Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

zurück! Und nun Franz, wirf drei Hände voll Erde auf
die versinkende Welt deiner Freude! -- Ergreift die
Schaufeln ihr Clowns und vollendet euer Geschäft! Du
alter, rothnäsiger Bursch, bemühe dich nicht, ein weh-
müthiges Gesicht zu ziehen, winke nur deinem Gefähr-
ten, daß er die Flasche bei Yaughan füllen lasse, und
brumme leise dein altes Todtengräberlied in den Bart! --

Wie die Schollen dumpfer und dumpfer auf den
Sarg poltern, und wie jeder Ton das arme Herz
erzittern läßt in seinen tiefsten Tiefen! Wie das Auge
sich anklammert an den letzten Schein des schwarzen
Holzes, der durch die bedeckende Erde schimmert, bis
endlich jede Spur verschwindet, die hinabgeworfene Erde
nur noch Erde trifft, die Höhle sich allmählig füllt und
endlich der Hügel sich erhebt, der von nun an mit dem
geliebten begrabenen Wesen in unsern Gedanken identisch
ist! -- -- --

Wunderliches Menschenvolk, so groß und so klein in
demselben Augenblick! Welch' eine Tragödie, welch' ein
Kampf, welch' ein -- Puppenspiel jedes Leben; von dem
des Kindes, das vergeblich nach der glänzenden Mond-
scheibe verlangt und verwelkt, ehe es das Wort "Ich"
aussprechen kann, bis zu dem des grübelnden Philoso-
phen, der in dasselbe Wörtchen "Ich" das Universum
legt und zusammenbricht, ein körper- und geistesschwacher

3

zurück! Und nun Franz, wirf drei Hände voll Erde auf
die verſinkende Welt deiner Freude! — Ergreift die
Schaufeln ihr Clowns und vollendet euer Geſchäft! Du
alter, rothnäſiger Burſch, bemühe dich nicht, ein weh-
müthiges Geſicht zu ziehen, winke nur deinem Gefähr-
ten, daß er die Flaſche bei Yaughan füllen laſſe, und
brumme leiſe dein altes Todtengräberlied in den Bart! —

Wie die Schollen dumpfer und dumpfer auf den
Sarg poltern, und wie jeder Ton das arme Herz
erzittern läßt in ſeinen tiefſten Tiefen! Wie das Auge
ſich anklammert an den letzten Schein des ſchwarzen
Holzes, der durch die bedeckende Erde ſchimmert, bis
endlich jede Spur verſchwindet, die hinabgeworfene Erde
nur noch Erde trifft, die Höhle ſich allmählig füllt und
endlich der Hügel ſich erhebt, der von nun an mit dem
geliebten begrabenen Weſen in unſern Gedanken identiſch
iſt! — — —

Wunderliches Menſchenvolk, ſo groß und ſo klein in
demſelben Augenblick! Welch’ eine Tragödie, welch’ ein
Kampf, welch’ ein — Puppenſpiel jedes Leben; von dem
des Kindes, das vergeblich nach der glänzenden Mond-
ſcheibe verlangt und verwelkt, ehe es das Wort „Ich“
ausſprechen kann, bis zu dem des grübelnden Philoſo-
phen, der in daſſelbe Wörtchen „Ich“ das Univerſum
legt und zuſammenbricht, ein körper- und geiſtesſchwacher

3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="33"/>
zurück! Und nun Franz, wirf drei Hände voll Erde auf<lb/>
die ver&#x017F;inkende Welt deiner Freude! &#x2014; Ergreift die<lb/>
Schaufeln ihr Clowns und vollendet euer Ge&#x017F;chäft! Du<lb/>
alter, rothnä&#x017F;iger Bur&#x017F;ch, bemühe dich nicht, ein weh-<lb/>
müthiges Ge&#x017F;icht zu ziehen, winke nur deinem Gefähr-<lb/>
ten, daß er die Fla&#x017F;che bei Yaughan füllen la&#x017F;&#x017F;e, und<lb/>
brumme lei&#x017F;e dein altes Todtengräberlied in den Bart! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wie die Schollen dumpfer und dumpfer auf den<lb/>
Sarg poltern, und wie jeder Ton das arme Herz<lb/>
erzittern läßt in &#x017F;einen tief&#x017F;ten Tiefen! Wie das Auge<lb/>
&#x017F;ich anklammert an den letzten Schein des &#x017F;chwarzen<lb/>
Holzes, der durch die bedeckende Erde &#x017F;chimmert, bis<lb/>
endlich jede Spur ver&#x017F;chwindet, die hinabgeworfene Erde<lb/>
nur noch Erde trifft, die Höhle &#x017F;ich allmählig füllt und<lb/>
endlich der Hügel &#x017F;ich erhebt, der von nun an mit dem<lb/>
geliebten begrabenen We&#x017F;en in un&#x017F;ern Gedanken identi&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t! &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Wunderliches Men&#x017F;chenvolk, &#x017F;o groß und &#x017F;o klein in<lb/>
dem&#x017F;elben Augenblick! Welch&#x2019; eine Tragödie, welch&#x2019; ein<lb/>
Kampf, welch&#x2019; ein &#x2014; Puppen&#x017F;piel jedes Leben; von dem<lb/>
des Kindes, das vergeblich nach der glänzenden Mond-<lb/>
&#x017F;cheibe verlangt und verwelkt, ehe es das Wort &#x201E;Ich&#x201C;<lb/>
aus&#x017F;prechen kann, bis zu dem des grübelnden Philo&#x017F;o-<lb/>
phen, der in da&#x017F;&#x017F;elbe Wörtchen &#x201E;Ich&#x201C; das Univer&#x017F;um<lb/>
legt und zu&#x017F;ammenbricht, ein körper- und gei&#x017F;tes&#x017F;chwacher<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[33/0043] zurück! Und nun Franz, wirf drei Hände voll Erde auf die verſinkende Welt deiner Freude! — Ergreift die Schaufeln ihr Clowns und vollendet euer Geſchäft! Du alter, rothnäſiger Burſch, bemühe dich nicht, ein weh- müthiges Geſicht zu ziehen, winke nur deinem Gefähr- ten, daß er die Flaſche bei Yaughan füllen laſſe, und brumme leiſe dein altes Todtengräberlied in den Bart! — Wie die Schollen dumpfer und dumpfer auf den Sarg poltern, und wie jeder Ton das arme Herz erzittern läßt in ſeinen tiefſten Tiefen! Wie das Auge ſich anklammert an den letzten Schein des ſchwarzen Holzes, der durch die bedeckende Erde ſchimmert, bis endlich jede Spur verſchwindet, die hinabgeworfene Erde nur noch Erde trifft, die Höhle ſich allmählig füllt und endlich der Hügel ſich erhebt, der von nun an mit dem geliebten begrabenen Weſen in unſern Gedanken identiſch iſt! — — — Wunderliches Menſchenvolk, ſo groß und ſo klein in demſelben Augenblick! Welch’ eine Tragödie, welch’ ein Kampf, welch’ ein — Puppenſpiel jedes Leben; von dem des Kindes, das vergeblich nach der glänzenden Mond- ſcheibe verlangt und verwelkt, ehe es das Wort „Ich“ ausſprechen kann, bis zu dem des grübelnden Philoſo- phen, der in daſſelbe Wörtchen „Ich“ das Univerſum legt und zuſammenbricht, ein körper- und geiſtesſchwacher 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/43
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/43>, abgerufen am 24.04.2024.