Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite




Jch habe unter dem Büchervorrathe meines
Vaters den Aufsatz gefunden, welchen ich itzt
meinen Lesern mittheile. Unser berühmter
Klim hat ihn geschrieben; ich kenne seine Hand ge-
nau, und es wird wohl niemand zweifeln, daß es
seine eigne Arbeit sey, wenn man nur dieses beden-
ken will, daß er ein Mann war, welcher auf seinen
unterirrdischen Reisen die Gemüther der Menschen
vollkommen einsehen gelernt hatte. Als Küster
besaß er noch eben die Fähigkeiten, durch welche er
sich als Kaiser in Quama ansehnlich und beliebt ge-
macht hatte. Jch berufe mich auf seine unterirrdi-
sche Reisebeschreibung, in welcher man die deutlich-
sten Spuren finden wird, daß er als ein Philosoph
gedacht hat.

Gegenwärtiger Aufsatz ist ein Verzeichniß unter-
schiedner Personen, welche Zeit seines Küsteramts in
Bergen gestorben sind. Er sagt von einer jeden sei-
ne Meynung, und die Liebe läßt uns hoffen, er wer-
de in seinen Charakteren unparteyisch gewesen seyn.
Es wäre zu wünschen, daß in allen Städten derglei-
chen Todtenlisten gehalten, und beym Schlusse des
Jahres zum Drucke gegeben würden. Hierdurch
erlangte man Gelegenheit, viele seiner Mitbürger
nach ihrem Tode besser kennen zu lernen, als man
sie in ihrem Leben gekannt hat. Manche werden
auf den Kanzeln als hochedle, hochgelahrte, hochwei-
se, ehrsame und tugendbelobte abgekündigt, welche
bey ihrer Unwissenheit, bey ihrer niederträchtigen,

und
L 2




Jch habe unter dem Buͤchervorrathe meines
Vaters den Aufſatz gefunden, welchen ich itzt
meinen Leſern mittheile. Unſer beruͤhmter
Klim hat ihn geſchrieben; ich kenne ſeine Hand ge-
nau, und es wird wohl niemand zweifeln, daß es
ſeine eigne Arbeit ſey, wenn man nur dieſes beden-
ken will, daß er ein Mann war, welcher auf ſeinen
unterirrdiſchen Reiſen die Gemuͤther der Menſchen
vollkommen einſehen gelernt hatte. Als Kuͤſter
beſaß er noch eben die Faͤhigkeiten, durch welche er
ſich als Kaiſer in Quama anſehnlich und beliebt ge-
macht hatte. Jch berufe mich auf ſeine unterirrdi-
ſche Reiſebeſchreibung, in welcher man die deutlich-
ſten Spuren finden wird, daß er als ein Philoſoph
gedacht hat.

Gegenwaͤrtiger Aufſatz iſt ein Verzeichniß unter-
ſchiedner Perſonen, welche Zeit ſeines Kuͤſteramts in
Bergen geſtorben ſind. Er ſagt von einer jeden ſei-
ne Meynung, und die Liebe laͤßt uns hoffen, er wer-
de in ſeinen Charakteren unparteyiſch geweſen ſeyn.
Es waͤre zu wuͤnſchen, daß in allen Staͤdten derglei-
chen Todtenliſten gehalten, und beym Schluſſe des
Jahres zum Drucke gegeben wuͤrden. Hierdurch
erlangte man Gelegenheit, viele ſeiner Mitbuͤrger
nach ihrem Tode beſſer kennen zu lernen, als man
ſie in ihrem Leben gekannt hat. Manche werden
auf den Kanzeln als hochedle, hochgelahrte, hochwei-
ſe, ehrſame und tugendbelobte abgekuͤndigt, welche
bey ihrer Unwiſſenheit, bey ihrer niedertraͤchtigen,

und
L 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0237" n="163"/>
        <fw place="top" type="header">
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </fw>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch habe unter dem Bu&#x0364;chervorrathe meines<lb/>
Vaters den Auf&#x017F;atz gefunden, welchen ich itzt<lb/>
meinen Le&#x017F;ern mittheile. Un&#x017F;er beru&#x0364;hmter<lb/>
Klim hat ihn ge&#x017F;chrieben; ich kenne &#x017F;eine Hand ge-<lb/>
nau, und es wird wohl niemand zweifeln, daß es<lb/>
&#x017F;eine eigne Arbeit &#x017F;ey, wenn man nur die&#x017F;es beden-<lb/>
ken will, daß er ein Mann war, welcher auf &#x017F;einen<lb/>
unterirrdi&#x017F;chen Rei&#x017F;en die Gemu&#x0364;ther der Men&#x017F;chen<lb/>
vollkommen ein&#x017F;ehen gelernt hatte. Als Ku&#x0364;&#x017F;ter<lb/>
be&#x017F;aß er noch eben die Fa&#x0364;higkeiten, durch welche er<lb/>
&#x017F;ich als Kai&#x017F;er in Quama an&#x017F;ehnlich und beliebt ge-<lb/>
macht hatte. Jch berufe mich auf &#x017F;eine unterirrdi-<lb/>
&#x017F;che Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreibung, in welcher man die deutlich-<lb/>
&#x017F;ten Spuren finden wird, daß er als ein Philo&#x017F;oph<lb/>
gedacht hat.</p><lb/>
          <p>Gegenwa&#x0364;rtiger Auf&#x017F;atz i&#x017F;t ein Verzeichniß unter-<lb/>
&#x017F;chiedner Per&#x017F;onen, welche Zeit &#x017F;eines Ku&#x0364;&#x017F;teramts in<lb/>
Bergen ge&#x017F;torben &#x017F;ind. Er &#x017F;agt von einer jeden &#x017F;ei-<lb/>
ne Meynung, und die Liebe la&#x0364;ßt uns hoffen, er wer-<lb/>
de in &#x017F;einen Charakteren unparteyi&#x017F;ch gewe&#x017F;en &#x017F;eyn.<lb/>
Es wa&#x0364;re zu wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß in allen Sta&#x0364;dten derglei-<lb/>
chen Todtenli&#x017F;ten gehalten, und beym Schlu&#x017F;&#x017F;e des<lb/>
Jahres zum Drucke gegeben wu&#x0364;rden. Hierdurch<lb/>
erlangte man Gelegenheit, viele &#x017F;einer Mitbu&#x0364;rger<lb/>
nach ihrem Tode be&#x017F;&#x017F;er kennen zu lernen, als man<lb/>
&#x017F;ie in ihrem Leben gekannt hat. Manche werden<lb/>
auf den Kanzeln als hochedle, hochgelahrte, hochwei-<lb/>
&#x017F;e, ehr&#x017F;ame und tugendbelobte abgeku&#x0364;ndigt, welche<lb/>
bey ihrer Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, bey ihrer niedertra&#x0364;chtigen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0237] Jch habe unter dem Buͤchervorrathe meines Vaters den Aufſatz gefunden, welchen ich itzt meinen Leſern mittheile. Unſer beruͤhmter Klim hat ihn geſchrieben; ich kenne ſeine Hand ge- nau, und es wird wohl niemand zweifeln, daß es ſeine eigne Arbeit ſey, wenn man nur dieſes beden- ken will, daß er ein Mann war, welcher auf ſeinen unterirrdiſchen Reiſen die Gemuͤther der Menſchen vollkommen einſehen gelernt hatte. Als Kuͤſter beſaß er noch eben die Faͤhigkeiten, durch welche er ſich als Kaiſer in Quama anſehnlich und beliebt ge- macht hatte. Jch berufe mich auf ſeine unterirrdi- ſche Reiſebeſchreibung, in welcher man die deutlich- ſten Spuren finden wird, daß er als ein Philoſoph gedacht hat. Gegenwaͤrtiger Aufſatz iſt ein Verzeichniß unter- ſchiedner Perſonen, welche Zeit ſeines Kuͤſteramts in Bergen geſtorben ſind. Er ſagt von einer jeden ſei- ne Meynung, und die Liebe laͤßt uns hoffen, er wer- de in ſeinen Charakteren unparteyiſch geweſen ſeyn. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß in allen Staͤdten derglei- chen Todtenliſten gehalten, und beym Schluſſe des Jahres zum Drucke gegeben wuͤrden. Hierdurch erlangte man Gelegenheit, viele ſeiner Mitbuͤrger nach ihrem Tode beſſer kennen zu lernen, als man ſie in ihrem Leben gekannt hat. Manche werden auf den Kanzeln als hochedle, hochgelahrte, hochwei- ſe, ehrſame und tugendbelobte abgekuͤndigt, welche bey ihrer Unwiſſenheit, bey ihrer niedertraͤchtigen, und L 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/237
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/237>, abgerufen am 19.03.2024.