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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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halben, oder auch wohl einen ganzen Ton tiefer und höher spielen: und in der Flöte muß der innerliche Bau so beschaffen seyn, daß die Octaven etwas über sich schweben; damit man, wenn man selbige nach dem Gehöre rein spielen will, verbunden sey, die tiefen Töne stärker, die höhern aber schwächer anzublasen; um die über sich schwebenden Octaven, zu ihrer vollkommenen Reinigkeit zu bringen: welches aber auf keine andere Art, als durch die Bewegung des Kinns und der Lippen geschehen kann. Wird das Mundloch mit der Unterlippe so viel bedecket, als zu den hohen Tonen nöthig ist: so kann man die tiefen weder stark noch rein spielen. Zieht man aber die Lippe so weit zurück, als es die tiefen Tone erfordern; und spielet ohne Bewegung des Kinns und der Lippen in den hohen Tönen: so fällt man in den oben schon angezeigten Fehler, nämlich den Ton pfuschend, dumpfig, und überhaupt für dieses Instrument zu stark, und zu unangenehm zu machen.

16. §.

Weil diese Regeln von den wenigsten Flötenspielern gehörig beobachtet werden; so sind viele der Meynung, es liege am Instrumente selbst: welches doch nicht ist. Es ist zwar wahr, daß die Flöte, in einigen chromatischen Tonarten, gewisse Unvollkommenheiten an sich hat. Besitzt der Spieler aber einen guten Ansatz, ein gutes musikalisches Gehör, eine richtige Fingerordnung, und eine hinlängliche Erkenntniß des Verhalts der Töne: so kann diesem Fehler leicht abgeholfen werden.

17. §.

Es ist oben gesaget worden, daß die Octaven auf der Flöte nicht durch die Stärke und Verdoppelung des Windes; sondern durch das Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen hervorgebracht werden müssen. Die Flöte hat auch hierinne mit der Menschenstimme einige Aehnlichkeit. Die Stimme besteht aus zweyerley Arten, aus der Bruststimme, und aus dem Falset, oder Fistel. Durch die letztere Art, bey welcher der Kopf der Luftröhre noch mehr zusammen gedrücket wird, kann man, ohne sich Gewalt anzuthun, in der Höhe einige Töne mehr, als mit der Bruststimme möglich ist, herausbringen. Die Italiäner, und einige andere Nationen vereinigen dieses Falset mit der Bruststimme, und bedienen sich dessen, bey dem Singen, mit großem Vortheile; Bey den Franzosen aber ist es nicht üblich: weswegen sich dieser ihr Singen, in den hohen Tönen, öfters in ein unangenehmes Schreyen verwandelt: und eben die Wirkung thut, als wenn man auf der Flöte das Mundloch

halben, oder auch wohl einen ganzen Ton tiefer und höher spielen: und in der Flöte muß der innerliche Bau so beschaffen seyn, daß die Octaven etwas über sich schweben; damit man, wenn man selbige nach dem Gehöre rein spielen will, verbunden sey, die tiefen Töne stärker, die höhern aber schwächer anzublasen; um die über sich schwebenden Octaven, zu ihrer vollkommenen Reinigkeit zu bringen: welches aber auf keine andere Art, als durch die Bewegung des Kinns und der Lippen geschehen kann. Wird das Mundloch mit der Unterlippe so viel bedecket, als zu den hohen Tonen nöthig ist: so kann man die tiefen weder stark noch rein spielen. Zieht man aber die Lippe so weit zurück, als es die tiefen Tone erfordern; und spielet ohne Bewegung des Kinns und der Lippen in den hohen Tönen: so fällt man in den oben schon angezeigten Fehler, nämlich den Ton pfuschend, dumpfig, und überhaupt für dieses Instrument zu stark, und zu unangenehm zu machen.

16. §.

Weil diese Regeln von den wenigsten Flötenspielern gehörig beobachtet werden; so sind viele der Meynung, es liege am Instrumente selbst: welches doch nicht ist. Es ist zwar wahr, daß die Flöte, in einigen chromatischen Tonarten, gewisse Unvollkommenheiten an sich hat. Besitzt der Spieler aber einen guten Ansatz, ein gutes musikalisches Gehör, eine richtige Fingerordnung, und eine hinlängliche Erkenntniß des Verhalts der Töne: so kann diesem Fehler leicht abgeholfen werden.

17. §.

Es ist oben gesaget worden, daß die Octaven auf der Flöte nicht durch die Stärke und Verdoppelung des Windes; sondern durch das Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen hervorgebracht werden müssen. Die Flöte hat auch hierinne mit der Menschenstimme einige Aehnlichkeit. Die Stimme besteht aus zweyerley Arten, aus der Bruststimme, und aus dem Falset, oder Fistel. Durch die letztere Art, bey welcher der Kopf der Luftröhre noch mehr zusammen gedrücket wird, kann man, ohne sich Gewalt anzuthun, in der Höhe einige Töne mehr, als mit der Bruststimme möglich ist, herausbringen. Die Italiäner, und einige andere Nationen vereinigen dieses Falset mit der Bruststimme, und bedienen sich dessen, bey dem Singen, mit großem Vortheile; Bey den Franzosen aber ist es nicht üblich: weswegen sich dieser ihr Singen, in den hohen Tönen, öfters in ein unangenehmes Schreyen verwandelt: und eben die Wirkung thut, als wenn man auf der Flöte das Mundloch

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[47/0061] halben, oder auch wohl einen ganzen Ton tiefer und höher spielen: und in der Flöte muß der innerliche Bau so beschaffen seyn, daß die Octaven etwas über sich schweben; damit man, wenn man selbige nach dem Gehöre rein spielen will, verbunden sey, die tiefen Töne stärker, die höhern aber schwächer anzublasen; um die über sich schwebenden Octaven, zu ihrer vollkommenen Reinigkeit zu bringen: welches aber auf keine andere Art, als durch die Bewegung des Kinns und der Lippen geschehen kann. Wird das Mundloch mit der Unterlippe so viel bedecket, als zu den hohen Tonen nöthig ist: so kann man die tiefen weder stark noch rein spielen. Zieht man aber die Lippe so weit zurück, als es die tiefen Tone erfordern; und spielet ohne Bewegung des Kinns und der Lippen in den hohen Tönen: so fällt man in den oben schon angezeigten Fehler, nämlich den Ton pfuschend, dumpfig, und überhaupt für dieses Instrument zu stark, und zu unangenehm zu machen. 16. §. Weil diese Regeln von den wenigsten Flötenspielern gehörig beobachtet werden; so sind viele der Meynung, es liege am Instrumente selbst: welches doch nicht ist. Es ist zwar wahr, daß die Flöte, in einigen chromatischen Tonarten, gewisse Unvollkommenheiten an sich hat. Besitzt der Spieler aber einen guten Ansatz, ein gutes musikalisches Gehör, eine richtige Fingerordnung, und eine hinlängliche Erkenntniß des Verhalts der Töne: so kann diesem Fehler leicht abgeholfen werden. 17. §. Es ist oben gesaget worden, daß die Octaven auf der Flöte nicht durch die Stärke und Verdoppelung des Windes; sondern durch das Vorwärtsschieben des Kinns und der Lippen hervorgebracht werden müssen. Die Flöte hat auch hierinne mit der Menschenstimme einige Aehnlichkeit. Die Stimme besteht aus zweyerley Arten, aus der Bruststimme, und aus dem Falset, oder Fistel. Durch die letztere Art, bey welcher der Kopf der Luftröhre noch mehr zusammen gedrücket wird, kann man, ohne sich Gewalt anzuthun, in der Höhe einige Töne mehr, als mit der Bruststimme möglich ist, herausbringen. Die Italiäner, und einige andere Nationen vereinigen dieses Falset mit der Bruststimme, und bedienen sich dessen, bey dem Singen, mit großem Vortheile; Bey den Franzosen aber ist es nicht üblich: weswegen sich dieser ihr Singen, in den hohen Tönen, öfters in ein unangenehmes Schreyen verwandelt: und eben die Wirkung thut, als wenn man auf der Flöte das Mundloch

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/61>, abgerufen am 29.03.2024.