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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Es ist eigentlich eine böse Zeit! Das Lachen ist theuer
geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar
wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don-
nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank-
heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge-
legt; -- es ist eine böse Zeit! Dazu ist's Herbst, trauriger
melancholischer Herbst, und ein feiner, kalter Vorwinter-
regen rieselt schon wochenlang herab auf die große Stadt;
-- es ist eine böse Zeit! Die Menschen haben lange
Gesichter und schwere Herzen, und wenn sich zwei Be-
kannte begegnen, zucken sie die Achsel und eilen fast ohne
G[ru]ß an einander vorüber; -- es ist eine böse Zeit! --
Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir
eine frische Pfeife gestopft, ein Buch herabgenommen
und aufgeschlagen. Es war ein einfaches altes Buch,
[i]n welches Meister Daniel Chodowiecki gar hübsche Bil-
der gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum por-

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Es iſt eigentlich eine böſe Zeit! Das Lachen iſt theuer
geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar
wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don-
nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank-
heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge-
legt; — es iſt eine böſe Zeit! Dazu iſt’s Herbſt, trauriger
melancholiſcher Herbſt, und ein feiner, kalter Vorwinter-
regen rieſelt ſchon wochenlang herab auf die große Stadt;
— es iſt eine böſe Zeit! Die Menſchen haben lange
Geſichter und ſchwere Herzen, und wenn ſich zwei Be-
kannte begegnen, zucken ſie die Achſel und eilen faſt ohne
G[ru]ß an einander vorüber; — es iſt eine böſe Zeit! —
Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir
eine friſche Pfeife geſtopft, ein Buch herabgenommen
und aufgeſchlagen. Es war ein einfaches altes Buch,
[i]n welches Meiſter Daniel Chodowiecki gar hübſche Bil-
der gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum por-

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[[1]/0011] Am 15. November. — Es iſt eigentlich eine böſe Zeit! Das Lachen iſt theuer geworden in der Welt, Stirnrunzeln und Seufzen gar wohlfeil. Auf der Ferne liegen blutig dunkel die Don- nerwolken des Krieges, und über die Nähe haben Krank- heit, Hunger und Noth ihren unheimlichen Schleier ge- legt; — es iſt eine böſe Zeit! Dazu iſt’s Herbſt, trauriger melancholiſcher Herbſt, und ein feiner, kalter Vorwinter- regen rieſelt ſchon wochenlang herab auf die große Stadt; — es iſt eine böſe Zeit! Die Menſchen haben lange Geſichter und ſchwere Herzen, und wenn ſich zwei Be- kannte begegnen, zucken ſie die Achſel und eilen faſt ohne Gruß an einander vorüber; — es iſt eine böſe Zeit! — Mißmuthig hatte ich die Zeitung weggeworfen, mir eine friſche Pfeife geſtopft, ein Buch herabgenommen und aufgeſchlagen. Es war ein einfaches altes Buch, in welches Meiſter Daniel Chodowiecki gar hübſche Bil- der gezeichnet hatte: Asmus omnia sua secum por- 1

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/11>, abgerufen am 19.04.2024.