erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er- scheinen eines wundersamen Himmelszeichens beobachten; die bald über den nahen Weltuntergang predigen, bald wieder sich über ein Stachelschwein, welches die deutsche Kaiserin im Klostergarten vorführen läßt, wundern und freuen. Und wie die alten Mönche hier und da zwischen die Pergamentblätter ihrer Historien und Meßbücher hübsche, farbige, zierlich ausgeschnittene Heiligenbilder legten, so will auch ich ähnliche Blätter einflechten und durch die eintönigen farblosen Aufzeichnungen meiner alten Tage frischere blüthenvollere Ranken schlingen.
Ich, der Greis -- der zweiten Kindheit nahe, will von einem Kinde erzählen, dessen Leben durch das meinige ging wie ein Sonnenstrahl, den an einem Regentage Wind und Wolken über die Fluren jagen; der im Vor- beigleiten Blumen und Steine küßt, und in derselben Minute das glückliche Gesicht der Mutter über der Wiege, die heiße Stirn des Denkers über seinem Buche und die bleichen Züge des Sterbenden streifen kann. Ich schreibe keinen Roman und kann mich wenig um den schrift- stellerischen Contrapunkt bekümmern; was mir die Ver- gangenheit gebracht hat, was mir die Gegenwart giebt, will ich hier, in hübsche Rahmen gefaßt, zusammenheften und bin ich müde -- nun so schlage ich dieses Heft zu, wühle weiter in meiner schweinsledernen Gelehrsamkeit
erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er- ſcheinen eines wunderſamen Himmelszeichens beobachten; die bald über den nahen Weltuntergang predigen, bald wieder ſich über ein Stachelſchwein, welches die deutſche Kaiſerin im Kloſtergarten vorführen läßt, wundern und freuen. Und wie die alten Mönche hier und da zwiſchen die Pergamentblätter ihrer Hiſtorien und Meßbücher hübſche, farbige, zierlich ausgeſchnittene Heiligenbilder legten, ſo will auch ich ähnliche Blätter einflechten und durch die eintönigen farbloſen Aufzeichnungen meiner alten Tage friſchere blüthenvollere Ranken ſchlingen.
Ich, der Greis — der zweiten Kindheit nahe, will von einem Kinde erzählen, deſſen Leben durch das meinige ging wie ein Sonnenſtrahl, den an einem Regentage Wind und Wolken über die Fluren jagen; der im Vor- beigleiten Blumen und Steine küßt, und in derſelben Minute das glückliche Geſicht der Mutter über der Wiege, die heiße Stirn des Denkers über ſeinem Buche und die bleichen Züge des Sterbenden ſtreifen kann. Ich ſchreibe keinen Roman und kann mich wenig um den ſchrift- ſtelleriſchen Contrapunkt bekümmern; was mir die Ver- gangenheit gebracht hat, was mir die Gegenwart giebt, will ich hier, in hübſche Rahmen gefaßt, zuſammenheften und bin ich müde — nun ſo ſchlage ich dieſes Heft zu, wühle weiter in meiner ſchweinsledernen Gelehrſamkeit
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erzählen; die jetzt eine Schlacht mitliefern, jetzt das Er-
ſcheinen eines wunderſamen Himmelszeichens beobachten;
die bald über den nahen Weltuntergang predigen, bald
wieder ſich über ein Stachelſchwein, welches die deutſche
Kaiſerin im Kloſtergarten vorführen läßt, wundern und
freuen. Und wie die alten Mönche hier und da zwiſchen
die Pergamentblätter ihrer Hiſtorien und Meßbücher
hübſche, farbige, zierlich ausgeſchnittene Heiligenbilder
legten, ſo will auch ich ähnliche Blätter einflechten und
durch die eintönigen farbloſen Aufzeichnungen meiner
alten Tage friſchere blüthenvollere Ranken ſchlingen.
Ich, der Greis — der zweiten Kindheit nahe, will
von einem Kinde erzählen, deſſen Leben durch das meinige
ging wie ein Sonnenſtrahl, den an einem Regentage
Wind und Wolken über die Fluren jagen; der im Vor-
beigleiten Blumen und Steine küßt, und in derſelben
Minute das glückliche Geſicht der Mutter über der Wiege,
die heiße Stirn des Denkers über ſeinem Buche und die
bleichen Züge des Sterbenden ſtreifen kann. Ich ſchreibe
keinen Roman und kann mich wenig um den ſchrift-
ſtelleriſchen Contrapunkt bekümmern; was mir die Ver-
gangenheit gebracht hat, was mir die Gegenwart giebt,
will ich hier, in hübſche Rahmen gefaßt, zuſammenheften
und bin ich müde — nun ſo ſchlage ich dieſes Heft zu,
wühle weiter in meiner ſchweinsledernen Gelehrſamkeit
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/18>, abgerufen am 28.03.2024.
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