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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Beweis:
Dass die Begierde, Uebels von andern zu reden,
weder vom Stolze, noch von der Bosheit des Herzens,
sondern von einer wahren Menschenliebe
herrühre.

Es ist gemeiniglich eine Folge unsrer hypo-
chondrischen Philosophie, wenn wir die-
jenigen Handlungen der Menschen, die wir selbst
zu begehen nicht im Stande, oder nicht geneigt
sind, dadurch verdaechtig zu machen suchen,
dass wir ihre Quellen vergiften, und ihnen einen
thoerichten oder lasterhaften Ursprung andich-
ten. Wir empfinden bey dergleichen Ent-
deckungen der Fehler anderer Menschen eine
gewisse schmeichelhafte Beruhigung, die der
Theolog ein zufriednes Gewissen, der Philo-
soph das innere Bewusstseyn eigner Vollkom-
menheiten, und ein Unpartheyischer einen men-
schenfeindlichen Stolz nennet.

Es würde mir leicht seyn, dasjenige, was
ich hier behaupte, weitlaeuftiger zu beweisen;
aber ich muss befürchten, dass ich eben dadurch
den Vorwurf, den ich andern machen will, zu-
erst verdiene. Ich würde vielleicht einen sehr
gelehrten Beweis führen, dass der Theolog aus
einem frommen Stolze verdamme, und der

schlies-


Beweis:
Daſs die Begierde, Uebels von andern zu reden,
weder vom Stolze, noch von der Bosheit des Herzens,
ſondern von einer wahren Menſchenliebe
herrühre.

Es iſt gemeiniglich eine Folge unſrer hypo-
chondriſchen Philoſophie, wenn wir die-
jenigen Handlungen der Menſchen, die wir ſelbſt
zu begehen nicht im Stande, oder nicht geneigt
ſind, dadurch verdaechtig zu machen ſuchen,
daſs wir ihre Quellen vergiften, und ihnen einen
thoerichten oder laſterhaften Urſprung andich-
ten. Wir empfinden bey dergleichen Ent-
deckungen der Fehler anderer Menſchen eine
gewiſſe ſchmeichelhafte Beruhigung, die der
Theolog ein zufriednes Gewiſſen, der Philo-
ſoph das innere Bewuſstſeyn eigner Vollkom-
menheiten, und ein Unpartheyiſcher einen men-
ſchenfeindlichen Stolz nennet.

Es würde mir leicht ſeyn, dasjenige, was
ich hier behaupte, weitlaeuftiger zu beweiſen;
aber ich muſs befürchten, daſs ich eben dadurch
den Vorwurf, den ich andern machen will, zu-
erſt verdiene. Ich würde vielleicht einen ſehr
gelehrten Beweis führen, daſs der Theolog aus
einem frommen Stolze verdamme, und der

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[399/0421] Beweis: Daſs die Begierde, Uebels von andern zu reden, weder vom Stolze, noch von der Bosheit des Herzens, ſondern von einer wahren Menſchenliebe herrühre. Es iſt gemeiniglich eine Folge unſrer hypo- chondriſchen Philoſophie, wenn wir die- jenigen Handlungen der Menſchen, die wir ſelbſt zu begehen nicht im Stande, oder nicht geneigt ſind, dadurch verdaechtig zu machen ſuchen, daſs wir ihre Quellen vergiften, und ihnen einen thoerichten oder laſterhaften Urſprung andich- ten. Wir empfinden bey dergleichen Ent- deckungen der Fehler anderer Menſchen eine gewiſſe ſchmeichelhafte Beruhigung, die der Theolog ein zufriednes Gewiſſen, der Philo- ſoph das innere Bewuſstſeyn eigner Vollkom- menheiten, und ein Unpartheyiſcher einen men- ſchenfeindlichen Stolz nennet. Es würde mir leicht ſeyn, dasjenige, was ich hier behaupte, weitlaeuftiger zu beweiſen; aber ich muſs befürchten, daſs ich eben dadurch den Vorwurf, den ich andern machen will, zu- erſt verdiene. Ich würde vielleicht einen ſehr gelehrten Beweis führen, daſs der Theolog aus einem frommen Stolze verdamme, und der ſchlieſ-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/421>, abgerufen am 29.03.2024.