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Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855.

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Anhang.

Künstliche Krystalle

(chemische Präparate) sollten im Grunde genommen, wenigstens was ihre
Form und äußere Beschreibung betrifft, auch in der Mineralogie erwähnt
werden. Doch fehlt es dazu an systematischen Vorarbeiten, auch würde
man hier nicht gut anders als an der Hand eines strengen chemischen
Systems gehen können. Ja, da die Chemikalien für die Krystallographie
theilweis so vortreffliche Beispiele liefern, so ist es zu bedauern, daß man
die Scheidewand zwischen Kunst und Natur hier so nachdrücklich fest zu
halten strebt, eine Scheidewand, die eigentlich gar nicht da ist. Ich will
im Nachfolgenden nur beispielsweise Einiges hervorheben, da es mir im
Ganzen sehr an Material dazu gebricht. Es bedarf zum Erkennen solcher
Sachen gerade nicht immer genauer mühsamer Messungen: denn was
thut es, ob ein Winkel ein Paar Grade größer oder kleiner ist, das
Wesen bleibt immer das Erkennen des Systems. Ja ich kann mit einer
Krystallbildung vortrefflich vertraut sein, ohne auch nur ein Mal an eine
Winkelgröße gedacht zu haben. Das ist der Standpunkt der Weißischen
Zonenlehre. Vieles findet man in Dr. Herrmann Kopp's Einleitung in
die Krystallographie. Braunschweig 1849.

1. Zucker C12 H11 O11.

Den bekannten Kandis-Zucker (Rohrzucker), welcher braun bis farblos
käuflich zu haben ist, kann man sich leicht in Krystallen verschaffen. Schon
[Abbildung] Brewster entdeckte daran die Thermoelektricität,
Prof. Hankel (Pogg. Ann. 49. 495) hat sie be-
schrieben und Kopp (Krystallogr. §. 358) mit dem
Reflexionsgoniometer gemessen. Oberflächlich ange-
sehen erscheinen sie als Oblongoktaeder T P x, mit
abgestumpfter Endecke k. Allein nimmt man freie
tafelförmige Krystalle, so sind das fast immer Zwil-
linge, welche die Säule T/T gemein haben, und
deren Endflächen (y mit x') nicht einspiegeln. Damit ist sogleich ohne
irgend eine Messung das

2 + 1gliedrige System bewiesen (siehe Weinsäure): eine
geschobene Säule T = a : b : infinityc macht vorn über k 78° 30', ihr seit-
licher Winkel von 101° 30' kann wegen seiner guten Ausbildung mit dem

Anhang.

Künſtliche Kryſtalle

(chemiſche Präparate) ſollten im Grunde genommen, wenigſtens was ihre
Form und äußere Beſchreibung betrifft, auch in der Mineralogie erwähnt
werden. Doch fehlt es dazu an ſyſtematiſchen Vorarbeiten, auch würde
man hier nicht gut anders als an der Hand eines ſtrengen chemiſchen
Syſtems gehen können. Ja, da die Chemikalien für die Kryſtallographie
theilweis ſo vortreffliche Beiſpiele liefern, ſo iſt es zu bedauern, daß man
die Scheidewand zwiſchen Kunſt und Natur hier ſo nachdrücklich feſt zu
halten ſtrebt, eine Scheidewand, die eigentlich gar nicht da iſt. Ich will
im Nachfolgenden nur beiſpielsweiſe Einiges hervorheben, da es mir im
Ganzen ſehr an Material dazu gebricht. Es bedarf zum Erkennen ſolcher
Sachen gerade nicht immer genauer mühſamer Meſſungen: denn was
thut es, ob ein Winkel ein Paar Grade größer oder kleiner iſt, das
Weſen bleibt immer das Erkennen des Syſtems. Ja ich kann mit einer
Kryſtallbildung vortrefflich vertraut ſein, ohne auch nur ein Mal an eine
Winkelgröße gedacht zu haben. Das iſt der Standpunkt der Weißiſchen
Zonenlehre. Vieles findet man in Dr. Herrmann Kopp’s Einleitung in
die Kryſtallographie. Braunſchweig 1849.

1. Zucker C12 H11 O11.

Den bekannten Kandis-Zucker (Rohrzucker), welcher braun bis farblos
käuflich zu haben iſt, kann man ſich leicht in Kryſtallen verſchaffen. Schon
[Abbildung] Brewſter entdeckte daran die Thermoelektricität,
Prof. Hankel (Pogg. Ann. 49. 495) hat ſie be-
ſchrieben und Kopp (Kryſtallogr. §. 358) mit dem
Reflexionsgoniometer gemeſſen. Oberflächlich ange-
ſehen erſcheinen ſie als Oblongoktaeder T P x, mit
abgeſtumpfter Endecke k. Allein nimmt man freie
tafelförmige Kryſtalle, ſo ſind das faſt immer Zwil-
linge, welche die Säule T/T gemein haben, und
deren Endflächen (y mit x') nicht einſpiegeln. Damit iſt ſogleich ohne
irgend eine Meſſung das

2 + 1gliedrige Syſtem bewieſen (ſiehe Weinſäure): eine
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licher Winkel von 101° 30′ kann wegen ſeiner guten Ausbildung mit dem

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[[455]/0467] Anhang. Künſtliche Kryſtalle (chemiſche Präparate) ſollten im Grunde genommen, wenigſtens was ihre Form und äußere Beſchreibung betrifft, auch in der Mineralogie erwähnt werden. Doch fehlt es dazu an ſyſtematiſchen Vorarbeiten, auch würde man hier nicht gut anders als an der Hand eines ſtrengen chemiſchen Syſtems gehen können. Ja, da die Chemikalien für die Kryſtallographie theilweis ſo vortreffliche Beiſpiele liefern, ſo iſt es zu bedauern, daß man die Scheidewand zwiſchen Kunſt und Natur hier ſo nachdrücklich feſt zu halten ſtrebt, eine Scheidewand, die eigentlich gar nicht da iſt. Ich will im Nachfolgenden nur beiſpielsweiſe Einiges hervorheben, da es mir im Ganzen ſehr an Material dazu gebricht. Es bedarf zum Erkennen ſolcher Sachen gerade nicht immer genauer mühſamer Meſſungen: denn was thut es, ob ein Winkel ein Paar Grade größer oder kleiner iſt, das Weſen bleibt immer das Erkennen des Syſtems. Ja ich kann mit einer Kryſtallbildung vortrefflich vertraut ſein, ohne auch nur ein Mal an eine Winkelgröße gedacht zu haben. Das iſt der Standpunkt der Weißiſchen Zonenlehre. Vieles findet man in Dr. Herrmann Kopp’s Einleitung in die Kryſtallographie. Braunſchweig 1849. 1. Zucker C12 H11 O11. Den bekannten Kandis-Zucker (Rohrzucker), welcher braun bis farblos käuflich zu haben iſt, kann man ſich leicht in Kryſtallen verſchaffen. Schon [Abbildung] Brewſter entdeckte daran die Thermoelektricität, Prof. Hankel (Pogg. Ann. 49. 495) hat ſie be- ſchrieben und Kopp (Kryſtallogr. §. 358) mit dem Reflexionsgoniometer gemeſſen. Oberflächlich ange- ſehen erſcheinen ſie als Oblongoktaeder T P x, mit abgeſtumpfter Endecke k. Allein nimmt man freie tafelförmige Kryſtalle, ſo ſind das faſt immer Zwil- linge, welche die Säule T/T gemein haben, und deren Endflächen (y mit x') nicht einſpiegeln. Damit iſt ſogleich ohne irgend eine Meſſung das 2 + 1gliedrige Syſtem bewieſen (ſiehe Weinſäure): eine geſchobene Säule T = a : b : ∞c macht vorn über k 78° 30′, ihr ſeit- licher Winkel von 101° 30′ kann wegen ſeiner guten Ausbildung mit dem

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Zitationshilfe: Quenstedt, Friedrich August: Handbuch der Mineralogie. Tübingen, 1855, S. [455]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quenstedt_mineralogie_1854/467>, abgerufen am 28.03.2024.