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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787.

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Pallast Farnese.
In einem Verschlage von Brettern
auf dem Hofe.

+ Der sogenannte Farnesische Stier.

Unter diesem Nahmen ist eine Gruppe aus Mar-Der Farne-
sische Stier.

mor, von ungeheurem Umfange bekannt. Sie stellt
folgende Fabel vor: Zethus und Amphion, Söhne
der Antiope und des Jupiter, der sie unter der Ge-
stalt eines Satyrs hintergangen hatte, waren am
Fuße des Cithäron in Böotien ausgesetzt, und unter
den Hirten erzogen worden. Lycus König von The-
ben hatte die Antiope, auf Anreitzen seiner Gemahlin
der Dirce, sehr übel behandelt; sie entfloh; der Zu-
fall führte sie zu ihren Söhnen auf dem Cithäron, die
sie für ihre Mutter erkannten, und ihre erlittenen
Kränkungen an der Dirce auf eine grausame Weise
tächten; Sie banden sie an einen wilden Ochsen, und
ließen sie schleifen.

Das Werk, das wir hier vor uns haben, stellt
beide Brüder vor, im Begriff die grausame Strafe
an der Dirce zu vollziehen. Außer diesen Personen
finden sich noch dabei eine weibliche Figur, ein Jüng-
ling, und eine Menge Nebenfiguren auf einem Fel-
senberge.

Dieses Ganze macht weder eine schöne Gruppe,
noch eine verständliche Zusammensetzung aus. Es
finden sich einzelne Theile daran, die schön sind, aber
als Werk betrachtet, das heißt, als ein vernünftig
gedachtes Ganze, kann es für den Liebhaber keinen
Werth haben. Es fehlt durchaus an Ausdruck und

Zusam-
sche Uebersetzung der Winkelmannischen Gesch. d.
Kunst, T. I. p. 322. n. A.
Pallaſt Farneſe.
In einem Verſchlage von Brettern
auf dem Hofe.

Der ſogenannte Farneſiſche Stier.

Unter dieſem Nahmen iſt eine Gruppe aus Mar-Der Farne-
ſiſche Stier.

mor, von ungeheurem Umfange bekannt. Sie ſtellt
folgende Fabel vor: Zethus und Amphion, Soͤhne
der Antiope und des Jupiter, der ſie unter der Ge-
ſtalt eines Satyrs hintergangen hatte, waren am
Fuße des Cithaͤron in Boͤotien ausgeſetzt, und unter
den Hirten erzogen worden. Lycus Koͤnig von The-
ben hatte die Antiope, auf Anreitzen ſeiner Gemahlin
der Dirce, ſehr uͤbel behandelt; ſie entfloh; der Zu-
fall fuͤhrte ſie zu ihren Soͤhnen auf dem Cithaͤron, die
ſie fuͤr ihre Mutter erkannten, und ihre erlittenen
Kraͤnkungen an der Dirce auf eine grauſame Weiſe
taͤchten; Sie banden ſie an einen wilden Ochſen, und
ließen ſie ſchleifen.

Das Werk, das wir hier vor uns haben, ſtellt
beide Bruͤder vor, im Begriff die grauſame Strafe
an der Dirce zu vollziehen. Außer dieſen Perſonen
finden ſich noch dabei eine weibliche Figur, ein Juͤng-
ling, und eine Menge Nebenfiguren auf einem Fel-
ſenberge.

Dieſes Ganze macht weder eine ſchoͤne Gruppe,
noch eine verſtaͤndliche Zuſammenſetzung aus. Es
finden ſich einzelne Theile daran, die ſchoͤn ſind, aber
als Werk betrachtet, das heißt, als ein vernuͤnftig
gedachtes Ganze, kann es fuͤr den Liebhaber keinen
Werth haben. Es fehlt durchaus an Ausdruck und

Zuſam-
ſche Ueberſetzung der Winkelmanniſchen Geſch. d.
Kunſt, T. I. p. 322. n. A.
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[29/0051] Pallaſt Farneſe. In einem Verſchlage von Brettern auf dem Hofe. † Der ſogenannte Farneſiſche Stier. Unter dieſem Nahmen iſt eine Gruppe aus Mar- mor, von ungeheurem Umfange bekannt. Sie ſtellt folgende Fabel vor: Zethus und Amphion, Soͤhne der Antiope und des Jupiter, der ſie unter der Ge- ſtalt eines Satyrs hintergangen hatte, waren am Fuße des Cithaͤron in Boͤotien ausgeſetzt, und unter den Hirten erzogen worden. Lycus Koͤnig von The- ben hatte die Antiope, auf Anreitzen ſeiner Gemahlin der Dirce, ſehr uͤbel behandelt; ſie entfloh; der Zu- fall fuͤhrte ſie zu ihren Soͤhnen auf dem Cithaͤron, die ſie fuͤr ihre Mutter erkannten, und ihre erlittenen Kraͤnkungen an der Dirce auf eine grauſame Weiſe taͤchten; Sie banden ſie an einen wilden Ochſen, und ließen ſie ſchleifen. Der Farne- ſiſche Stier. Das Werk, das wir hier vor uns haben, ſtellt beide Bruͤder vor, im Begriff die grauſame Strafe an der Dirce zu vollziehen. Außer dieſen Perſonen finden ſich noch dabei eine weibliche Figur, ein Juͤng- ling, und eine Menge Nebenfiguren auf einem Fel- ſenberge. Dieſes Ganze macht weder eine ſchoͤne Gruppe, noch eine verſtaͤndliche Zuſammenſetzung aus. Es finden ſich einzelne Theile daran, die ſchoͤn ſind, aber als Werk betrachtet, das heißt, als ein vernuͤnftig gedachtes Ganze, kann es fuͤr den Liebhaber keinen Werth haben. Es fehlt durchaus an Ausdruck und Zuſam- 9 a) 9 a) ſche Ueberſetzung der Winkelmanniſchen Geſch. d. Kunſt, T. I. p. 322. n. A.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 1. Leipzig, 1787, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei01_1787/51>, abgerufen am 29.03.2024.