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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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ist wild und frech. Machet der Sänger, im Adagio, nicht mehr Auszierungen, als es die Sache leidet; so sagen sie, er singe meisterhaft: sie hingegen überhäufen das Adagio mit so vielen Manieren und wilden Läufen, daß man es eher für ein scherzhaftes Allegro halten sollte, und die Eigenschaften des Adagio fast gar nicht mehr daran wahrnehmen kann.

61. §.

Man findet auch, daß die itzigen italiänischen Violinisten fast alle in einerley Geschmacke spielen: wodurch sie sich aber von ihren Vorfahren nicht auf die beste Art unterscheiden. Der Bogenstrich, welcher auf diesem Instrumente, wie der Zungenstoß auf Blasinstrumenten, die Lebhaftigkeit der musikalischen Aussprache wirken muß, dienet ihnen öfters nur, wie der Blasebalk bey einer Sackpfeife, das Instrument auf eine leyernde Art klingend zu machen. Sie suchen die größte Schönheit da, wo sie nicht zu finden ist, nämlich in der äußersten Höhe, am Ende des Griffbretes; sie klettern darauf immer in der Höhe, wie die Mondsüchtigen auf den Dächern herum, und verabsäumen darüber das wahre Schöne, das ist, sie berauben das Instrument mehrentheils seiner Gravität und Anmuth, welche die dicken Seyten zu wirken fähig sind. Das Adagio spielen sie zu frech, und das Allegro zu schläfrig. Sie halten es im Allegro für was besonders, eine Menge Noten in einem Bogenstriche herzusägen. Die Triller schlagen sie entweder zu geschwind und zitternd, oder wohl gar in der Terze; welches sie doch bey den Sängern für einen Fehler halten. Mit einem Worte, ihr Vortrag und ihre Art zu spielen ist so beschaffen, daß es klingt, als wollte ein geschikter Violinist, einen ganz altväterischen, auf eine lächerliche Art, vorstellen. Diejenigen Zuhörer, welche von gutem Geschmacke sind, müssen deswegen öfters alle Mühe anwenden, um das Lachen zu verbergen. Wenn dergleichen neumodische italiänische Violinisten also, in einem Orchester, als Ripienisten gebrauchet werden sollen; so verderben sie gemeiniglich mehr, als sie Gutes stiften.

Man könnte deswegen gewisse berühmte Orchester, deren Mitglieder mit Italiänern vermischet sind, zum Beyspiele anführen. Man kann in denselben bemerken, daß wenn etwan eine, bey ihnen sonst ungewohnte, Unordnung, oder ungleicher Vortrag verspüret wird, solches mehrentheils von einem ohne Augen und Ohren spielenden Italiäner herrühre. Sollte nun allenfalls ein gutes Orchester das Unglück treffen, durch einen solchen Italiäner, wie ich ihn hier beschrieben habe, angeführet zu werden: so hätte man wohl nichts gewissers zu gewarten, als daß

ist wild und frech. Machet der Sänger, im Adagio, nicht mehr Auszierungen, als es die Sache leidet; so sagen sie, er singe meisterhaft: sie hingegen überhäufen das Adagio mit so vielen Manieren und wilden Läufen, daß man es eher für ein scherzhaftes Allegro halten sollte, und die Eigenschaften des Adagio fast gar nicht mehr daran wahrnehmen kann.

61. §.

Man findet auch, daß die itzigen italiänischen Violinisten fast alle in einerley Geschmacke spielen: wodurch sie sich aber von ihren Vorfahren nicht auf die beste Art unterscheiden. Der Bogenstrich, welcher auf diesem Instrumente, wie der Zungenstoß auf Blasinstrumenten, die Lebhaftigkeit der musikalischen Aussprache wirken muß, dienet ihnen öfters nur, wie der Blasebalk bey einer Sackpfeife, das Instrument auf eine leyernde Art klingend zu machen. Sie suchen die größte Schönheit da, wo sie nicht zu finden ist, nämlich in der äußersten Höhe, am Ende des Griffbretes; sie klettern darauf immer in der Höhe, wie die Mondsüchtigen auf den Dächern herum, und verabsäumen darüber das wahre Schöne, das ist, sie berauben das Instrument mehrentheils seiner Gravität und Anmuth, welche die dicken Seyten zu wirken fähig sind. Das Adagio spielen sie zu frech, und das Allegro zu schläfrig. Sie halten es im Allegro für was besonders, eine Menge Noten in einem Bogenstriche herzusägen. Die Triller schlagen sie entweder zu geschwind und zitternd, oder wohl gar in der Terze; welches sie doch bey den Sängern für einen Fehler halten. Mit einem Worte, ihr Vortrag und ihre Art zu spielen ist so beschaffen, daß es klingt, als wollte ein geschikter Violinist, einen ganz altväterischen, auf eine lächerliche Art, vorstellen. Diejenigen Zuhörer, welche von gutem Geschmacke sind, müssen deswegen öfters alle Mühe anwenden, um das Lachen zu verbergen. Wenn dergleichen neumodische italiänische Violinisten also, in einem Orchester, als Ripienisten gebrauchet werden sollen; so verderben sie gemeiniglich mehr, als sie Gutes stiften.

Man könnte deswegen gewisse berühmte Orchester, deren Mitglieder mit Italiänern vermischet sind, zum Beyspiele anführen. Man kann in denselben bemerken, daß wenn etwan eine, bey ihnen sonst ungewohnte, Unordnung, oder ungleicher Vortrag verspüret wird, solches mehrentheils von einem ohne Augen und Ohren spielenden Italiäner herrühre. Sollte nun allenfalls ein gutes Orchester das Unglück treffen, durch einen solchen Italiäner, wie ich ihn hier beschrieben habe, angeführet zu werden: so hätte man wohl nichts gewissers zu gewarten, als daß
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[312/0326] ist wild und frech. Machet der Sänger, im Adagio, nicht mehr Auszierungen, als es die Sache leidet; so sagen sie, er singe meisterhaft: sie hingegen überhäufen das Adagio mit so vielen Manieren und wilden Läufen, daß man es eher für ein scherzhaftes Allegro halten sollte, und die Eigenschaften des Adagio fast gar nicht mehr daran wahrnehmen kann. 61. §. Man findet auch, daß die itzigen italiänischen Violinisten fast alle in einerley Geschmacke spielen: wodurch sie sich aber von ihren Vorfahren nicht auf die beste Art unterscheiden. Der Bogenstrich, welcher auf diesem Instrumente, wie der Zungenstoß auf Blasinstrumenten, die Lebhaftigkeit der musikalischen Aussprache wirken muß, dienet ihnen öfters nur, wie der Blasebalk bey einer Sackpfeife, das Instrument auf eine leyernde Art klingend zu machen. Sie suchen die größte Schönheit da, wo sie nicht zu finden ist, nämlich in der äußersten Höhe, am Ende des Griffbretes; sie klettern darauf immer in der Höhe, wie die Mondsüchtigen auf den Dächern herum, und verabsäumen darüber das wahre Schöne, das ist, sie berauben das Instrument mehrentheils seiner Gravität und Anmuth, welche die dicken Seyten zu wirken fähig sind. Das Adagio spielen sie zu frech, und das Allegro zu schläfrig. Sie halten es im Allegro für was besonders, eine Menge Noten in einem Bogenstriche herzusägen. Die Triller schlagen sie entweder zu geschwind und zitternd, oder wohl gar in der Terze; welches sie doch bey den Sängern für einen Fehler halten. Mit einem Worte, ihr Vortrag und ihre Art zu spielen ist so beschaffen, daß es klingt, als wollte ein geschikter Violinist, einen ganz altväterischen, auf eine lächerliche Art, vorstellen. Diejenigen Zuhörer, welche von gutem Geschmacke sind, müssen deswegen öfters alle Mühe anwenden, um das Lachen zu verbergen. Wenn dergleichen neumodische italiänische Violinisten also, in einem Orchester, als Ripienisten gebrauchet werden sollen; so verderben sie gemeiniglich mehr, als sie Gutes stiften. Man könnte deswegen gewisse berühmte Orchester, deren Mitglieder mit Italiänern vermischet sind, zum Beyspiele anführen. Man kann in denselben bemerken, daß wenn etwan eine, bey ihnen sonst ungewohnte, Unordnung, oder ungleicher Vortrag verspüret wird, solches mehrentheils von einem ohne Augen und Ohren spielenden Italiäner herrühre. Sollte nun allenfalls ein gutes Orchester das Unglück treffen, durch einen solchen Italiäner, wie ich ihn hier beschrieben habe, angeführet zu werden: so hätte man wohl nichts gewissers zu gewarten, als daß

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/326>, abgerufen am 29.03.2024.