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Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787.

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Ueber die Kennz. des Kirchenstils

Ueber die Kennzeichen des Kirchenstils.
Zuerst: in der Bildhauerei.

Nichts kann beim Eintritt in die Kirchen von Rom
auffallender seyn, als die Verschiedenheit, die
wir zwischen den mehresten der neueren Statuen und
den Werken der alten Bildhauerei antreffen, die wir
in den Pallästen verlassen haben.

Hauptunter-
scheidungs-
zeichen der
Bildhauer-
kunst der
Neueren,
von der der
Alten.

Hier lauter verhüllete Figuren; dort beinahe
lauter nackte, oder doch so bekleidet, daß dem Auge
von dem Reize der Formen des Körpers nichts entzo-
gen wird: Hier oft niedrige und gemeine Natur,
immer demüthige, höchstens liebliche Gesichtsbildung;
dort idealische Schönheit, Hoheit des Geistes, große
Bedeutung in Mine und Tragen des Körpers: Hier
das steinerne Bild in unbestimmter Bewegung; dort
in Ruhe oder vollständig deutlicher Handlung: End-
lich, hier den deutlichsten Anspruch das Werk aus
rundem Stein, als ein flaches Gemählde erscheinen
zu lassen; dort die Bescheidenheit von der Statue
nicht mehr zu verlangen als sie giebt, nämlich die
treueste Abbildung eines von mehr als einer Seite zu
beschauenden Körpers.

Es ist interessant die Gründe dieser Verschieden-
heit in den inneren und äußeren Verhältnissen aufzu-
spüren, unter denen die Künstler beider Epochen ge-
arbeitet haben.

Die Griechen sahen die Darstellung der nacken-
den Gestalt des Menschen als den Triumph der Bild-

hauer-
Ueber die Kennz. des Kirchenſtils

Ueber die Kennzeichen des Kirchenſtils.
Zuerſt: in der Bildhauerei.

Nichts kann beim Eintritt in die Kirchen von Rom
auffallender ſeyn, als die Verſchiedenheit, die
wir zwiſchen den mehreſten der neueren Statuen und
den Werken der alten Bildhauerei antreffen, die wir
in den Pallaͤſten verlaſſen haben.

Hauptunter-
ſcheidungs-
zeichen der
Bildhauer-
kunſt der
Neueren,
von der der
Alten.

Hier lauter verhuͤllete Figuren; dort beinahe
lauter nackte, oder doch ſo bekleidet, daß dem Auge
von dem Reize der Formen des Koͤrpers nichts entzo-
gen wird: Hier oft niedrige und gemeine Natur,
immer demuͤthige, hoͤchſtens liebliche Geſichtsbildung;
dort idealiſche Schoͤnheit, Hoheit des Geiſtes, große
Bedeutung in Mine und Tragen des Koͤrpers: Hier
das ſteinerne Bild in unbeſtimmter Bewegung; dort
in Ruhe oder vollſtaͤndig deutlicher Handlung: End-
lich, hier den deutlichſten Anſpruch das Werk aus
rundem Stein, als ein flaches Gemaͤhlde erſcheinen
zu laſſen; dort die Beſcheidenheit von der Statue
nicht mehr zu verlangen als ſie giebt, naͤmlich die
treueſte Abbildung eines von mehr als einer Seite zu
beſchauenden Koͤrpers.

Es iſt intereſſant die Gruͤnde dieſer Verſchieden-
heit in den inneren und aͤußeren Verhaͤltniſſen aufzu-
ſpuͤren, unter denen die Kuͤnſtler beider Epochen ge-
arbeitet haben.

Die Griechen ſahen die Darſtellung der nacken-
den Geſtalt des Menſchen als den Triumph der Bild-

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[174/0198] Ueber die Kennz. des Kirchenſtils Ueber die Kennzeichen des Kirchenſtils. Zuerſt: in der Bildhauerei. Nichts kann beim Eintritt in die Kirchen von Rom auffallender ſeyn, als die Verſchiedenheit, die wir zwiſchen den mehreſten der neueren Statuen und den Werken der alten Bildhauerei antreffen, die wir in den Pallaͤſten verlaſſen haben. Hier lauter verhuͤllete Figuren; dort beinahe lauter nackte, oder doch ſo bekleidet, daß dem Auge von dem Reize der Formen des Koͤrpers nichts entzo- gen wird: Hier oft niedrige und gemeine Natur, immer demuͤthige, hoͤchſtens liebliche Geſichtsbildung; dort idealiſche Schoͤnheit, Hoheit des Geiſtes, große Bedeutung in Mine und Tragen des Koͤrpers: Hier das ſteinerne Bild in unbeſtimmter Bewegung; dort in Ruhe oder vollſtaͤndig deutlicher Handlung: End- lich, hier den deutlichſten Anſpruch das Werk aus rundem Stein, als ein flaches Gemaͤhlde erſcheinen zu laſſen; dort die Beſcheidenheit von der Statue nicht mehr zu verlangen als ſie giebt, naͤmlich die treueſte Abbildung eines von mehr als einer Seite zu beſchauenden Koͤrpers. Es iſt intereſſant die Gruͤnde dieſer Verſchieden- heit in den inneren und aͤußeren Verhaͤltniſſen aufzu- ſpuͤren, unter denen die Kuͤnſtler beider Epochen ge- arbeitet haben. Die Griechen ſahen die Darſtellung der nacken- den Geſtalt des Menſchen als den Triumph der Bild- hauer-

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Zitationshilfe: Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von: Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. T. 3. Leipzig, 1787, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_mahlerei03_1787/198>, abgerufen am 28.03.2024.