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Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855.

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Vorrede.

Wir müssen daher einfach zu den Axenausdrücken, zur Zonenlehre
und ihrer Deduction zurückkehren. Letztere zu übersehen, ist eine Projection
nöthig, die öfter beigefügt wird, und woraus meist der Axenausdruck un-
mittelbar folgt. Diese Projectionslehre ist pag. 33 vollständig dargestellt.
Wer mehr darüber will, muß meine "Methode der Krystallographie" lesen,
welche 1840 bei Osiander herausgekommen ist. Auch die Art mit der
Projection zu rechnen wird pag. 50 auseinander gesetzt. Eine akademische
Broschüre vom Jahr 1848 handelt darüber etwas weitläufiger, aber sie ist
nicht in den Buchhandel gekommen. Doch stehen Freunden des Faches bei
mir noch einige Exemplare zu Gebote. Neumann's Projectionsmethode ist
am Ende pag. 662 kurz auseinander gesetzt. Uebrigens halte ich es auch
für verfehlt, wenn Miller in England darauf abermals eine Bezeichnungs-
weise gründete. Das gibt immer nur wieder neue Schwierigkeiten.

In diesem Kampfe der Ansichten ist mir der Muth gewachsen, mit
Nachfolgendem hervorzutreten. Das Ziel, was ich mir in chemischer, phy-
sikalischer und mathematischer Rücksicht stellte, war folgendes:

1) Jedes Mineral muß mit dem geringsten Aufwande
chemischer Versuche und zwar schnell, erkannt werden
.

Wenn die Mineralogie überhaupt eine wissenschaftliche Disciplin sein
soll, so darf sie sich nicht ganz in das Schlepptau der Chemie nehmen
lassen. Sie muß möglichst selbstständig ihren Weg verfolgen. Auch darf
das nackte Wissen um den Stoff nicht ihr höchstes Ziel sein, wenn gleich-
wohl es bei allen irdischen Dingen das letzte ist. Der Mineraloge hat
daher nicht nur den Reichthum der Stoffe in der Natur schlechthin auf-
zuweisen, sondern vor Allem die Art der Anhäufung ins Auge zu fassen,
und durch kurze chemische Diagnosen zu bestimmen: welche letztern im
Verein mit den übrigen Kennzeichen meist ebenso wenig irre leiten, als
die strengste chemische Analyse. Die Ausführung der Analyse selbst gehört
nicht in das mineralogische Gebiet. Doch ist es umgekehrt ungründlich,
wenn man zu ihr schreitet ohne die mineralogischen Hilfsmittel erschöpft
zu haben. Das macht so viele Analysen gänzlich unbrauchbar.

2) Die physikalischen Kennzeichen sollen von geschärften
Sinnen aufgenommen, höchstens durch kleine Experimente
unterstützt, sogleich zur naturhistorischen Erkennung führen
.

Wir dürfen es zwar nicht verschmähen, die genauesten Bestimmungen
über Härte, Gewicht, optische, magnetische, elektrische etc. Eigenschaften, die
der Physiker vom Fach oft mit dem größten Aufwand von Apparaten
mühsam herausbrachte, aufzunehmen, aber immer doch nur zu dem Zweck,

Vorrede.

Wir müſſen daher einfach zu den Axenausdrücken, zur Zonenlehre
und ihrer Deduction zurückkehren. Letztere zu überſehen, iſt eine Projection
nöthig, die öfter beigefügt wird, und woraus meiſt der Axenausdruck un-
mittelbar folgt. Dieſe Projectionslehre iſt pag. 33 vollſtändig dargeſtellt.
Wer mehr darüber will, muß meine „Methode der Kryſtallographie“ leſen,
welche 1840 bei Oſiander herausgekommen iſt. Auch die Art mit der
Projection zu rechnen wird pag. 50 auseinander geſetzt. Eine akademiſche
Broſchüre vom Jahr 1848 handelt darüber etwas weitläufiger, aber ſie iſt
nicht in den Buchhandel gekommen. Doch ſtehen Freunden des Faches bei
mir noch einige Exemplare zu Gebote. Neumann’s Projectionsmethode iſt
am Ende pag. 662 kurz auseinander geſetzt. Uebrigens halte ich es auch
für verfehlt, wenn Miller in England darauf abermals eine Bezeichnungs-
weiſe gründete. Das gibt immer nur wieder neue Schwierigkeiten.

In dieſem Kampfe der Anſichten iſt mir der Muth gewachſen, mit
Nachfolgendem hervorzutreten. Das Ziel, was ich mir in chemiſcher, phy-
ſikaliſcher und mathematiſcher Rückſicht ſtellte, war folgendes:

1) Jedes Mineral muß mit dem geringſten Aufwande
chemiſcher Verſuche und zwar ſchnell, erkannt werden
.

Wenn die Mineralogie überhaupt eine wiſſenſchaftliche Diſciplin ſein
ſoll, ſo darf ſie ſich nicht ganz in das Schlepptau der Chemie nehmen
laſſen. Sie muß möglichſt ſelbſtſtändig ihren Weg verfolgen. Auch darf
das nackte Wiſſen um den Stoff nicht ihr höchſtes Ziel ſein, wenn gleich-
wohl es bei allen irdiſchen Dingen das letzte iſt. Der Mineraloge hat
daher nicht nur den Reichthum der Stoffe in der Natur ſchlechthin auf-
zuweiſen, ſondern vor Allem die Art der Anhäufung ins Auge zu faſſen,
und durch kurze chemiſche Diagnoſen zu beſtimmen: welche letztern im
Verein mit den übrigen Kennzeichen meiſt ebenſo wenig irre leiten, als
die ſtrengſte chemiſche Analyſe. Die Ausführung der Analyſe ſelbſt gehört
nicht in das mineralogiſche Gebiet. Doch iſt es umgekehrt ungründlich,
wenn man zu ihr ſchreitet ohne die mineralogiſchen Hilfsmittel erſchöpft
zu haben. Das macht ſo viele Analyſen gänzlich unbrauchbar.

2) Die phyſikaliſchen Kennzeichen ſollen von geſchärften
Sinnen aufgenommen, höchſtens durch kleine Experimente
unterſtützt, ſogleich zur naturhiſtoriſchen Erkennung führen
.

Wir dürfen es zwar nicht verſchmähen, die genaueſten Beſtimmungen
über Härte, Gewicht, optiſche, magnetiſche, elektriſche ꝛc. Eigenſchaften, die
der Phyſiker vom Fach oft mit dem größten Aufwand von Apparaten
mühſam herausbrachte, aufzunehmen, aber immer doch nur zu dem Zweck,

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[VI/0010] Vorrede. Wir müſſen daher einfach zu den Axenausdrücken, zur Zonenlehre und ihrer Deduction zurückkehren. Letztere zu überſehen, iſt eine Projection nöthig, die öfter beigefügt wird, und woraus meiſt der Axenausdruck un- mittelbar folgt. Dieſe Projectionslehre iſt pag. 33 vollſtändig dargeſtellt. Wer mehr darüber will, muß meine „Methode der Kryſtallographie“ leſen, welche 1840 bei Oſiander herausgekommen iſt. Auch die Art mit der Projection zu rechnen wird pag. 50 auseinander geſetzt. Eine akademiſche Broſchüre vom Jahr 1848 handelt darüber etwas weitläufiger, aber ſie iſt nicht in den Buchhandel gekommen. Doch ſtehen Freunden des Faches bei mir noch einige Exemplare zu Gebote. Neumann’s Projectionsmethode iſt am Ende pag. 662 kurz auseinander geſetzt. Uebrigens halte ich es auch für verfehlt, wenn Miller in England darauf abermals eine Bezeichnungs- weiſe gründete. Das gibt immer nur wieder neue Schwierigkeiten. In dieſem Kampfe der Anſichten iſt mir der Muth gewachſen, mit Nachfolgendem hervorzutreten. Das Ziel, was ich mir in chemiſcher, phy- ſikaliſcher und mathematiſcher Rückſicht ſtellte, war folgendes: 1) Jedes Mineral muß mit dem geringſten Aufwande chemiſcher Verſuche und zwar ſchnell, erkannt werden. Wenn die Mineralogie überhaupt eine wiſſenſchaftliche Diſciplin ſein ſoll, ſo darf ſie ſich nicht ganz in das Schlepptau der Chemie nehmen laſſen. Sie muß möglichſt ſelbſtſtändig ihren Weg verfolgen. Auch darf das nackte Wiſſen um den Stoff nicht ihr höchſtes Ziel ſein, wenn gleich- wohl es bei allen irdiſchen Dingen das letzte iſt. Der Mineraloge hat daher nicht nur den Reichthum der Stoffe in der Natur ſchlechthin auf- zuweiſen, ſondern vor Allem die Art der Anhäufung ins Auge zu faſſen, und durch kurze chemiſche Diagnoſen zu beſtimmen: welche letztern im Verein mit den übrigen Kennzeichen meiſt ebenſo wenig irre leiten, als die ſtrengſte chemiſche Analyſe. Die Ausführung der Analyſe ſelbſt gehört nicht in das mineralogiſche Gebiet. Doch iſt es umgekehrt ungründlich, wenn man zu ihr ſchreitet ohne die mineralogiſchen Hilfsmittel erſchöpft zu haben. Das macht ſo viele Analyſen gänzlich unbrauchbar. 2) Die phyſikaliſchen Kennzeichen ſollen von geſchärften Sinnen aufgenommen, höchſtens durch kleine Experimente unterſtützt, ſogleich zur naturhiſtoriſchen Erkennung führen. Wir dürfen es zwar nicht verſchmähen, die genaueſten Beſtimmungen über Härte, Gewicht, optiſche, magnetiſche, elektriſche ꝛc. Eigenſchaften, die der Phyſiker vom Fach oft mit dem größten Aufwand von Apparaten mühſam herausbrachte, aufzunehmen, aber immer doch nur zu dem Zweck,

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Zitationshilfe: Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/10>, abgerufen am 28.03.2024.