Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, - gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, - dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; - wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. *)

*) Wie wichtig die Entwickelung des Zustandes der Besessenheit zur Erklärung mancher Phänomene in den ehemahligen Hexenprozessen sey, zeigt sich von selbst. Der Glaube an die geistige Vereinigung mit dem bösen Feinde war Folge des heftigen Verlangens, sich seine vermeinten Kräfte anzueignen. Der Glaube an die körperliche Verbindung wieder Folge von jener, theils als sinnliches Symbol der engsten Vereinigung, welches die Phantasie zu einer Wirklichkeit umschuf; theils als consensualische Einwirkung eines heftig gereitzten Geistes auf die physische Organisation. Beydes zusammen brachte die Ueberzeugung bey der Person hervor, sie werde von dem fremden Geiste beseelt. Auf eben die Art sind die Aufwallungen himmlischer Entzückungen einiger heiligen Therese, Armella, Güyon, u. s. w. zu erklären. Das Körperliche regte hier nicht das Geistige auf, sondern umgekehrt: der geistige Zustand brachte einen ähnlichen in dem Körper hervor, wenn es anders bereits ausgemacht seyn

Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, – gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, – dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; – wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. *)

*) Wie wichtig die Entwickelung des Zustandes der Besessenheit zur Erklärung mancher Phänomene in den ehemahligen Hexenprozessen sey, zeigt sich von selbst. Der Glaube an die geistige Vereinigung mit dem bösen Feinde war Folge des heftigen Verlangens, sich seine vermeinten Kräfte anzueignen. Der Glaube an die körperliche Verbindung wieder Folge von jener, theils als sinnliches Symbol der engsten Vereinigung, welches die Phantasie zu einer Wirklichkeit umschuf; theils als consensualische Einwirkung eines heftig gereitzten Geistes auf die physische Organisation. Beydes zusammen brachte die Ueberzeugung bey der Person hervor, sie werde von dem fremden Geiste beseelt. Auf eben die Art sind die Aufwallungen himmlischer Entzückungen einiger heiligen Therese, Armella, Güyon, u. s. w. zu erklären. Das Körperliche regte hier nicht das Geistige auf, sondern umgekehrt: der geistige Zustand brachte einen ähnlichen in dem Körper hervor, wenn es anders bereits ausgemacht seyn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0199" n="199"/>
            <p>Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, &#x2013; gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, &#x2013; dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; &#x2013; wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. <note xml:id="note-0199" next="note-0200" place="foot" n="*)">Wie wichtig die Entwickelung des Zustandes der Besessenheit zur Erklärung mancher Phänomene in den ehemahligen Hexenprozessen sey, zeigt sich von selbst. Der Glaube an die geistige Vereinigung mit dem bösen Feinde war Folge des heftigen Verlangens, sich seine vermeinten Kräfte anzueignen. Der Glaube an die körperliche Verbindung wieder Folge von jener, theils als sinnliches Symbol der engsten Vereinigung, welches die Phantasie zu einer Wirklichkeit umschuf; theils als consensualische Einwirkung eines heftig gereitzten Geistes auf die physische Organisation. Beydes zusammen brachte die Ueberzeugung bey der Person hervor, sie werde von dem fremden Geiste beseelt. Auf eben die Art sind die Aufwallungen himmlischer Entzückungen einiger heiligen Therese, Armella, Güyon, u. s. w. zu erklären. Das Körperliche regte hier nicht das Geistige auf, sondern umgekehrt: der geistige Zustand brachte einen ähnlichen in dem Körper hervor, wenn es anders bereits ausgemacht seyn</note></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0199] Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, – gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, – dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; – wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. *) *) Wie wichtig die Entwickelung des Zustandes der Besessenheit zur Erklärung mancher Phänomene in den ehemahligen Hexenprozessen sey, zeigt sich von selbst. Der Glaube an die geistige Vereinigung mit dem bösen Feinde war Folge des heftigen Verlangens, sich seine vermeinten Kräfte anzueignen. Der Glaube an die körperliche Verbindung wieder Folge von jener, theils als sinnliches Symbol der engsten Vereinigung, welches die Phantasie zu einer Wirklichkeit umschuf; theils als consensualische Einwirkung eines heftig gereitzten Geistes auf die physische Organisation. Beydes zusammen brachte die Ueberzeugung bey der Person hervor, sie werde von dem fremden Geiste beseelt. Auf eben die Art sind die Aufwallungen himmlischer Entzückungen einiger heiligen Therese, Armella, Güyon, u. s. w. zu erklären. Das Körperliche regte hier nicht das Geistige auf, sondern umgekehrt: der geistige Zustand brachte einen ähnlichen in dem Körper hervor, wenn es anders bereits ausgemacht seyn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/199
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/199>, abgerufen am 23.04.2024.