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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Buch III. Die Päpste um d. Mitte d. 16. Jahrh.
langen Leben ausgebildeten, zur Natur gewordenen Gesin-
nung beherrscht. Keine andere Pflicht, keine andere Be-
schäftigung als die Wiederherstellung des alten Glaubens
in seine frühere Herrschaft schien er zu kennen. Von
Zeit zu Zeit bilden sich solche Naturen wieder aus, und
wir begegnen ihnen auch heut zu Tage zuweilen. Leben
und Welt haben sie von einem einzigen Punct aus begrif-
fen: ihre individuelle, persönliche Richtung war so gewal-
tig, daß ihre Ansicht völlig davon beherrscht wird; sie
sind die unermüdlichen Redner und haben immer eine ge-
wisse Frische; unaufhörlich strömen sie die Gesinnung aus,
welche sich in ihnen mit einer Art von Nothwendigkeit
entwickelte. Wie höchst bedeutend werden sie dann, wenn
sie an eine Stelle gelangen, wo ihre Thätigkeit lediglich
von ihrer Meinung abhängig ist, und die Macht sich zu
dem Willen gesellt. Was ließ sich alles von Paul IV. er-
warten, der nie eine Rücksicht gekannt, der seine Meinung
immer mit der äußersten Heftigkeit durchgesetzt hatte, als
er nun auf die höchste Stufe erhoben war 1). Er wun-
derte sich selbst, daß er dahin gelangt war, da er doch nie
einem Cardinal das Mindeste eingeräumt und nie etwas

italienischen Bibliotheken, auch in den Informationi politiche zu
Berlin. La complessione di questo pontefice e colerica ad-
usta; ha una incredibil gravita e grandezza in tutte le sue azioni
et veramente pare nato al signoreggiare.
1) Man kann erachten, daß sein Wesen nicht Jedermanns Bei-
fall hatte. Aretins Capitolo al re di Francia bezeichnet ihn:
Caraffa ippocrita infingardo
Che tien per coscienza spirituale
Quando si mette del pepe in sul cardo.

Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.
langen Leben ausgebildeten, zur Natur gewordenen Geſin-
nung beherrſcht. Keine andere Pflicht, keine andere Be-
ſchaͤftigung als die Wiederherſtellung des alten Glaubens
in ſeine fruͤhere Herrſchaft ſchien er zu kennen. Von
Zeit zu Zeit bilden ſich ſolche Naturen wieder aus, und
wir begegnen ihnen auch heut zu Tage zuweilen. Leben
und Welt haben ſie von einem einzigen Punct aus begrif-
fen: ihre individuelle, perſoͤnliche Richtung war ſo gewal-
tig, daß ihre Anſicht voͤllig davon beherrſcht wird; ſie
ſind die unermuͤdlichen Redner und haben immer eine ge-
wiſſe Friſche; unaufhoͤrlich ſtroͤmen ſie die Geſinnung aus,
welche ſich in ihnen mit einer Art von Nothwendigkeit
entwickelte. Wie hoͤchſt bedeutend werden ſie dann, wenn
ſie an eine Stelle gelangen, wo ihre Thaͤtigkeit lediglich
von ihrer Meinung abhaͤngig iſt, und die Macht ſich zu
dem Willen geſellt. Was ließ ſich alles von Paul IV. er-
warten, der nie eine Ruͤckſicht gekannt, der ſeine Meinung
immer mit der aͤußerſten Heftigkeit durchgeſetzt hatte, als
er nun auf die hoͤchſte Stufe erhoben war 1). Er wun-
derte ſich ſelbſt, daß er dahin gelangt war, da er doch nie
einem Cardinal das Mindeſte eingeraͤumt und nie etwas

italieniſchen Bibliotheken, auch in den Informationi politiche zu
Berlin. La complessione di questo pontefice è colerica ad-
usta; ha una incredibil gravità e grandezza in tutte le sue azioni
et veramente pare nato al signoreggiare.
1) Man kann erachten, daß ſein Weſen nicht Jedermanns Bei-
fall hatte. Aretins Capitolo al re di Francia bezeichnet ihn:
Caraffa ippocrita infingardo
Che tien per coscienza spirituale
Quando si mette del pepe in sul cardo.
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[280/0306] Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. langen Leben ausgebildeten, zur Natur gewordenen Geſin- nung beherrſcht. Keine andere Pflicht, keine andere Be- ſchaͤftigung als die Wiederherſtellung des alten Glaubens in ſeine fruͤhere Herrſchaft ſchien er zu kennen. Von Zeit zu Zeit bilden ſich ſolche Naturen wieder aus, und wir begegnen ihnen auch heut zu Tage zuweilen. Leben und Welt haben ſie von einem einzigen Punct aus begrif- fen: ihre individuelle, perſoͤnliche Richtung war ſo gewal- tig, daß ihre Anſicht voͤllig davon beherrſcht wird; ſie ſind die unermuͤdlichen Redner und haben immer eine ge- wiſſe Friſche; unaufhoͤrlich ſtroͤmen ſie die Geſinnung aus, welche ſich in ihnen mit einer Art von Nothwendigkeit entwickelte. Wie hoͤchſt bedeutend werden ſie dann, wenn ſie an eine Stelle gelangen, wo ihre Thaͤtigkeit lediglich von ihrer Meinung abhaͤngig iſt, und die Macht ſich zu dem Willen geſellt. Was ließ ſich alles von Paul IV. er- warten, der nie eine Ruͤckſicht gekannt, der ſeine Meinung immer mit der aͤußerſten Heftigkeit durchgeſetzt hatte, als er nun auf die hoͤchſte Stufe erhoben war 1). Er wun- derte ſich ſelbſt, daß er dahin gelangt war, da er doch nie einem Cardinal das Mindeſte eingeraͤumt und nie etwas 1) 1) Man kann erachten, daß ſein Weſen nicht Jedermanns Bei- fall hatte. Aretins Capitolo al re di Francia bezeichnet ihn: Caraffa ippocrita infingardo Che tien per coscienza spirituale Quando si mette del pepe in sul cardo. 1) italieniſchen Bibliotheken, auch in den Informationi politiche zu Berlin. La complessione di questo pontefice è colerica ad- usta; ha una incredibil gravità e grandezza in tutte le sue azioni et veramente pare nato al signoreggiare.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/306>, abgerufen am 19.04.2024.