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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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anzusehen sind? Weil die Ohnmacht, in welche die heilige Therese bey der Berührung des himmlischen Amors fiel, vielleicht unter dem gröbsten Symptomen der Sinnlichkeit empfunden wurde? Was beweiset dieß? Gewiß nicht dieß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Grund der Begeisterung sey, sondern nur so viel, daß jene sehr leicht von dieser mit aufgereitzt werden könne!

Ich habe es bereits ausgeführt, daß der schwärmerische Aneignungstrieb der Geister zur Geschlechtssympathie der Seele gehöre, und daß der Zustand der Besessenheit und des Strebens nach Selbstverwandlung viele Symptome mit der Lüsternheit und dem erregten unnennbaren Triebe des Körpers, so wohl seiner Entstehungs- als Wirkungsart nach, gemein habe. Nichts ist begreiflicher, als daß sich dieser Aufruhr der Seele dem Körper leicht mittheile. Wird nun gar das Bild, welches unsre Seele beherrscht, unter materiellen Formen gedacht, besonders unter solchen, die zu den zärteren Schönheiten gehören; so ist es sehr möglich, daß Menschen von reitzbaren Nerven die gröbsten Symptome des unnennbaren Triebes an sich wahrnehmen, diese nach dem unkörperlichen Wesen, das sie begeistert, hingerichtet fühlen, oder sich wohl gar mit einer wirklich gelungenen körperlichen Vereinigung täuschen können. Dieß mag der Fall bey manchem schwärmerischen Religiosen, bey mancher exstatischen Nonne gewesen seyn, die sich die Bilder der heiligen Jungfrau, der göttlichen Liebe, des himmlischen Bräutigams, der Schutzengel, u. s. w. unter den reitzenden Formen gedacht haben, welche ihnen die Kunst von diesen Personen und personificierten Wesen in ihrer Kirche aufstellte. Beweisen doch sogar die Hexenprozesse, wie die erhitzte Phantasie alter Buhlerinnen die letzten Funken

anzusehen sind? Weil die Ohnmacht, in welche die heilige Therese bey der Berührung des himmlischen Amors fiel, vielleicht unter dem gröbsten Symptomen der Sinnlichkeit empfunden wurde? Was beweiset dieß? Gewiß nicht dieß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Grund der Begeisterung sey, sondern nur so viel, daß jene sehr leicht von dieser mit aufgereitzt werden könne!

Ich habe es bereits ausgeführt, daß der schwärmerische Aneignungstrieb der Geister zur Geschlechtssympathie der Seele gehöre, und daß der Zustand der Besessenheit und des Strebens nach Selbstverwandlung viele Symptome mit der Lüsternheit und dem erregten unnennbaren Triebe des Körpers, so wohl seiner Entstehungs- als Wirkungsart nach, gemein habe. Nichts ist begreiflicher, als daß sich dieser Aufruhr der Seele dem Körper leicht mittheile. Wird nun gar das Bild, welches unsre Seele beherrscht, unter materiellen Formen gedacht, besonders unter solchen, die zu den zärteren Schönheiten gehören; so ist es sehr möglich, daß Menschen von reitzbaren Nerven die gröbsten Symptome des unnennbaren Triebes an sich wahrnehmen, diese nach dem unkörperlichen Wesen, das sie begeistert, hingerichtet fühlen, oder sich wohl gar mit einer wirklich gelungenen körperlichen Vereinigung täuschen können. Dieß mag der Fall bey manchem schwärmerischen Religiosen, bey mancher exstatischen Nonne gewesen seyn, die sich die Bilder der heiligen Jungfrau, der göttlichen Liebe, des himmlischen Bräutigams, der Schutzengel, u. s. w. unter den reitzenden Formen gedacht haben, welche ihnen die Kunst von diesen Personen und personificierten Wesen in ihrer Kirche aufstellte. Beweisen doch sogar die Hexenprozesse, wie die erhitzte Phantasie alter Buhlerinnen die letzten Funken

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[137/0137] anzusehen sind? Weil die Ohnmacht, in welche die heilige Therese bey der Berührung des himmlischen Amors fiel, vielleicht unter dem gröbsten Symptomen der Sinnlichkeit empfunden wurde? Was beweiset dieß? Gewiß nicht dieß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Grund der Begeisterung sey, sondern nur so viel, daß jene sehr leicht von dieser mit aufgereitzt werden könne! Ich habe es bereits ausgeführt, daß der schwärmerische Aneignungstrieb der Geister zur Geschlechtssympathie der Seele gehöre, und daß der Zustand der Besessenheit und des Strebens nach Selbstverwandlung viele Symptome mit der Lüsternheit und dem erregten unnennbaren Triebe des Körpers, so wohl seiner Entstehungs- als Wirkungsart nach, gemein habe. Nichts ist begreiflicher, als daß sich dieser Aufruhr der Seele dem Körper leicht mittheile. Wird nun gar das Bild, welches unsre Seele beherrscht, unter materiellen Formen gedacht, besonders unter solchen, die zu den zärteren Schönheiten gehören; so ist es sehr möglich, daß Menschen von reitzbaren Nerven die gröbsten Symptome des unnennbaren Triebes an sich wahrnehmen, diese nach dem unkörperlichen Wesen, das sie begeistert, hingerichtet fühlen, oder sich wohl gar mit einer wirklich gelungenen körperlichen Vereinigung täuschen können. Dieß mag der Fall bey manchem schwärmerischen Religiosen, bey mancher exstatischen Nonne gewesen seyn, die sich die Bilder der heiligen Jungfrau, der göttlichen Liebe, des himmlischen Bräutigams, der Schutzengel, u. s. w. unter den reitzenden Formen gedacht haben, welche ihnen die Kunst von diesen Personen und personificierten Wesen in ihrer Kirche aufstellte. Beweisen doch sogar die Hexenprozesse, wie die erhitzte Phantasie alter Buhlerinnen die letzten Funken

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/137>, abgerufen am 19.04.2024.