Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

vorzugeben, welche sie auch dadurch an den Tag legen, daß sie sich an Männer von häßlichen Formen hängen. Weit entfernt, diese Gleichgültigkeit lobenswerth zu achten, - wenn sie anders nicht durch ein überwiegendes Verdienst in dem Manne gerechtfertigt wird, - schließe ich vielmehr daraus auf einen Mangel an Geschmack bey dem oft sehr unsittliche Gefühle zum Grunde liegen. Nicht selten werden diese Weiber für die Abwesenheit der Wohlgestalt durch körperliche Eigenschaften schadlos gehalten, die viel gröbere Triebe befriedigen, als diejenigen, welche das Auge für schöne Formen empfindlich macht. Noch häufiger ist es übertriebene Vorliebe zu ihrer eigenen Gestalt, die sie blind gegen die Schönheit des Mannes macht.

Andere Weiber sind zwar nicht gleichgültig gegen die Figur des Mannes, aber das, was sie an diesem rührt, ist nicht die Wohlgestalt, die unserm Geschlecht eigen seyn muß; es sind entweder Formen, welche durch den Ausdruck der Stärke die Lüsternheit erwecken, oder solche, die durch ihre Zierlichkeit auf die Ueppigkeit der Weiber wirken. Für ernste Schönheiten haben die wenigsten, besonders in unsern nördlichen Gegenden, Sinn. Ich habe noch keine gefunden, die den Apollo von Belvedere wirklich als Schönheit empfunden hätte. Ein Ganymed, ein Genius, hat selbst bey dem feiner gebildeten Frauenzimmer den Vorzug. Gröber organisierte Frauen erklären sich für den Herkules, und der ungebildete Haufe verwechselt mit einer Gestalt dieser Art die Figur eines Lastträgers und Grenadiers. So etwas nennen sie superb! Andere werden durch die ausdruckslose Form schwammiger Knaben angezogen, welche das

vorzugeben, welche sie auch dadurch an den Tag legen, daß sie sich an Männer von häßlichen Formen hängen. Weit entfernt, diese Gleichgültigkeit lobenswerth zu achten, – wenn sie anders nicht durch ein überwiegendes Verdienst in dem Manne gerechtfertigt wird, – schließe ich vielmehr daraus auf einen Mangel an Geschmack bey dem oft sehr unsittliche Gefühle zum Grunde liegen. Nicht selten werden diese Weiber für die Abwesenheit der Wohlgestalt durch körperliche Eigenschaften schadlos gehalten, die viel gröbere Triebe befriedigen, als diejenigen, welche das Auge für schöne Formen empfindlich macht. Noch häufiger ist es übertriebene Vorliebe zu ihrer eigenen Gestalt, die sie blind gegen die Schönheit des Mannes macht.

Andere Weiber sind zwar nicht gleichgültig gegen die Figur des Mannes, aber das, was sie an diesem rührt, ist nicht die Wohlgestalt, die unserm Geschlecht eigen seyn muß; es sind entweder Formen, welche durch den Ausdruck der Stärke die Lüsternheit erwecken, oder solche, die durch ihre Zierlichkeit auf die Ueppigkeit der Weiber wirken. Für ernste Schönheiten haben die wenigsten, besonders in unsern nördlichen Gegenden, Sinn. Ich habe noch keine gefunden, die den Apollo von Belvedere wirklich als Schönheit empfunden hätte. Ein Ganymed, ein Genius, hat selbst bey dem feiner gebildeten Frauenzimmer den Vorzug. Gröber organisierte Frauen erklären sich für den Herkules, und der ungebildete Haufe verwechselt mit einer Gestalt dieser Art die Figur eines Lastträgers und Grenadiers. So etwas nennen sie superb! Andere werden durch die ausdruckslose Form schwammiger Knaben angezogen, welche das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0209" n="209"/>
vorzugeben, welche sie auch dadurch an den Tag legen, daß sie sich an Männer von häßlichen Formen hängen. Weit entfernt, diese Gleichgültigkeit lobenswerth zu achten, &#x2013; wenn sie anders nicht durch ein überwiegendes Verdienst in dem Manne gerechtfertigt wird, &#x2013; schließe ich vielmehr daraus auf einen Mangel an Geschmack bey dem oft sehr unsittliche Gefühle zum Grunde liegen. Nicht selten werden diese Weiber für die Abwesenheit der Wohlgestalt durch körperliche Eigenschaften schadlos gehalten, die viel gröbere Triebe befriedigen, als diejenigen, welche das Auge für schöne Formen empfindlich macht. Noch häufiger ist es übertriebene Vorliebe zu ihrer eigenen Gestalt, die sie blind gegen die Schönheit des Mannes macht.</p>
          <p>Andere Weiber sind zwar nicht gleichgültig gegen die Figur des Mannes, aber das, was sie an diesem rührt, ist nicht die Wohlgestalt, die unserm Geschlecht eigen seyn muß; es sind entweder Formen, welche durch den Ausdruck der Stärke die Lüsternheit erwecken, oder solche, die durch ihre Zierlichkeit auf die Ueppigkeit der Weiber wirken. Für ernste Schönheiten haben die wenigsten, besonders in unsern nördlichen Gegenden, Sinn. Ich habe noch keine gefunden, die den Apollo von Belvedere wirklich als Schönheit empfunden hätte. Ein Ganymed, ein Genius, hat selbst bey dem feiner gebildeten Frauenzimmer den Vorzug. Gröber organisierte Frauen erklären sich für den Herkules, und der ungebildete Haufe verwechselt mit einer Gestalt dieser Art die Figur eines Lastträgers und Grenadiers. So etwas nennen sie superb! Andere werden durch die ausdruckslose Form schwammiger Knaben angezogen, welche das
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0209] vorzugeben, welche sie auch dadurch an den Tag legen, daß sie sich an Männer von häßlichen Formen hängen. Weit entfernt, diese Gleichgültigkeit lobenswerth zu achten, – wenn sie anders nicht durch ein überwiegendes Verdienst in dem Manne gerechtfertigt wird, – schließe ich vielmehr daraus auf einen Mangel an Geschmack bey dem oft sehr unsittliche Gefühle zum Grunde liegen. Nicht selten werden diese Weiber für die Abwesenheit der Wohlgestalt durch körperliche Eigenschaften schadlos gehalten, die viel gröbere Triebe befriedigen, als diejenigen, welche das Auge für schöne Formen empfindlich macht. Noch häufiger ist es übertriebene Vorliebe zu ihrer eigenen Gestalt, die sie blind gegen die Schönheit des Mannes macht. Andere Weiber sind zwar nicht gleichgültig gegen die Figur des Mannes, aber das, was sie an diesem rührt, ist nicht die Wohlgestalt, die unserm Geschlecht eigen seyn muß; es sind entweder Formen, welche durch den Ausdruck der Stärke die Lüsternheit erwecken, oder solche, die durch ihre Zierlichkeit auf die Ueppigkeit der Weiber wirken. Für ernste Schönheiten haben die wenigsten, besonders in unsern nördlichen Gegenden, Sinn. Ich habe noch keine gefunden, die den Apollo von Belvedere wirklich als Schönheit empfunden hätte. Ein Ganymed, ein Genius, hat selbst bey dem feiner gebildeten Frauenzimmer den Vorzug. Gröber organisierte Frauen erklären sich für den Herkules, und der ungebildete Haufe verwechselt mit einer Gestalt dieser Art die Figur eines Lastträgers und Grenadiers. So etwas nennen sie superb! Andere werden durch die ausdruckslose Form schwammiger Knaben angezogen, welche das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/209
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/209>, abgerufen am 28.03.2024.