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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Der Vaticanische Pallast.

Seine Extremitäten sind ohne Noth verdreht,
und convulsivisch verzerrt; die Gewänder willkührlich
geworfen, und die Falten zu ängstlich gelegt.

In seinem Colorit im Helldunkeln scheint er sich
gefärbte Wachsbilder zum Vorbilde genommen zu
haben, die ein Ungefähr vereinigt hat. Diese Theile
sind ohne Wahrheit, ohne Abwechselung, ohne Wahl
in seinen Gemählden.

Ob Michael Angelo je in Oehl gemahlt hat? ist
zweifelhaft. Die Staffeleigemählde, die man für
seine Arbeit ausgibt, sind wahrscheinlicher von seinen
Schülern. Sein weitläuftigstes Werk ist die Sixti-
nische Capelle, daraus läßt sich am sichersten sein
Verdienst als Mahler bestimmen.

Ich will nun das Urtheil, das ich im Allgemei-
nen darüber gefället habe, durch eine detaillirtere
Prüfung zu rechtfertigen suchen.

+ Das jüngste Gericht.Das jüngste
Gericht.

Wenn meine Einbildungskraft sich dieses Süjet
mahlerisch darstellt, welches Bild steigt in meiner
Seele auf?

Finsterniß, wie man sie sich nach der Zerrüttung
aller Elemente denkt, umhüllet die Erde: Aber die
Glorie, in der der Weltrichter in Begleitung der Aus-
erwählten vom Himmel herabsteigt, erleuchtet hinrei-
chend den Vorgrund mit der Handlung die darauf
vorgehet. Welche Situationen! Welche Charaktere!
Welcher Ausdruck! Welche Stellungen!

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Der Vaticaniſche Pallaſt.

Seine Extremitaͤten ſind ohne Noth verdreht,
und convulſiviſch verzerrt; die Gewaͤnder willkuͤhrlich
geworfen, und die Falten zu aͤngſtlich gelegt.

In ſeinem Colorit im Helldunkeln ſcheint er ſich
gefaͤrbte Wachsbilder zum Vorbilde genommen zu
haben, die ein Ungefaͤhr vereinigt hat. Dieſe Theile
ſind ohne Wahrheit, ohne Abwechſelung, ohne Wahl
in ſeinen Gemaͤhlden.

Ob Michael Angelo je in Oehl gemahlt hat? iſt
zweifelhaft. Die Staffeleigemaͤhlde, die man fuͤr
ſeine Arbeit ausgibt, ſind wahrſcheinlicher von ſeinen
Schuͤlern. Sein weitlaͤuftigſtes Werk iſt die Sixti-
niſche Capelle, daraus laͤßt ſich am ſicherſten ſein
Verdienſt als Mahler beſtimmen.

Ich will nun das Urtheil, das ich im Allgemei-
nen daruͤber gefaͤllet habe, durch eine detaillirtere
Pruͤfung zu rechtfertigen ſuchen.

† Das juͤngſte Gericht.Das juͤngſte
Gericht.

Wenn meine Einbildungskraft ſich dieſes Suͤjet
mahleriſch darſtellt, welches Bild ſteigt in meiner
Seele auf?

Finſterniß, wie man ſie ſich nach der Zerruͤttung
aller Elemente denkt, umhuͤllet die Erde: Aber die
Glorie, in der der Weltrichter in Begleitung der Aus-
erwaͤhlten vom Himmel herabſteigt, erleuchtet hinrei-
chend den Vorgrund mit der Handlung die darauf
vorgehet. Welche Situationen! Welche Charaktere!
Welcher Ausdruck! Welche Stellungen!

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[179/0201] Der Vaticaniſche Pallaſt. Seine Extremitaͤten ſind ohne Noth verdreht, und convulſiviſch verzerrt; die Gewaͤnder willkuͤhrlich geworfen, und die Falten zu aͤngſtlich gelegt. In ſeinem Colorit im Helldunkeln ſcheint er ſich gefaͤrbte Wachsbilder zum Vorbilde genommen zu haben, die ein Ungefaͤhr vereinigt hat. Dieſe Theile ſind ohne Wahrheit, ohne Abwechſelung, ohne Wahl in ſeinen Gemaͤhlden. Ob Michael Angelo je in Oehl gemahlt hat? iſt zweifelhaft. Die Staffeleigemaͤhlde, die man fuͤr ſeine Arbeit ausgibt, ſind wahrſcheinlicher von ſeinen Schuͤlern. Sein weitlaͤuftigſtes Werk iſt die Sixti- niſche Capelle, daraus laͤßt ſich am ſicherſten ſein Verdienſt als Mahler beſtimmen. Ich will nun das Urtheil, das ich im Allgemei- nen daruͤber gefaͤllet habe, durch eine detaillirtere Pruͤfung zu rechtfertigen ſuchen. † Das juͤngſte Gericht. Wenn meine Einbildungskraft ſich dieſes Suͤjet mahleriſch darſtellt, welches Bild ſteigt in meiner Seele auf? Finſterniß, wie man ſie ſich nach der Zerruͤttung aller Elemente denkt, umhuͤllet die Erde: Aber die Glorie, in der der Weltrichter in Begleitung der Aus- erwaͤhlten vom Himmel herabſteigt, erleuchtet hinrei- chend den Vorgrund mit der Handlung die darauf vorgehet. Welche Situationen! Welche Charaktere! Welcher Ausdruck! Welche Stellungen! Hier M 2

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/201>, abgerufen am 29.03.2024.