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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Das Märchen vom ersten April.
vorigen Jahre reiste er dahin, als ein junger, be-
scheidener, und gesitteter Mensch, ein wenig ein-
fältig, und hieß Hanns: Heute kömmt Monsieur
Jean
zurück, ohne Gesundheit, ohne Sitten, ohne
Religion, und sagt seinem deutschen Vater und
seiner deutschen Mutter Thorheiten vor, und beide
sind vor Freuden außer sich. Monsieur Jean geht
in Gesellschaften; alle sehen auf ihn, wie auf ein
fremdes Thier. Der Einfältige hält diese Auf-
merksamkeit für Beyfall; aber er wird in dieser
vergnügten Einbildung nicht lange bleiben. Jn
vier Wochen wird er einen alten, und angesehe-
nen Kaufmann auf dem Caffeehause finden; er
wird vor ihm herum gaukeln, und ihn so lange be-
leidigen, bis dieser ehrliche Mann ihn vor der gan-
zen Gesellschaft versichern wird, daß Monsieur
Jean
ein Narr sey. Die ganze Gesellschaft wird
diese Wahrheit durch ihren lauten Beyfall un-
terstützen.

29.

Celsus (38) hat diesen Morgen den Grund-
stein zu einem prächtigen Gebäude gelegt, welches
er vor dem Thore aufführen will, um seinem Na-
men ein ewiges Andenken zu stiften, und seinen
Nachkommen eine anständige Wohnung zu bauen.
Wüßte Celsus, daß ihm dieser Bau sein ganzes
Vermögen kosten wird, daß er noch eben so viel

auf-
(38) Auf seinen Ballen steht ein D - -, und über die Haus-
thüre wird es auch mit dem gewöhnlichen Kaufmanns-
zeichen, und einem heuchlerischen Soli Deo Gloria kom-
men, um zugleich seinen Vornamen, und sein Vaterland
auszudrücken.

Das Maͤrchen vom erſten April.
vorigen Jahre reiſte er dahin, als ein junger, be-
ſcheidener, und geſitteter Menſch, ein wenig ein-
faͤltig, und hieß Hanns: Heute koͤmmt Monſieur
Jean
zuruͤck, ohne Geſundheit, ohne Sitten, ohne
Religion, und ſagt ſeinem deutſchen Vater und
ſeiner deutſchen Mutter Thorheiten vor, und beide
ſind vor Freuden außer ſich. Monſieur Jean geht
in Geſellſchaften; alle ſehen auf ihn, wie auf ein
fremdes Thier. Der Einfaͤltige haͤlt dieſe Auf-
merkſamkeit fuͤr Beyfall; aber er wird in dieſer
vergnuͤgten Einbildung nicht lange bleiben. Jn
vier Wochen wird er einen alten, und angeſehe-
nen Kaufmann auf dem Caffeehauſe finden; er
wird vor ihm herum gaukeln, und ihn ſo lange be-
leidigen, bis dieſer ehrliche Mann ihn vor der gan-
zen Geſellſchaft verſichern wird, daß Monſieur
Jean
ein Narr ſey. Die ganze Geſellſchaft wird
dieſe Wahrheit durch ihren lauten Beyfall un-
terſtuͤtzen.

29.

Celſus (38) hat dieſen Morgen den Grund-
ſtein zu einem praͤchtigen Gebaͤude gelegt, welches
er vor dem Thore auffuͤhren will, um ſeinem Na-
men ein ewiges Andenken zu ſtiften, und ſeinen
Nachkommen eine anſtaͤndige Wohnung zu bauen.
Wuͤßte Celſus, daß ihm dieſer Bau ſein ganzes
Vermoͤgen koſten wird, daß er noch eben ſo viel

auf-
(38) Auf ſeinen Ballen ſteht ein D ‒ ‒, und uͤber die Haus-
thuͤre wird es auch mit dem gewoͤhnlichen Kaufmanns-
zeichen, und einem heuchleriſchen Soli Deo Gloria kom-
men, um zugleich ſeinen Vornamen, und ſein Vaterland
auszudruͤcken.
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[530[528]/0552] Das Maͤrchen vom erſten April. vorigen Jahre reiſte er dahin, als ein junger, be- ſcheidener, und geſitteter Menſch, ein wenig ein- faͤltig, und hieß Hanns: Heute koͤmmt Monſieur Jean zuruͤck, ohne Geſundheit, ohne Sitten, ohne Religion, und ſagt ſeinem deutſchen Vater und ſeiner deutſchen Mutter Thorheiten vor, und beide ſind vor Freuden außer ſich. Monſieur Jean geht in Geſellſchaften; alle ſehen auf ihn, wie auf ein fremdes Thier. Der Einfaͤltige haͤlt dieſe Auf- merkſamkeit fuͤr Beyfall; aber er wird in dieſer vergnuͤgten Einbildung nicht lange bleiben. Jn vier Wochen wird er einen alten, und angeſehe- nen Kaufmann auf dem Caffeehauſe finden; er wird vor ihm herum gaukeln, und ihn ſo lange be- leidigen, bis dieſer ehrliche Mann ihn vor der gan- zen Geſellſchaft verſichern wird, daß Monſieur Jean ein Narr ſey. Die ganze Geſellſchaft wird dieſe Wahrheit durch ihren lauten Beyfall un- terſtuͤtzen. 29. Celſus (38) hat dieſen Morgen den Grund- ſtein zu einem praͤchtigen Gebaͤude gelegt, welches er vor dem Thore auffuͤhren will, um ſeinem Na- men ein ewiges Andenken zu ſtiften, und ſeinen Nachkommen eine anſtaͤndige Wohnung zu bauen. Wuͤßte Celſus, daß ihm dieſer Bau ſein ganzes Vermoͤgen koſten wird, daß er noch eben ſo viel auf- (38) Auf ſeinen Ballen ſteht ein D ‒ ‒, und uͤber die Haus- thuͤre wird es auch mit dem gewoͤhnlichen Kaufmanns- zeichen, und einem heuchleriſchen Soli Deo Gloria kom- men, um zugleich ſeinen Vornamen, und ſein Vaterland auszudruͤcken.

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 530[528]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/552>, abgerufen am 28.03.2024.