in der französischen Instrumentalmusik, vornehmlich aber in ihren charakterisireten Stücken, wegen des an einander hangenden und concertirenden Gesanges, viele gefällige und annehmliche Gedanken antrifft, die sich, im italiänischen Geschmacke, mit prächtigen und erhabenen Gängen sehr wohl vermischen lassen.

68. §.

Alle italiänischen Opern sind, wenn man sie im Ganzen betrachtet, auch nicht lauter Meisterstücke. Obgleich ihre vornehmsten Operndichter, sich, absonderlich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, alle Mühe gegeben haben, die Singspiele von vielen Ausschweifungen zu reinigen, und dem vernünftigen Geschmacke des französischen Tragödientheaters, so viel als möglich ist, ähnlich zu machen; ob man wohl in Italien eine Menge vollkommen schöner Opernpoesieen aufzuweisen hat: da hingegen die Franzosen, in ihren meisten Opern, noch immer an den Fabeln kleben, und an einer Menge unnatürlicher und abentheuerlicher Vorstellungen sich belustigen: so werden doch noch in Italien, sowohl durch manche Poeten, als durch die Componisten und Sänger, große Fehler begangen. Die Poeten verbinden z. E. die Arien nicht allemal mit der

erfodert, daß die Zuhörer beständig mit einer angenehmen Abwechselung unterhalten, und immer aus einer Leidenschaft in die andere versetzet, ja daß die Leidenschaften selbst bisweilen auf einen gewissen Grad der Stärke getrieben werden, und wieder abnehmen sollen. Dieses kann aber der Dichter, ohne Beyhülfe des Componisten, nicht allein bewerkstelligen. Doch was den französischen Opern, wegen des geringen Unterschieds, der sich zwischen Arien und Recitativen findet, an der Lebhaftigkeit abgeht; das ersetzen die Chöre und Tänze. Wenn man den ganzen Zusammenhang einer französischen Oper genau betrachtet, so sollte man fast glauben, als wenn die allzuähnliche Vermischung der Arien und Recitative mit Fleiß so eingerichtet würde, um die Chöre und Ballette desto mehr zu erheben. Ungeachtet nun diese, sowohl als die Auszierungen des Schauplatzes, nur als ein Nebenwerk einer Oper anzusehen sind; wie denn absonderlich die Chöre in den italiänischen Opern wenig geachtet werden: so sind sie nichts desto weniger fast die größte Zierde der französischen Singspiele. Es ist unstreitig, daß die Musik der Franzosen, sich, zu dem in seiner Vollkommenheit betrachteten Tanzen, viel besser schicket, als keine andere: da hingegen die italiänische zum Singen und Spielen eine bessere Wirkung thut, als zum Tanzen. Doch ist auch nicht ganz zu läugnen, daß man in der französischen Instrumentalmusik, vornehmlich aber in ihren charakterisireten Stücken, wegen des an einander hangenden und concertirenden Gesanges, viele gefällige und annehmliche Gedanken antrifft, die sich, im italiänischen Geschmacke, mit prächtigen und erhabenen Gängen sehr wohl vermischen lassen.

68. §.

Alle italiänischen Opern sind, wenn man sie im Ganzen betrachtet, auch nicht lauter Meisterstücke. Obgleich ihre vornehmsten Operndichter, sich, absonderlich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, alle Mühe gegeben haben, die Singspiele von vielen Ausschweifungen zu reinigen, und dem vernünftigen Geschmacke des französischen Tragödientheaters, so viel als möglich ist, ähnlich zu machen; ob man wohl in Italien eine Menge vollkommen schöner Opernpoesieen aufzuweisen hat: da hingegen die Franzosen, in ihren meisten Opern, noch immer an den Fabeln kleben, und an einer Menge unnatürlicher und abentheuerlicher Vorstellungen sich belustigen: so werden doch noch in Italien, sowohl durch manche Poeten, als durch die Componisten und Sänger, große Fehler begangen. Die Poeten verbinden z. E. die Arien nicht allemal mit der

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[317/0331] erfodert, daß die Zuhörer beständig mit einer angenehmen Abwechselung unterhalten, und immer aus einer Leidenschaft in die andere versetzet, ja daß die Leidenschaften selbst bisweilen auf einen gewissen Grad der Stärke getrieben werden, und wieder abnehmen sollen. Dieses kann aber der Dichter, ohne Beyhülfe des Componisten, nicht allein bewerkstelligen. Doch was den französischen Opern, wegen des geringen Unterschieds, der sich zwischen Arien und Recitativen findet, an der Lebhaftigkeit abgeht; das ersetzen die Chöre und Tänze. Wenn man den ganzen Zusammenhang einer französischen Oper genau betrachtet, so sollte man fast glauben, als wenn die allzuähnliche Vermischung der Arien und Recitative mit Fleiß so eingerichtet würde, um die Chöre und Ballette desto mehr zu erheben. Ungeachtet nun diese, sowohl als die Auszierungen des Schauplatzes, nur als ein Nebenwerk einer Oper anzusehen sind; wie denn absonderlich die Chöre in den italiänischen Opern wenig geachtet werden: so sind sie nichts desto weniger fast die größte Zierde der französischen Singspiele. Es ist unstreitig, daß die Musik der Franzosen, sich, zu dem in seiner Vollkommenheit betrachteten Tanzen, viel besser schicket, als keine andere: da hingegen die italiänische zum Singen und Spielen eine bessere Wirkung thut, als zum Tanzen. Doch ist auch nicht ganz zu läugnen, daß man in der französischen Instrumentalmusik, vornehmlich aber in ihren charakterisireten Stücken, wegen des an einander hangenden und concertirenden Gesanges, viele gefällige und annehmliche Gedanken antrifft, die sich, im italiänischen Geschmacke, mit prächtigen und erhabenen Gängen sehr wohl vermischen lassen. 68. §. Alle italiänischen Opern sind, wenn man sie im Ganzen betrachtet, auch nicht lauter Meisterstücke. Obgleich ihre vornehmsten Operndichter, sich, absonderlich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, alle Mühe gegeben haben, die Singspiele von vielen Ausschweifungen zu reinigen, und dem vernünftigen Geschmacke des französischen Tragödientheaters, so viel als möglich ist, ähnlich zu machen; ob man wohl in Italien eine Menge vollkommen schöner Opernpoesieen aufzuweisen hat: da hingegen die Franzosen, in ihren meisten Opern, noch immer an den Fabeln kleben, und an einer Menge unnatürlicher und abentheuerlicher Vorstellungen sich belustigen: so werden doch noch in Italien, sowohl durch manche Poeten, als durch die Componisten und Sänger, große Fehler begangen. Die Poeten verbinden z. E. die Arien nicht allemal mit der

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/331>, abgerufen am 29.03.2024.