Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite




Schreiben des Gratulanten
an den Autor.
Mein Herr,

Jch muß es Jhnen ohne Schmeicheley gestehen,
daß ich mich niemals des Lachens enthalten
kann, so oft Sie mir auf der Gasse begegnen.
Sie sind ein Autor; und da ich mit Jhnen, wie ich
bald erweisen will, gleiches Recht zu diesem präch-
tigen Titel habe: So glaube ich, ein Autor kann
den andern so wenig, als vormals bey den alten
Römern ein Vogeldeuter den andern, ohne Lachen
ansehen. Sie schreiben aus Liebe zum Vaterlan-
de; und so oft ich die Feder ansetze, so oft ist dieses
meine Sorgfalt, daß ich meine geneigten Leser mit
einer patriotischen Miene versichere, bloß die Liebe
gegen meine Mitbürger, und die zärtlichste Neigung
gegen das menschliche Geschlecht überhaupt, habe
mich auf den rühmlichen Einfall gebracht, ihre Glück-
seligkeit durch meine Schriften zu befördern. Sie,
mein Herr, haben alle gebührende Hochachtung ge-
gen Sich selbst, und ich lasse mir in diesem Stücke
alle Gerechtigkeit widerfahren; denn das Wohl-
wollen, welches ich gegen mich hege, ist so stark, daß
ich mich für die vollkommenste Creatur unter der
Sonnen halte, meine Schriften niemals ohne Be-
wunderung ansehe, und ihnen den billigen Vorzug
einräume, welchen sie vor allen andern haben. Ja
ich beobachte die Pflichten meines Berufs so genau,

daß
N 2




Schreiben des Gratulanten
an den Autor.
Mein Herr,

Jch muß es Jhnen ohne Schmeicheley geſtehen,
daß ich mich niemals des Lachens enthalten
kann, ſo oft Sie mir auf der Gaſſe begegnen.
Sie ſind ein Autor; und da ich mit Jhnen, wie ich
bald erweiſen will, gleiches Recht zu dieſem praͤch-
tigen Titel habe: So glaube ich, ein Autor kann
den andern ſo wenig, als vormals bey den alten
Roͤmern ein Vogeldeuter den andern, ohne Lachen
anſehen. Sie ſchreiben aus Liebe zum Vaterlan-
de; und ſo oft ich die Feder anſetze, ſo oft iſt dieſes
meine Sorgfalt, daß ich meine geneigten Leſer mit
einer patriotiſchen Miene verſichere, bloß die Liebe
gegen meine Mitbuͤrger, und die zaͤrtlichſte Neigung
gegen das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt, habe
mich auf den ruͤhmlichen Einfall gebracht, ihre Gluͤck-
ſeligkeit durch meine Schriften zu befoͤrdern. Sie,
mein Herr, haben alle gebuͤhrende Hochachtung ge-
gen Sich ſelbſt, und ich laſſe mir in dieſem Stuͤcke
alle Gerechtigkeit widerfahren; denn das Wohl-
wollen, welches ich gegen mich hege, iſt ſo ſtark, daß
ich mich fuͤr die vollkommenſte Creatur unter der
Sonnen halte, meine Schriften niemals ohne Be-
wunderung anſehe, und ihnen den billigen Vorzug
einraͤume, welchen ſie vor allen andern haben. Ja
ich beobachte die Pflichten meines Berufs ſo genau,

daß
N 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0269" n="195"/>
      <fw place="top" type="header">
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </fw>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <div>
          <head><hi rendition="#b">Schreiben des Gratulanten</hi><lb/>
an den Autor.</head><lb/>
          <salute> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#fr">Mein Herr,</hi> </hi> </salute><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch muß es Jhnen ohne Schmeicheley ge&#x017F;tehen,<lb/>
daß ich mich niemals des Lachens enthalten<lb/>
kann, &#x017F;o oft Sie mir auf der Ga&#x017F;&#x017F;e begegnen.<lb/>
Sie &#x017F;ind ein Autor; und da ich mit Jhnen, wie ich<lb/>
bald erwei&#x017F;en will, gleiches Recht zu die&#x017F;em pra&#x0364;ch-<lb/>
tigen Titel habe: So glaube ich, ein Autor kann<lb/>
den andern &#x017F;o wenig, als vormals bey den alten<lb/>
Ro&#x0364;mern ein Vogeldeuter den andern, ohne Lachen<lb/>
an&#x017F;ehen. Sie &#x017F;chreiben aus Liebe zum Vaterlan-<lb/>
de; und &#x017F;o oft ich die Feder an&#x017F;etze, &#x017F;o oft i&#x017F;t die&#x017F;es<lb/>
meine Sorgfalt, daß ich meine geneigten Le&#x017F;er mit<lb/>
einer patrioti&#x017F;chen Miene ver&#x017F;ichere, bloß die Liebe<lb/>
gegen meine Mitbu&#x0364;rger, und die za&#x0364;rtlich&#x017F;te Neigung<lb/>
gegen das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht u&#x0364;berhaupt, habe<lb/>
mich auf den ru&#x0364;hmlichen Einfall gebracht, ihre Glu&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;eligkeit durch meine Schriften zu befo&#x0364;rdern. Sie,<lb/>
mein Herr, haben alle gebu&#x0364;hrende Hochachtung ge-<lb/>
gen Sich &#x017F;elb&#x017F;t, und ich la&#x017F;&#x017F;e mir in die&#x017F;em Stu&#x0364;cke<lb/>
alle Gerechtigkeit widerfahren; denn das Wohl-<lb/>
wollen, welches ich gegen mich hege, i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;tark, daß<lb/>
ich mich fu&#x0364;r die vollkommen&#x017F;te Creatur unter der<lb/>
Sonnen halte, meine Schriften niemals ohne Be-<lb/>
wunderung an&#x017F;ehe, und ihnen den billigen Vorzug<lb/>
einra&#x0364;ume, welchen &#x017F;ie vor allen andern haben. Ja<lb/>
ich beobachte die Pflichten meines Berufs &#x017F;o genau,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 2</fw><fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0269] Schreiben des Gratulanten an den Autor. Mein Herr, Jch muß es Jhnen ohne Schmeicheley geſtehen, daß ich mich niemals des Lachens enthalten kann, ſo oft Sie mir auf der Gaſſe begegnen. Sie ſind ein Autor; und da ich mit Jhnen, wie ich bald erweiſen will, gleiches Recht zu dieſem praͤch- tigen Titel habe: So glaube ich, ein Autor kann den andern ſo wenig, als vormals bey den alten Roͤmern ein Vogeldeuter den andern, ohne Lachen anſehen. Sie ſchreiben aus Liebe zum Vaterlan- de; und ſo oft ich die Feder anſetze, ſo oft iſt dieſes meine Sorgfalt, daß ich meine geneigten Leſer mit einer patriotiſchen Miene verſichere, bloß die Liebe gegen meine Mitbuͤrger, und die zaͤrtlichſte Neigung gegen das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt, habe mich auf den ruͤhmlichen Einfall gebracht, ihre Gluͤck- ſeligkeit durch meine Schriften zu befoͤrdern. Sie, mein Herr, haben alle gebuͤhrende Hochachtung ge- gen Sich ſelbſt, und ich laſſe mir in dieſem Stuͤcke alle Gerechtigkeit widerfahren; denn das Wohl- wollen, welches ich gegen mich hege, iſt ſo ſtark, daß ich mich fuͤr die vollkommenſte Creatur unter der Sonnen halte, meine Schriften niemals ohne Be- wunderung anſehe, und ihnen den billigen Vorzug einraͤume, welchen ſie vor allen andern haben. Ja ich beobachte die Pflichten meines Berufs ſo genau, daß N 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/269
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/269>, abgerufen am 19.03.2024.