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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Zwar sind die Gegenstände der Verführung zur Befriedigung sinnlicher Triebe, oder der Eitelkeit und der Belustigungssucht, die Ovid und seine Nachfolger in Tempeln und Schauspielhäusern aufsuchen, leichter gefunden. Aber frey ist diese Wahl wie diejenige des guten und gebildeten Geschmacks, der die Wonne der Beschauung weniger von der falschen Schönheit einer Nymphe von Boucher, als von der wahren einer Venus von der Hand des Praxiteles erhält. Und sollten wir uns auch nicht völlig fest gegen die Reitze erlogener Tugend und gezierter Anmuth machen; bleibt immer noch die verletzbare Ferse für den nicht zu verwundenden Achill übrig; so ist doch der größte Theil unsers Herzens gesichert, und die Mittel zur Heilung liegen nicht so fern.

Und du, der du dich auf solche Art gestählt hast, sey sicher, daß die Buhlerin gewöhnlicher Art dich seltener zum Ziel ihrer Angriffe machen wird! In einer Aufwallung von Gefallsucht oder Lüsternheit wird sie vielleicht die Macht ihrer Reitze an dir erproben wollen, aber schwerlich wirst du der Mann seyn, den sie auf die Dauer zu fesseln sucht.

Neuntes Kapitel.

Weise Mäßigkeit bey unsern Forderungen.

Ihr also, denen kein feindliches Schicksal die Freyheit zu wählen raubt, sucht ein Herz auf, das neben allgemeiner Menschenliebe zugleich das Bedürfniß fühlt, sich an einen Einzigen zu hängen! Sucht eine liebende Seele auf! Dieß ist nicht bloß Erforderniß zur edeln und schönen Liebe, es ist unerläßliche Bedingung zu jeder

Zwar sind die Gegenstände der Verführung zur Befriedigung sinnlicher Triebe, oder der Eitelkeit und der Belustigungssucht, die Ovid und seine Nachfolger in Tempeln und Schauspielhäusern aufsuchen, leichter gefunden. Aber frey ist diese Wahl wie diejenige des guten und gebildeten Geschmacks, der die Wonne der Beschauung weniger von der falschen Schönheit einer Nymphe von Boucher, als von der wahren einer Venus von der Hand des Praxiteles erhält. Und sollten wir uns auch nicht völlig fest gegen die Reitze erlogener Tugend und gezierter Anmuth machen; bleibt immer noch die verletzbare Ferse für den nicht zu verwundenden Achill übrig; so ist doch der größte Theil unsers Herzens gesichert, und die Mittel zur Heilung liegen nicht so fern.

Und du, der du dich auf solche Art gestählt hast, sey sicher, daß die Buhlerin gewöhnlicher Art dich seltener zum Ziel ihrer Angriffe machen wird! In einer Aufwallung von Gefallsucht oder Lüsternheit wird sie vielleicht die Macht ihrer Reitze an dir erproben wollen, aber schwerlich wirst du der Mann seyn, den sie auf die Dauer zu fesseln sucht.

Neuntes Kapitel.

Weise Mäßigkeit bey unsern Forderungen.

Ihr also, denen kein feindliches Schicksal die Freyheit zu wählen raubt, sucht ein Herz auf, das neben allgemeiner Menschenliebe zugleich das Bedürfniß fühlt, sich an einen Einzigen zu hängen! Sucht eine liebende Seele auf! Dieß ist nicht bloß Erforderniß zur edeln und schönen Liebe, es ist unerläßliche Bedingung zu jeder

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[179/0179] Zwar sind die Gegenstände der Verführung zur Befriedigung sinnlicher Triebe, oder der Eitelkeit und der Belustigungssucht, die Ovid und seine Nachfolger in Tempeln und Schauspielhäusern aufsuchen, leichter gefunden. Aber frey ist diese Wahl wie diejenige des guten und gebildeten Geschmacks, der die Wonne der Beschauung weniger von der falschen Schönheit einer Nymphe von Boucher, als von der wahren einer Venus von der Hand des Praxiteles erhält. Und sollten wir uns auch nicht völlig fest gegen die Reitze erlogener Tugend und gezierter Anmuth machen; bleibt immer noch die verletzbare Ferse für den nicht zu verwundenden Achill übrig; so ist doch der größte Theil unsers Herzens gesichert, und die Mittel zur Heilung liegen nicht so fern. Und du, der du dich auf solche Art gestählt hast, sey sicher, daß die Buhlerin gewöhnlicher Art dich seltener zum Ziel ihrer Angriffe machen wird! In einer Aufwallung von Gefallsucht oder Lüsternheit wird sie vielleicht die Macht ihrer Reitze an dir erproben wollen, aber schwerlich wirst du der Mann seyn, den sie auf die Dauer zu fesseln sucht. Neuntes Kapitel. Weise Mäßigkeit bey unsern Forderungen. Ihr also, denen kein feindliches Schicksal die Freyheit zu wählen raubt, sucht ein Herz auf, das neben allgemeiner Menschenliebe zugleich das Bedürfniß fühlt, sich an einen Einzigen zu hängen! Sucht eine liebende Seele auf! Dieß ist nicht bloß Erforderniß zur edeln und schönen Liebe, es ist unerläßliche Bedingung zu jeder

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/179>, abgerufen am 29.03.2024.