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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Anderweite Fortsetzung.
Alte Liebe rostet nicht.

Wer nicht die eigentliche Bedeutung einer je-
den Sylbe von diesem Sprüchworte genau
bestimmt, dem wird es eben so gehen, wie es
mir eine lange Zeit gegangen ist. Er wird sich
wundern, daß man hat einen Satz zum Sprüch-
worte machen können, dem die Erfahrung alle
Tage widerspricht. Sind wohl unter zehen Ehen
fünfe, wo die alte Liebe nicht gerostet ist? Und
auch unter diesen fünfen sind wenigstens drey, wo
die Liebe noch nicht gar zu alt ist.

Diese anscheinenden Widersprüche werden
wegfallen, wenn man diese Wahrheiten annimmt,
daß eine Liebe von vier Wochen schon eine alte
Liebe, und im Ehestande ein Jahr schon eine
Ewigkeit ist. Setze ich dieses zum voraus, so
wird man, wie ich hoffe, noch hin und wieder
Exempel finden, wo eine alte Liebe von vier Wo-
chen, und eine ewige Liebe von einem Jahre noch
nicht gerostet sind. Freylich darf man die Sache
nicht höher treiben; aber das ist auch die Absicht
unsers Sprüchworts nicht.

Man wird solches noch allgemeiner machen
können, wenn man es nicht von der Liebe verhei-

ratheter
G 2


Anderweite Fortſetzung.
Alte Liebe roſtet nicht.

Wer nicht die eigentliche Bedeutung einer je-
den Sylbe von dieſem Spruͤchworte genau
beſtimmt, dem wird es eben ſo gehen, wie es
mir eine lange Zeit gegangen iſt. Er wird ſich
wundern, daß man hat einen Satz zum Spruͤch-
worte machen koͤnnen, dem die Erfahrung alle
Tage widerſpricht. Sind wohl unter zehen Ehen
fuͤnfe, wo die alte Liebe nicht geroſtet iſt? Und
auch unter dieſen fuͤnfen ſind wenigſtens drey, wo
die Liebe noch nicht gar zu alt iſt.

Dieſe anſcheinenden Widerſpruͤche werden
wegfallen, wenn man dieſe Wahrheiten annimmt,
daß eine Liebe von vier Wochen ſchon eine alte
Liebe, und im Eheſtande ein Jahr ſchon eine
Ewigkeit iſt. Setze ich dieſes zum voraus, ſo
wird man, wie ich hoffe, noch hin und wieder
Exempel finden, wo eine alte Liebe von vier Wo-
chen, und eine ewige Liebe von einem Jahre noch
nicht geroſtet ſind. Freylich darf man die Sache
nicht hoͤher treiben; aber das iſt auch die Abſicht
unſers Spruͤchworts nicht.

Man wird ſolches noch allgemeiner machen
koͤnnen, wenn man es nicht von der Liebe verhei-

ratheter
G 2
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[99/0121] Anderweite Fortſetzung. Alte Liebe roſtet nicht. Wer nicht die eigentliche Bedeutung einer je- den Sylbe von dieſem Spruͤchworte genau beſtimmt, dem wird es eben ſo gehen, wie es mir eine lange Zeit gegangen iſt. Er wird ſich wundern, daß man hat einen Satz zum Spruͤch- worte machen koͤnnen, dem die Erfahrung alle Tage widerſpricht. Sind wohl unter zehen Ehen fuͤnfe, wo die alte Liebe nicht geroſtet iſt? Und auch unter dieſen fuͤnfen ſind wenigſtens drey, wo die Liebe noch nicht gar zu alt iſt. Dieſe anſcheinenden Widerſpruͤche werden wegfallen, wenn man dieſe Wahrheiten annimmt, daß eine Liebe von vier Wochen ſchon eine alte Liebe, und im Eheſtande ein Jahr ſchon eine Ewigkeit iſt. Setze ich dieſes zum voraus, ſo wird man, wie ich hoffe, noch hin und wieder Exempel finden, wo eine alte Liebe von vier Wo- chen, und eine ewige Liebe von einem Jahre noch nicht geroſtet ſind. Freylich darf man die Sache nicht hoͤher treiben; aber das iſt auch die Abſicht unſers Spruͤchworts nicht. Man wird ſolches noch allgemeiner machen koͤnnen, wenn man es nicht von der Liebe verhei- ratheter G 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/121>, abgerufen am 28.03.2024.