Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

wie unter den Holunderbüschen zwischen den Buchs¬
baumeinfassungen der Aurikelbeete, unseren Kind¬
heitsgärten, oder auf unseren Bergen und Wald¬
wiesen in den Haarbusch greifen und ihn Schelm
nennen oder einen schlechten Menschen. Verdient
hätte er das heute, wie vor Jahren. Er hatte in
seinem Frieden noch denselben Zug um Nase und
Mund wie vor Jahren, wenn er mich zu Thränen
vor Ärger und Erboßung, und Dich, guter, alter
Jugendkamerad, zu einem Citat aus einem deutschen
oder lateinischen Klassiker gebracht hatte.

Die Frau Fechtmeisterin hat das große schlaue
Kind wahrhaftig wie ein kleinstes, dummstes, hilf¬
losestes Kind besorgt und zu Tode gepflegt. Sie
ist jetzt nahe an die neunzig Jahre alt und sagt:
,Daß ich das noch thun mußte, hat mich das ganze
letzte halbe Jahr durch auf den Beinen erhalten;
ich hatte es ihm ja aber auch so versprochen, wenn
ich auch niemals geglaubt habe, daß mal ein Ernst
aus seinem Spaß werden könne.' Sie konnte es
nicht wissen, daß er immer Ernst aus dem Spaße
machte! --

Wenn wir nun zusammensäßen, so könnte ich
Dir noch vieles sagen. Zu schreiben weiß ich nichts
mehr; ich bin auch sehr müde.

1*

wie unter den Holunderbüſchen zwiſchen den Buchs¬
baumeinfaſſungen der Aurikelbeete, unſeren Kind¬
heitsgärten, oder auf unſeren Bergen und Wald¬
wieſen in den Haarbuſch greifen und ihn Schelm
nennen oder einen ſchlechten Menſchen. Verdient
hätte er das heute, wie vor Jahren. Er hatte in
ſeinem Frieden noch denſelben Zug um Naſe und
Mund wie vor Jahren, wenn er mich zu Thränen
vor Ärger und Erboßung, und Dich, guter, alter
Jugendkamerad, zu einem Citat aus einem deutſchen
oder lateiniſchen Klaſſiker gebracht hatte.

Die Frau Fechtmeiſterin hat das große ſchlaue
Kind wahrhaftig wie ein kleinſtes, dummſtes, hilf¬
loſeſtes Kind beſorgt und zu Tode gepflegt. Sie
iſt jetzt nahe an die neunzig Jahre alt und ſagt:
‚Daß ich das noch thun mußte, hat mich das ganze
letzte halbe Jahr durch auf den Beinen erhalten;
ich hatte es ihm ja aber auch ſo verſprochen, wenn
ich auch niemals geglaubt habe, daß mal ein Ernſt
aus ſeinem Spaß werden könne.‛ Sie konnte es
nicht wiſſen, daß er immer Ernſt aus dem Spaße
machte! —

Wenn wir nun zuſammenſäßen, ſo könnte ich
Dir noch vieles ſagen. Zu ſchreiben weiß ich nichts
mehr; ich bin auch ſehr müde.

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0013" n="3"/>
wie unter den Holunderbü&#x017F;chen zwi&#x017F;chen den Buchs¬<lb/>
baumeinfa&#x017F;&#x017F;ungen der Aurikelbeete, un&#x017F;eren Kind¬<lb/>
heitsgärten, oder auf un&#x017F;eren Bergen und Wald¬<lb/>
wie&#x017F;en in den Haarbu&#x017F;ch greifen und ihn Schelm<lb/>
nennen oder einen &#x017F;chlechten Men&#x017F;chen. Verdient<lb/>
hätte er das heute, wie vor Jahren. Er hatte in<lb/>
&#x017F;einem Frieden noch den&#x017F;elben Zug um Na&#x017F;e und<lb/>
Mund wie vor Jahren, wenn er mich zu Thränen<lb/>
vor Ärger und Erboßung, und Dich, guter, alter<lb/>
Jugendkamerad, zu einem Citat aus einem deut&#x017F;chen<lb/>
oder lateini&#x017F;chen Kla&#x017F;&#x017F;iker gebracht hatte.</p><lb/>
      <p>Die Frau Fechtmei&#x017F;terin hat das große &#x017F;chlaue<lb/>
Kind wahrhaftig wie ein klein&#x017F;tes, dumm&#x017F;tes, hilf¬<lb/>
lo&#x017F;e&#x017F;tes Kind be&#x017F;orgt und zu Tode gepflegt. Sie<lb/>
i&#x017F;t jetzt nahe an die neunzig Jahre alt und &#x017F;agt:<lb/>
&#x201A;Daß ich das noch thun mußte, hat mich das ganze<lb/>
letzte halbe Jahr durch auf den Beinen erhalten;<lb/>
ich hatte es ihm ja aber auch &#x017F;o ver&#x017F;prochen, wenn<lb/>
ich auch niemals geglaubt habe, daß mal ein Ern&#x017F;t<lb/>
aus &#x017F;einem Spaß werden könne.&#x201B; Sie konnte es<lb/>
nicht wi&#x017F;&#x017F;en, daß er immer Ern&#x017F;t aus dem Spaße<lb/>
machte! &#x2014;</p><lb/>
      <p>Wenn wir nun zu&#x017F;ammen&#x017F;äßen, &#x017F;o könnte ich<lb/>
Dir noch vieles &#x017F;agen. Zu &#x017F;chreiben weiß ich nichts<lb/>
mehr; ich bin auch &#x017F;ehr müde.</p><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">1*<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0013] wie unter den Holunderbüſchen zwiſchen den Buchs¬ baumeinfaſſungen der Aurikelbeete, unſeren Kind¬ heitsgärten, oder auf unſeren Bergen und Wald¬ wieſen in den Haarbuſch greifen und ihn Schelm nennen oder einen ſchlechten Menſchen. Verdient hätte er das heute, wie vor Jahren. Er hatte in ſeinem Frieden noch denſelben Zug um Naſe und Mund wie vor Jahren, wenn er mich zu Thränen vor Ärger und Erboßung, und Dich, guter, alter Jugendkamerad, zu einem Citat aus einem deutſchen oder lateiniſchen Klaſſiker gebracht hatte. Die Frau Fechtmeiſterin hat das große ſchlaue Kind wahrhaftig wie ein kleinſtes, dummſtes, hilf¬ loſeſtes Kind beſorgt und zu Tode gepflegt. Sie iſt jetzt nahe an die neunzig Jahre alt und ſagt: ‚Daß ich das noch thun mußte, hat mich das ganze letzte halbe Jahr durch auf den Beinen erhalten; ich hatte es ihm ja aber auch ſo verſprochen, wenn ich auch niemals geglaubt habe, daß mal ein Ernſt aus ſeinem Spaß werden könne.‛ Sie konnte es nicht wiſſen, daß er immer Ernſt aus dem Spaße machte! — Wenn wir nun zuſammenſäßen, ſo könnte ich Dir noch vieles ſagen. Zu ſchreiben weiß ich nichts mehr; ich bin auch ſehr müde. 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/13
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/13>, abgerufen am 29.03.2024.