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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Wenn man sich dagegen auf Künstler beruft, die bey wahrer Liederlichkeit einen feinen und starken Sinn für das Schöne gehabt haben, so wird zuerst das Talent der Ausführung und Nachahmung sehr oft mit dem Sinne des Schönen, mit der Schöpfungsgabe und mit Geschmack verwechselt, wie dieß bey so manchem Niederländischen Künstler der Fall ist. Wo aber auch beydes zusammen gegangen ist, da muß erwogen werden, daß sich der Beschauungshang und die Schöpfungsgabe des Schönen lange vorher entwickelt, lange vorher in der Seele des Künstlers gegründet hatten, ehe der Hang zur Ausschweifung herrschend wurde. Dieß war der Fall bey Raphael, Guido und andern. Hier konnte der Sinn des Schönen durch den Mißbrauch der körperlichen Geschlechtssympathie nicht mehr zerstört werden.

Aus allem diesen folgt so viel, daß das heiße Blut, als die größere Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie betrachtet, bloß eine begleitende Folge der höheren Reitzbarkeit unserer Organisation sey; daß diese Reitzbarkeit die liebende Disposition unsers Wesens, das Herz, und die Disposition zum Gefühl des Vollkommnen Edeln und Schönen, den Beschauungshang befördere, daß sie aber, wenn der körperlichen Geschlechtssympathie auf eine eigennützige Art, und ohne Mitwirkung der Seele gehuldigt wird, beyden sehr gefährlich werden könne. Man darf daher dreist sagen, daß manche Personen kalte Herzen und kalte Phantasie bey heißem Blute haben; und dieß um so mehr, da sehr oft die heftigen Begierden, besonders nach Befriedigung des unnennbaren Triebes, Folgen der Angewöhnung zu einer gewissen Art von körperlicher Reitzung zu seyn, und nicht einmahl von angeborner stärkerer Maße körperlicher Geschlechtssympathie

Wenn man sich dagegen auf Künstler beruft, die bey wahrer Liederlichkeit einen feinen und starken Sinn für das Schöne gehabt haben, so wird zuerst das Talent der Ausführung und Nachahmung sehr oft mit dem Sinne des Schönen, mit der Schöpfungsgabe und mit Geschmack verwechselt, wie dieß bey so manchem Niederländischen Künstler der Fall ist. Wo aber auch beydes zusammen gegangen ist, da muß erwogen werden, daß sich der Beschauungshang und die Schöpfungsgabe des Schönen lange vorher entwickelt, lange vorher in der Seele des Künstlers gegründet hatten, ehe der Hang zur Ausschweifung herrschend wurde. Dieß war der Fall bey Raphael, Guido und andern. Hier konnte der Sinn des Schönen durch den Mißbrauch der körperlichen Geschlechtssympathie nicht mehr zerstört werden.

Aus allem diesen folgt so viel, daß das heiße Blut, als die größere Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie betrachtet, bloß eine begleitende Folge der höheren Reitzbarkeit unserer Organisation sey; daß diese Reitzbarkeit die liebende Disposition unsers Wesens, das Herz, und die Disposition zum Gefühl des Vollkommnen Edeln und Schönen, den Beschauungshang befördere, daß sie aber, wenn der körperlichen Geschlechtssympathie auf eine eigennützige Art, und ohne Mitwirkung der Seele gehuldigt wird, beyden sehr gefährlich werden könne. Man darf daher dreist sagen, daß manche Personen kalte Herzen und kalte Phantasie bey heißem Blute haben; und dieß um so mehr, da sehr oft die heftigen Begierden, besonders nach Befriedigung des unnennbaren Triebes, Folgen der Angewöhnung zu einer gewissen Art von körperlicher Reitzung zu seyn, und nicht einmahl von angeborner stärkerer Maße körperlicher Geschlechtssympathie

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[150/0150] Wenn man sich dagegen auf Künstler beruft, die bey wahrer Liederlichkeit einen feinen und starken Sinn für das Schöne gehabt haben, so wird zuerst das Talent der Ausführung und Nachahmung sehr oft mit dem Sinne des Schönen, mit der Schöpfungsgabe und mit Geschmack verwechselt, wie dieß bey so manchem Niederländischen Künstler der Fall ist. Wo aber auch beydes zusammen gegangen ist, da muß erwogen werden, daß sich der Beschauungshang und die Schöpfungsgabe des Schönen lange vorher entwickelt, lange vorher in der Seele des Künstlers gegründet hatten, ehe der Hang zur Ausschweifung herrschend wurde. Dieß war der Fall bey Raphael, Guido und andern. Hier konnte der Sinn des Schönen durch den Mißbrauch der körperlichen Geschlechtssympathie nicht mehr zerstört werden. Aus allem diesen folgt so viel, daß das heiße Blut, als die größere Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie betrachtet, bloß eine begleitende Folge der höheren Reitzbarkeit unserer Organisation sey; daß diese Reitzbarkeit die liebende Disposition unsers Wesens, das Herz, und die Disposition zum Gefühl des Vollkommnen Edeln und Schönen, den Beschauungshang befördere, daß sie aber, wenn der körperlichen Geschlechtssympathie auf eine eigennützige Art, und ohne Mitwirkung der Seele gehuldigt wird, beyden sehr gefährlich werden könne. Man darf daher dreist sagen, daß manche Personen kalte Herzen und kalte Phantasie bey heißem Blute haben; und dieß um so mehr, da sehr oft die heftigen Begierden, besonders nach Befriedigung des unnennbaren Triebes, Folgen der Angewöhnung zu einer gewissen Art von körperlicher Reitzung zu seyn, und nicht einmahl von angeborner stärkerer Maße körperlicher Geschlechtssympathie

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/150>, abgerufen am 23.04.2024.