Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Kapitel.

Achilles Tatius, Longus und Eusthatius.

In der zweyten mittleren Manier der Geschichtschreiber der Liebesschicksale eines verbündeten Paares haben Achilles Tatius und Longus geschrieben.

Der erste hat uns die Liebesgeschichte des Clitophon und der Leucippe geliefert.

Clitophon sollte mit seiner Stiefschwester Calligone verheirathet werden, als sein Onkle, Sostratus, aus Byzanz, seine Gattin Panthea, mit ihrer Tochter, Leucippe nach Tyrus in das väterliche Haus des Clitophon sandte. Dieser verliebt sich in seine Cousine. Die Darstellung des ersten Erwachens der Leidenschaft, und ihres allmähligen Fortschreitens, ist mit Wahrheit und Reitz geliefert.

Besonders gehört hieher die artige, und so oft wiederhohlte Erfindung, durch welche Clitophon den ersten Kuß von seiner Geliebten erhielt.

Leucippe hatte eine Sklavin durch Besprechen von einem Bienenstiche geheilt. Clitophon erinnert sich dieses Vorfalls, als eine Biene um ihn her sumset. Er stellt sich als ob er von ihr auf den Mund gestochen wäre. Die gutherzige Leucippe will auch seine Wunde besprechen; nähert sich seinem Munde mit dem ihrigen, und er raubt ihr einen Kuß.

Möchten alle Bilder des Achilles Tatius so reitzend und zugleich so anständig seyn! Aber seine lüsterne und ausgelassene Einbildungskraft verführt ihn oft, die Grenzen der Ehrbarkeit zu überschreiten.

Neuntes Kapitel.

Achilles Tatius, Longus und Eusthatius.

In der zweyten mittleren Manier der Geschichtschreiber der Liebesschicksale eines verbündeten Paares haben Achilles Tatius und Longus geschrieben.

Der erste hat uns die Liebesgeschichte des Clitophon und der Leucippe geliefert.

Clitophon sollte mit seiner Stiefschwester Calligone verheirathet werden, als sein Onkle, Sostratus, aus Byzanz, seine Gattin Panthea, mit ihrer Tochter, Leucippe nach Tyrus in das väterliche Haus des Clitophon sandte. Dieser verliebt sich in seine Cousine. Die Darstellung des ersten Erwachens der Leidenschaft, und ihres allmähligen Fortschreitens, ist mit Wahrheit und Reitz geliefert.

Besonders gehört hieher die artige, und so oft wiederhohlte Erfindung, durch welche Clitophon den ersten Kuß von seiner Geliebten erhielt.

Leucippe hatte eine Sklavin durch Besprechen von einem Bienenstiche geheilt. Clitophon erinnert sich dieses Vorfalls, als eine Biene um ihn her sumset. Er stellt sich als ob er von ihr auf den Mund gestochen wäre. Die gutherzige Leucippe will auch seine Wunde besprechen; nähert sich seinem Munde mit dem ihrigen, und er raubt ihr einen Kuß.

Möchten alle Bilder des Achilles Tatius so reitzend und zugleich so anständig seyn! Aber seine lüsterne und ausgelassene Einbildungskraft verführt ihn oft, die Grenzen der Ehrbarkeit zu überschreiten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0393" n="393"/>
        <div n="2">
          <head>Neuntes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Achilles Tatius, Longus und Eusthatius.<lb/></p>
          </argument>
          <p>In der zweyten mittleren Manier der Geschichtschreiber der Liebesschicksale eines verbündeten Paares haben Achilles Tatius und Longus geschrieben.</p>
          <p>Der erste hat uns die Liebesgeschichte des Clitophon und der Leucippe geliefert.</p>
          <p>Clitophon sollte mit seiner Stiefschwester Calligone verheirathet werden, als sein Onkle, Sostratus, aus Byzanz, seine Gattin Panthea, mit ihrer Tochter, Leucippe nach Tyrus in das väterliche Haus des Clitophon sandte. Dieser verliebt sich in seine Cousine. Die Darstellung des ersten Erwachens der Leidenschaft, und ihres allmähligen Fortschreitens, ist mit Wahrheit und Reitz geliefert.</p>
          <p>Besonders gehört hieher die artige, und so oft wiederhohlte Erfindung, durch welche Clitophon den ersten Kuß von seiner Geliebten erhielt.</p>
          <p>Leucippe hatte eine Sklavin durch Besprechen von einem Bienenstiche geheilt. Clitophon erinnert sich dieses Vorfalls, als eine Biene um ihn her sumset. Er stellt sich als ob er von ihr auf den Mund gestochen wäre. Die gutherzige Leucippe will auch seine Wunde besprechen; nähert sich seinem Munde mit dem ihrigen, und er raubt ihr einen Kuß.</p>
          <p>Möchten alle Bilder des Achilles Tatius so reitzend und zugleich so anständig seyn! Aber seine lüsterne und ausgelassene Einbildungskraft verführt ihn oft, die Grenzen der Ehrbarkeit zu überschreiten.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0393] Neuntes Kapitel. Achilles Tatius, Longus und Eusthatius. In der zweyten mittleren Manier der Geschichtschreiber der Liebesschicksale eines verbündeten Paares haben Achilles Tatius und Longus geschrieben. Der erste hat uns die Liebesgeschichte des Clitophon und der Leucippe geliefert. Clitophon sollte mit seiner Stiefschwester Calligone verheirathet werden, als sein Onkle, Sostratus, aus Byzanz, seine Gattin Panthea, mit ihrer Tochter, Leucippe nach Tyrus in das väterliche Haus des Clitophon sandte. Dieser verliebt sich in seine Cousine. Die Darstellung des ersten Erwachens der Leidenschaft, und ihres allmähligen Fortschreitens, ist mit Wahrheit und Reitz geliefert. Besonders gehört hieher die artige, und so oft wiederhohlte Erfindung, durch welche Clitophon den ersten Kuß von seiner Geliebten erhielt. Leucippe hatte eine Sklavin durch Besprechen von einem Bienenstiche geheilt. Clitophon erinnert sich dieses Vorfalls, als eine Biene um ihn her sumset. Er stellt sich als ob er von ihr auf den Mund gestochen wäre. Die gutherzige Leucippe will auch seine Wunde besprechen; nähert sich seinem Munde mit dem ihrigen, und er raubt ihr einen Kuß. Möchten alle Bilder des Achilles Tatius so reitzend und zugleich so anständig seyn! Aber seine lüsterne und ausgelassene Einbildungskraft verführt ihn oft, die Grenzen der Ehrbarkeit zu überschreiten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/393
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/393>, abgerufen am 28.03.2024.