Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

früheren Zeiten ihren Ruf verloren hat. Seht, eine solche Verbindung ist wie ein schönes Kunstwerk, das nicht zu dem Orte und dem Lichte seiner Aufstellung paßt, und daher unvortheilhaft und falsch erscheinen muß.

Zwölftes Kapitel.

Energie und Selbständigkeit in dem geliebten Weibe.

Es ist barer Egoismus unsers Geschlechts, der dem weiblichen keine andere Energie gönnt, als diejenige, die ihm die Stärke der Leidenschaft einflößt: es ist herrischer Uebermuth in dem Manne, der verlangt, das Weib solle keinen Charakter haben, als denjenigen, den ihm der Geliebte eingiebt.

Liebe verlangt Energie und selbständigen Charakter von beyden Seiten. Es müssen zwey Wesen seyn, von denen jedes seinem Geschlechte nach vollständig und vortrefflich ist, und die in der zusammengesetzten Person ein vollkommenes Individuum der Gattung, Mensch, erscheinen lassen.

Weiber und Männer, die ihr auf diese meine Worte hört, betrügt euch nicht mit dem Gedanken, daß gänzliche Hingebung in die Denkungsart des Geliebten die Liebe erwecken oder dauerhaft mache! Sie schmeichelt dem Eigennutze, aber nur auf kurze Zeit; bald wird die Gleichförmigkeit der Gesinnungen Langeweile und Ueberdruß erwecke. Ich kenne Ehen, in denen das Weib keine Meynung, keinen Willen für sich hat, und wenn es diese vorübergehend faßt, sie bald fahren läßt,

früheren Zeiten ihren Ruf verloren hat. Seht, eine solche Verbindung ist wie ein schönes Kunstwerk, das nicht zu dem Orte und dem Lichte seiner Aufstellung paßt, und daher unvortheilhaft und falsch erscheinen muß.

Zwölftes Kapitel.

Energie und Selbständigkeit in dem geliebten Weibe.

Es ist barer Egoismus unsers Geschlechts, der dem weiblichen keine andere Energie gönnt, als diejenige, die ihm die Stärke der Leidenschaft einflößt: es ist herrischer Uebermuth in dem Manne, der verlangt, das Weib solle keinen Charakter haben, als denjenigen, den ihm der Geliebte eingiebt.

Liebe verlangt Energie und selbständigen Charakter von beyden Seiten. Es müssen zwey Wesen seyn, von denen jedes seinem Geschlechte nach vollständig und vortrefflich ist, und die in der zusammengesetzten Person ein vollkommenes Individuum der Gattung, Mensch, erscheinen lassen.

Weiber und Männer, die ihr auf diese meine Worte hört, betrügt euch nicht mit dem Gedanken, daß gänzliche Hingebung in die Denkungsart des Geliebten die Liebe erwecken oder dauerhaft mache! Sie schmeichelt dem Eigennutze, aber nur auf kurze Zeit; bald wird die Gleichförmigkeit der Gesinnungen Langeweile und Ueberdruß erwecke. Ich kenne Ehen, in denen das Weib keine Meynung, keinen Willen für sich hat, und wenn es diese vorübergehend faßt, sie bald fahren läßt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="184"/>
früheren Zeiten ihren Ruf verloren hat. Seht, eine solche Verbindung ist wie ein schönes Kunstwerk, das nicht zu dem Orte und dem Lichte seiner Aufstellung paßt, und daher unvortheilhaft und falsch erscheinen muß.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Zwölftes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Energie und Selbständigkeit in dem geliebten Weibe.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Es ist barer Egoismus unsers Geschlechts, der dem weiblichen keine andere Energie gönnt, als diejenige, die ihm die Stärke der Leidenschaft einflößt: es ist herrischer Uebermuth in dem Manne, der verlangt, das Weib solle keinen Charakter haben, als denjenigen, den ihm der Geliebte eingiebt.</p>
          <p>Liebe verlangt Energie und selbständigen Charakter von beyden Seiten. Es müssen zwey Wesen seyn, von denen jedes seinem Geschlechte nach vollständig und vortrefflich ist, und die in der zusammengesetzten Person ein vollkommenes Individuum der Gattung, Mensch, erscheinen lassen.</p>
          <p>Weiber und Männer, die ihr auf diese meine Worte hört, betrügt euch nicht mit dem Gedanken, daß gänzliche Hingebung in die Denkungsart des Geliebten die Liebe erwecken oder dauerhaft mache! Sie schmeichelt dem Eigennutze, aber nur auf kurze Zeit; bald wird die Gleichförmigkeit der Gesinnungen Langeweile und Ueberdruß erwecke. Ich kenne Ehen, in denen das Weib keine Meynung, keinen Willen für sich hat, und wenn es diese vorübergehend faßt, sie bald fahren läßt,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0184] früheren Zeiten ihren Ruf verloren hat. Seht, eine solche Verbindung ist wie ein schönes Kunstwerk, das nicht zu dem Orte und dem Lichte seiner Aufstellung paßt, und daher unvortheilhaft und falsch erscheinen muß. Zwölftes Kapitel. Energie und Selbständigkeit in dem geliebten Weibe. Es ist barer Egoismus unsers Geschlechts, der dem weiblichen keine andere Energie gönnt, als diejenige, die ihm die Stärke der Leidenschaft einflößt: es ist herrischer Uebermuth in dem Manne, der verlangt, das Weib solle keinen Charakter haben, als denjenigen, den ihm der Geliebte eingiebt. Liebe verlangt Energie und selbständigen Charakter von beyden Seiten. Es müssen zwey Wesen seyn, von denen jedes seinem Geschlechte nach vollständig und vortrefflich ist, und die in der zusammengesetzten Person ein vollkommenes Individuum der Gattung, Mensch, erscheinen lassen. Weiber und Männer, die ihr auf diese meine Worte hört, betrügt euch nicht mit dem Gedanken, daß gänzliche Hingebung in die Denkungsart des Geliebten die Liebe erwecken oder dauerhaft mache! Sie schmeichelt dem Eigennutze, aber nur auf kurze Zeit; bald wird die Gleichförmigkeit der Gesinnungen Langeweile und Ueberdruß erwecke. Ich kenne Ehen, in denen das Weib keine Meynung, keinen Willen für sich hat, und wenn es diese vorübergehend faßt, sie bald fahren läßt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/184
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/184>, abgerufen am 24.04.2024.